"Diese Einstellung ist auf jeden Fall ein Problem"

Bei der Schwimm-WM Ende Juni in Budapest war Florian Wellbrock ein verlässlicher Medaillenlieferant für das deutsche Team.

In fünf Rennen holte er fünf Medaillen, davon zweimal Gold. Dabei war er sogar ausnahmsweise mit seinem 800-Meter-Rennen zufrieden, wie er SPORT1 im exklusiven Interview erzählt.

Darin spricht der 24-Jährige auch über die Ziele für die anstehende Europameisterschaft in Rom, die Krise im deutschen Schwimmsport und seine Meinung zur Fußball-Bundesliga.

SPORT1: Herr Wellbrock, mit fünf Medaillen bei einer einzelnen Schwimm-WM haben Sie in Budapest den deutschen Rekord eingestellt. Was sind abgesehen von der EM Ihre nächsten ganz großen Ziele?

Florian Wellbrock: Ich bin mit der WM sehr zufrieden. Ich hatte sonst immer das Problem, dass eine Strecke nicht so gut geklappt hat. Dieses Mal habe ich über fünf Strecken fünf Medaillen gewonnen. Die Möglichkeiten, meine Titel über 1.500 Meter und 10.000 Meter zu verteidigen, habe ich verpasst. Das hat mich aber nicht sehr gewurmt, da ich mit fünf Medaillen nach Hause fahren konnte. Das Gesamtpaket hat mich sehr zufrieden gestellt.

Die Ambitionen für die EM muss ich ein bisschen zurückschrauben, da ich nach der WM an Covid erkrankt bin. Ich habe inklusive WM und der Vorbereitung sechs bis sieben Wochen nicht richtig trainieren können. Ich merke im Training, dass da viel Substanz verloren gegangen ist. Man muss jetzt schauen, wie schnell ich wieder in Form komme. (BERICHT: Wellbrock verzichtet auf Start über 800 Meter)

Wellbrock belohnt sich mit Cola

SPORT1: Gönnen Sie sich nach erfolgreichen Wettkämpfen auch mal eine Kleinigkeit oder müssen Sie weiter diszipliniert auf Ihre Linie achten?

Wellbrock: Nach einem erfolgreichen Rennen gönne ich mir des Öfteren eine Cola als Belohnung. Das ist dann mein Weg, den Erfolg zu zelebrieren, ohne den Fokus auf die weiteren Rennen zu verlieren.

SPORT1: Sie haben vor der WM gesagt, dass Sie noch nie mit einem 800-Meter-Rennen zufrieden waren. In Budapest haben Sie in dieser Disziplin immerhin Silber geholt und sind zugleich deutschen Rekord geschwommen – waren Sie also diesmal zufrieden?

Wellbrock: Ich bin mit dem Rennen sehr zufrieden gewesen. Dennoch weiß ich, dass es noch nicht das Maximum war. Es gibt natürlich kleinere Feinheiten, die man noch etwas verbessern könnte. Mit der Silbermedaille bin ich dennoch sehr zufrieden gewesen, auch weil ich mit 7:39 Minuten unter der Marke von 7:40 Minute bleiben konnte.

SPORT1: Sie haben vor der WM eine Krise im deutschen Schwimm-Verband ausgemacht. Was genau läuft aktuell schief? Was sehen Sie für Verbesserungsmöglichkeiten in der Zukunft?

Wellbrock: Ich sehe einige Verbesserungsmöglichkeiten im Deutschen Schwimm-Verband. Die fangen irgendwo bei den Sportlern an und hören bei den Trainern auf. Es muss in vielen Bereichen in erster Linie einfach mehr und härter gearbeitet werden. Bei manchen Sportlern habe ich das Gefühl, dass sie zu früh und zu schnell zufrieden sind, wodurch die letzten entscheidenden Prozente Ehrgeiz fehlen. Diese Einstellung ist auf jeden Fall ein Problem, welche mit wenig Aufwand schnell und konsequent verbessert werden kann. Das muss das Ziel sein.

