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"Die Formel 1 stirbt" - diese Änderungen müssen dringend her

"Der Frankreich-Grand-Prix war das schlechteste Rennen, das ich je gesehen habe. Die Formel 1 muss sich ändern oder sie stirbt", heißt es in einem Kommentar des Daily Telegraph.

Ähnlich sahen es auch italienische Gazzetten und selbst einige Fahrer sind der Ansicht, dass es so nicht weitergehen kann. Am deutlichsten wurde Sieger Lewis Hamilton, dessen sechster WM-Titel noch vor der Saisonhälfte quasi feststeht.

"Ich sehe den Schlamassel, in dem wir stecken. Aber das ist nicht die Schuld der Fahrer. Wir sollten die Leute an der Spitze unter Druck setzen, die sollten ihren Job anständig machen", sagte der Mercedes-Pilot, der zudem von "jahrelangen schlechten Entscheidungen" sprach.

Auch Mercedes kann man nicht ankreiden, dass sie ihre Ressourcen-Vorteile ausspielen und ähnlich große Teams wie Ferrari schwächeln. Doch auch die Silberpfeilen wissen, dass ihre aktuelle Dominanz kontraproduktiv ist. Denn selbst die beste Werbung nützt wenig, wenn niemand zusieht.

SPORT1 macht fünf Vorschläge, was sich in der Formel 1 ändern sollte.

- Budget-Obergrenze und faire Aufteilung

Als Liberty Media zum neuen Eigner der Formel 1 wurde, kündigte F1-Sportdirektor Ross Brawn an, eine größere Chancengleichheit ganz oben auf der Agenda zu haben: "Auch Privatteams müssen Rennen gewinnen können, wenn an einem Tag alles passt. Das ist im Moment ziemlich ausgeschlossen."

Was nicht bedeutet, dass alle Teams gleichmacht werden sollen. Doch eine Budget-Obergrenze sowie eine ausgeglichenere Verteilung der Einnahmen würde dabei helfen, dass die Schere zumindest nicht noch weiter auseinander geht. (DATENCENTER: Die Fahrerwertung der Formel 1)

So erhielten Ferrari, Mercedes und Red Bull 2018 um 15 Prozent mehr Geld als alle anderen sieben Teams zusammen. Die drei Topteams profitieren vor allem von Bonuszahlungen: Ferrari erhält 93 Millionen, Traditionsrennstall Williams nur neun.

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Und wer immer noch nicht von der Lächerlichkeit, der von Ex-F1-Boss Bernie Ecclestone ausgehandelten Verträge überzeugt ist: Ferrari hätte selbst als WM-Letzter mehr als das Doppelte im Vergleich zum WM-Vierten Force India kassiert. Jener Rennstall, der 2018 Insolvenz anmeldete.

- Entscheidungsfindung ohne Veto-Recht

Auch wenn Ross Brawn und Liberty Media um die Probleme der Formel 1 wissen, gibt es ein entscheidendes Problem: Gegen die Geldverteilung in der Formel 1 kann die FIA nichts tun, da dies den kommerziellen Rechtehalter obliegt. (DATENCENTER: Die Teamwertung der Formel 1)

Auch sonst gibt es vor Regeländerungen erst eine große Abstimmung, bei dem eine einfache Mehrheit nicht ausreicht. Alles, was die Vormachtstellung bedroht, wird von Mercedes und Ferrari abgelehnt - und die nötigen Stimmen der Kundenteams hat man laut Ecclestone auch, da diese ja auf deren Motoren angewiesen sind.

Das größte Ärgernis ist das Veto-Recht von Ferrari, mit dem das Team Änderungen im Alleingang blockieren kann. "Wir schlugen vor, Mittel und Wege zu finden, mittelfristig kostengünstigere Motoren zu haben - doch Ferrari machte von seinem Veto-Recht Gebrauch", verriet FIA-Präsident Jean Todt 2015.

Liberty Media muss daher einen Weg finden, dass solche Dinge der Vergangenheit angehören - auch auf die Gefahr hin, dass Ferrari wieder mit dem Ausstieg droht. Denn wie sagte es Brawn: "Wird der Sport größer, wächst auch für alle Parteien der Nutzen."

- Fahrer-Rolle muss größer werden

Einer der Kernpunkte der Kritik von Fahrern wie Hamilton, Max Verstappen und Sergio Perez, ist die Rolle der Fahrer. "Du bist komplett davon abhängig, welches Potenzial dein Auto hat. Seit einigen Jahren ist es nur noch eine Team-WM. Es ist schlimmer geworden, seit ich dabei bin", klagte der Mexikaner.

