Finanzberater startet bei Olympia: Irrer Weg eines Zehnkämpfers

Finanzberater startet bei Olympia: Irrer Weg eines Zehnkämpfers
Finanzberater startet bei Olympia: Irrer Weg eines Zehnkämpfers

Olympia-Teilnehmer im zweiten Versuch!

Bei den US Trials in Eugen (Oregon) gewann Garrett Scantling den Zehnkampfwettbewerb mit 8.647 Punkten vor Steve Bastien (8.485) und Zach Ziemek (8.471). In neun der zehn Einzeldisziplinen landete er dabei unter den besten Sieben und überzeugte so mit seiner Konstanz.

Lediglich im abschließenden 1500-Meter-Lauf schwächelte er etwas, was bei seinem Vorsprung aber zu verschmerzen war. Denn er führt das Trio der US-amerikanischen Zehnkämpfer bei den Olympischen Spielen in Tokio an.

Umso besonderer wird das Ganze, wenn man den Lebensweg des 28-Jährigen betrachtet. Scantling nahm zahlreiche Umwege in Kauf, ehe er den Traum von Olympia verwirklichen konnte. (Alles zu Olympia)

Garrett Scantling: "Götzis war surreal"

Bereits 2016 nahm er an den US-Ausscheidungskämpfen für die Olympischen Spiele teil und wurde unglücklicher Vierter. Damals hatte er gerade sein Studium der Finanzplanung und -dienstleistung an der University of Georgia abgeschlossen.

Nur wenige Monate vor den US Trials 2016 wurde er zum Meeting in Götzis eingeladen. Mit seiner NCAA-Karriere und einer Bestleistung von 8232 Punkten hatte Scantling sich diese verdient.

"Götzis war eine surreale Erfahrung", erinnerte er sich an diesen Moment und fügte hinzu: "Diese Atmosphäre bekommt man nirgendwo sonst - Menschen, denen der Zehnkampf so am Herzen liegt."

Dazu zeigte er sich von seiner besten Seite, startete über 100 Meter direkt mit einer persönlichen Bestleistung und landete am Schluss mit 8107 Punkten auf Rang sieben. Damit hatte er sich neben Superstars wie Damian Warner, Weltmeister von 2019, oder dem aktuellen Weltrekordhalter Kevin Mayer bewiesen.

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Von der Tartanbahn in die NFL

Umso niederschmetternder war das Scheitern bei den folgenden US Trials.

Scantling beschloss, die Spikes an den Nagel zu hängen - und stattdessen seinen Traum von der NFL zu verwirklichen. Zwar hatte er seit seiner Highschool kein Football mehr gespielt, aber dank seiner Athletik bekam er eine Chance bei den Atlanta Falcons.

Zwar wurde er dort vorzeitig ausgemustert, aber ausgerechnet sein Heimatteam - die Jacksonville Jaguars - nahmen ihn auf. Es war Traum und Albtraum zugleich. Zwar habe er jede Sekunde genossen, aber er wurde auch "ins Feuer geworfen. Das war eine der schwierigsten Sachen, die ich je machen musste."

Vor allem die fehlenden Jahre am College machten sich nun bemerkbar. Körperlich konnte er mit seinen Mitspielern mithalten - und war teilweise sogar überlegen. Aber das Spielverständnis und die Erfahrung fehlte ihm. "Beim Football muss man alles spontan anpassen und es ist einfach ganz anders, als die Leute denken", sagte er rückblickend.

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Das nächste Scheitern und Erfolg im Beruf

Daher wurde er auch bei den Jaguars nicht für den finalen Kader ausgewählt. "Es tat weh, als es vorbei war, weil ich so viel hineingesteckt habe. Man setzt so viel Vertrauen in sich selbst, und wenn es nicht klappt, macht man sich selbst fertig."

Nach diesem erneuten Scheitern war Scantling fertig mit der Sportwelt - dachte er. Er begann als Finanzberater in Jacksonville - und war darin auch erfolgreich. Mit seinem sportlichen Hintergrund kam er schnell mit jungen Sportlern in Kontakt, die er finanziell beriet.

"Im Football gibt es 20-Jährige, die plötzlich Millionen von Dollar haben und nicht wissen, was sie damit anfangen sollen", beschrieb er die Situation: "Sie müssen sich ihre ganze Zeit darauf konzentrieren, körperlich bereit zu sein. Aber mit Geld richtig umzugehen, ist etwas, was nicht viele Leute können."

Aber trotz des beruflichen Erfolgs fehlte ihm etwas. "Ich hatte meinen Job, mein Haus, meinen Hund und mir ging es in Jacksonville wirklich gut" - aber er vermisste das Training und wie sein Körper darauf reagiert.

Das Zehnkampf-Feuer wird wieder entfacht

Scantling nahm wieder Kontakt mit seinem ehemaligen Universitäts-Coach Petros Kyprianou auf. Der bot ihm 2019 eine Stelle als Trainer-Praktikant auf. Dort stieg er wieder ins Training ein - unter anderem mit Weltklasse-Athleten wie Maicel Uibo, WM-Zweiter von 2019 und Devon Williams, US-Meister 2019.

Danach ging es rasch bergauf mit seiner Leistung und im April schraubte er seine persönliche Bestleistung beim Spec Towns Invitational in Athens auf 8476 Punkte und wurde hinter dem Esten Karel Tilga Zweiter.

Noch viel mehr als den sportlichen Erfolg genießt er aber die Kameradschaft unter den Athleten. "Man ist zehn Wettkämpfe lang mit denselben Leuten da draußen. Es ist ein mentaler Kampf und die Leute, mit denen man sich verbindet, sind es, die einen durch die Wettkämpfe tragen."

Dieses Gefühl kann Scantling nun auch bei den Olympischen Spielen genießen - und womöglich feiert der laufende Buchhalter mit einem Medaillengewinn in Tokio sein nächstes Karriere-Highlight.