Wellbrock findet Bundesliga „fast schon langweilig“

SPORT1: Glauben Sie allgemein an einen Aufwärtstrend nach der WM oder befürchten Sie weitere Schwierigkeiten?

Wellbrock: Nur dadurch, dass ich eine gute Weltmeisterschaft geschwommen bin, haben wir nicht direkt einen Aufwärtstrend im DSV. Natürlich war die WM auch für den Verband erfolgreich, wenn man aber genauer betrachtet, wer die Medaillen geholt hat, dann waren es bei den Männern im Beckenschwimmen nur Lukas (Märtens, Anm. d. Red.) und ich. Wir trainieren gemeinsam in Magdeburg bei Bernd Berkhahn. Die einzige Frauenmedaille im Becken wurde von Anna Elendt gewonnen, die in den USA trainiert. Wir hatten nicht ohne Grund ein sehr kleines Team von nur zehn Schwimmer*innen bei der WM. Man muss schon gucken, dass es mit dem Schwimmsport langfristig wieder bergauf geht. (NEWS: Alles Wichtige zum Schwimmen)

SPORT1: Bei der Schwimm-EM in Rom wird einer Ihrer Konkurrenten, Gregorio Paltrinieri, als Lokalmatador an den Start gehen. Wie bekommen Sie die Stimmung von den Rängen im Becken mit? Beeinflusst Sie das?

Wellbrock: Ich bekomme zuschauertechnisch wirklich nur das mit, was vor unserem Start und nach unserem Rennen passiert. Während des Schwimmens bekomme ich nur das mit, was links und rechts neben mir passiert. Da kann auf der Tribüne was auch immer passieren, das bekomme ich nicht mit.

SPORT1: Würden Sie sich als einen Fußball-Fan betiteln? Wenn ja, welchen Verein verfolgen Sie?

Wellbrock: Ich bin fußballinteressiert, habe aber keinen Verein, den ich durchgehend supporte. Ich finde die Bundesliga wegen der Dominanz des FC Bayern fast schon langweilig.

Wellbrock kritisiert „ungleiche Gehälterverteilung“

SPORT1: Im Vergleich zur Fußball-WM findet die Schwimm-WM alle zwei Jahre statt. Wünschen Sie sich einen ähnlichen Rhythmus und einen damit verbundenen höheren Stellenwert der WM wie im Fußball?

Wellbrock: Eine Weltmeisterschaft nur alle vier Jahre wäre mir deutlich zu wenig. Im Fußball zählt die WM auch einfach mehr als Olympia, das ist bei uns anders. Für uns ist Olympia das Maß aller Dinge. Durch die Verschiebungen seit Corona haben wir jetzt bis 2025 jedes Jahr entweder eine WM oder Olympia (2024 in Paris, Anm. d. Red.), was ich sehr reizvoll finde. Ich bin mit der aktuellen Situation sehr zufrieden, auch dass wir dieses Jahr sowohl eine WM als auch EM haben. Eine durchaus herausfordernde, aber spannende Konstellation. (BERICHT: Wellbrock trifft Entscheidung zur EM)

SPORT1: Wie bewerten Sie die Ungerechtigkeit der Verteilung der Gelder, sowohl unter den Sportarten als auch unter den Geschlechtern? Im Baseball lehnte ein Profi (Juan Soto) zuletzt einen Vertrag über 440 Millionen US-Dollar ab…

Wellbrock: Auf der einen Seite ist die ungleiche Gehälterverteilung im Sport für mich ein Unding. Auf der anderen Seite kann ich es irgendwo marketingtechnisch nachvollziehen, dass im Männersport generell mehr Geld vorhanden ist, weil der Männersport mehr Publikum anzieht. Deswegen ist da auch ein anderer Geldfluss vorhanden. Dennoch bin ich sehr froh darüber, dass wir Schwimmer und Schwimmerinnen über den Weltverband das gleiche Geld bekommen. Die Lücke der ungleichen Verteilung der Gelder zwischen Männern und Frauen im Schwimmsport konnte zum Glück geschlossen werden.