Von den letzten 186 Podestplatzierungen gingen 184 an Mercedes, Ferrari und Red Bull. Bei den Siegen herrscht ein ähnliches Ungleichgewicht, weshalb Max Verstappen als einer der schnellsten F1-Piloten seit Jahren keine Chance hat, um den WM-Titel zu kämpfen.

Natürlich haben seit jeher die Autos in der Formel 1 mitentschieden, wer Siege einfährt. Doch der Fahrereinfluss ist aktuell geringer denn je. Das gilt aber nicht nur für ihre Rolle im Auto, sondern auch außerhalb. So hatten die Fahrer lange Zeit kein Mitspracherecht bezüglich Regeländerungen.

"Die Verantwortlichen haben zu lange gebraucht, um zu verstehen, dass wir Fahrer bei den Gesprächen über die Regeln dabei sein sollten", sagte Hamilton, der wie Nico Hülkenberg nach Paris gereist war, um über die geplanten Regeländerungen für 2021 zu diskutieren.

Auch Sebastian Vettel, in dieser Saison lediglich Podiumsstatist neben den überlegenen Mercedes, sieht die Entwicklung in der Formel 1 kritisch. "Die Formel 1 als Vorreiter moderner Technologie hat sicher einerseits ihre Berechtigung, aber sie darf halt bei dem heute möglichen technischen Fortschritt auch nicht zu weit gehen. Wenn die die Formel 1 heute das Top-Level der möglichen Technologie darstellen würde, dann hätten wir - krass gesagt - keine Fahrer mehr im Auto. Und das ist es ja nicht, was die Fans wollen" sagte er im Magazin Socrates.

- Überholmanöver leichter machen

Das Wettrüsten in der Formel 1 führt unter anderem dazu, dass die Aerodynamik etwas kompliziert ist. Unter Normbedingungen fährt das Fahrzeug wie auf Schienen - doch kaum nähert man sich einem Gegner, verliert der eigene Bolide viel Abtrieb, rutscht herum und die Oberflächen der Reifen überhitzen.

Dies trägt dazu bei, dass man in der Formel 1 nur noch wenige Attacken sieht, da man als Hintermann je nach Strecke ein oder sogar zwei Sekunden pro Runde schneller sein muss, um eine realistische Chance auf ein erfolgreiches Überholmanöver zu haben.

Ein weiteres Problem: In dieser Saison haben die Pirelli-Reifen eine dünnere Lauffläche und nutzen sich deshalb kaum mehr ab. Die Folge sind viele Einstopp-Rennen und wenige taktische Variationen. Die einzige Schwäche von Mercedes wurde so eliminiert - zum Ärger von Ferrari und Red Bull.

Denn mit einem reifenschonenden Auto sei es kaum mehr möglich, die Reifen ins Arbeitsfenster zu bringen. "Es spielt keine Rolle, wie gut dein Auto ist. Wenn du das Fenster nicht triffst, bist du chancenlos", tobte Red-Bull-Berater Helmut Marko. Für Haas-Chef Günther Steiner ist es sogar eine Reifenfenster-WM.

- Radikale Änderungen wie Startplatz-Tausch

Die Formel 1 soll nicht ihre Identität verlieren, weshalb dies das allerletzte Mittel wäre. Aber falls die Rennen weiter "spannend wie eine Schafsherde auf einer Weide" - Zitat Corriere dello Sport - bleiben, muss über größere Änderungen nachgedacht werden.

Es muss ja nicht direkt ganz so verrückt sein, wie die von Ecclestone einst vorgeschlagene künstliche Bewässerung eines Streckenteils oder sein noch aberwitzigerer Vorschlag, 40 Zentimeter hohe Mauern um die Kurven zu bauen, um den Risikofaktor zu erhöhen.

Um spannendere Rennen zu kriegen, könnte man, wie auch in anderen Rennserien, die Top 10 des vorherigen Rennens in umgekehrter Reihenfolge starten lassen bzw. jene zehn Fahrer im Qualifying die Plätze zwischen 11 und 20 ausfahren lassen.

Es wäre wünschenswert, wenn die Formel 1 nicht zu solchen Mitteln greifen muss. Doch irgendetwas muss passieren - sonst werden immer mehr F1-Zuschauer Sonntagnachmittags auf der Weide anzutreffen sein.