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Kimmich? "Es ging um verdammt viel für beide"

Zum dritten Mal in seiner Karriere steht Ilkay Gündogan in einem Champions-League-Finale. Nach zwei Anläufen mit Dortmund (2013) und Manchester City (2021) will der 32 Jahre alte Routinier diesmal endlich den Henkelpott in den Händen halten.

Vor dem Endspiel gegen Inter Mailand hat der Mittelfeld-Regisseur exklusiv mit SPORT1 gesprochen. Ein Gespräch über seine Top-Leistungen auf der Insel, gesunde Ernährung, Pep Guardiola, den BVB, die Bundesliga und einen Zoff mit Joshua Kimmich.

SPORT1: Ilkay, Manchester City jagt von einem Triumph zum nächsten – mit Ihnen als Kapitän und Leistungsträger. Bevor wir über das Champions-League-Finale sprechen: Wie blicken Sie auf den Gewinn der Meisterschaft und des FA Cups zurück?

Ilkay Gündogan: Es ist unbeschreiblich! Ich bin mega stolz, dass wir das Double gewinnen konnten und ich meinen Beitrag dazu leisten konnte. Und dann auch noch im Derby gegen ManUnited – das macht es eben ganz besonders.

SPORT1: Sie haben doppelt getroffen. Ihr DFB-Kollege Leroy Sané hat sich für Sie mitgefreut und bei Twitter einen interessanten Vergleich hergestellt – zum „echten“ Ronaldo. Sehen wir Sie bald mit der legendären WM-Frisur des Brasilianers?

Gündogan: Die Frisur steht mir nicht schlecht, oder? Da muss ich mal mit meiner Frau drüber sprechen! (lacht) Nein, Spaß! Ich habe zu Leroy ein sehr, sehr gutes Verhältnis. Wir mögen uns wirklich sehr, waren in Manchester jahrelang Nachbarn. Daher hat es mich jetzt nicht überrascht, dass der Scherz genau von ihm kam.

Gündogan: „Rüdiger kann ziemlich verrückt sein!“

SPORT1: Haben Sie einen – im positiven Sinne – noch verrückteren Teamkollegen?

Gündogan: Toni Rüdiger kann schon ziemlich verrückt sein! Selten gab es wohl so eine Kombination aus Verrücktheit, Lockerheit und gleichzeitig aber doch so viel Verbissenheit im Training und im Spiel. Er ist einfach immer unter Feuer! Und wenn die Einheit vorbei ist, haut er Sekunden später einen Scherz nach dem anderen raus!

SPORT1: Kommen wir zurück zu ManCity und zu Ihren Leistungen. Sie performen mittlerweile seit Jahren auf allerhöchstem Niveau. Nennen Sie uns bitte Ihr Erfolgsrezept!

Gündogan: Da gibt es viele Dinge. Grundsätzlich ist mir mein Schlaf absolut heilig. Es dürfen gerne zwischen acht und zehn Stunden sein, damit ich wirklich 100 Prozent fit bin. Seit mein Sohn auf der Welt ist, ist es logischerweise hier und da mal etwas weniger. Aber da bin ich meiner Frau sehr dankbar, da sie nahezu immer diejenige ist, die nachts aufsteht und sich um den Kleinen kümmert. Tagsüber ist er inzwischen aber mein absolutes Highlight – wenn er mich angrinst, dann sind wirklich alle anderen Sorgen und Probleme vergessen. Ich konnte meine ganze Karriere noch nie so gut abschalten und alles um mich herum vergessen wie jetzt, wenn ich mit meinem Sohn spielen kann.

SPORT1: Welche Rolle spielt Ihre Ernährung?

Gündogan: Da achte ich auch so gut es geht auf mich. Möglichst wenig Kohlenhydrate, gedünstetes Fleisch und über den Tag verteilt nicht zu viele, aber auch nicht zu wenige Portionen. Ganz ohne Süßigkeiten geht es zum Teil nicht, aber zumindest deutlich weniger als in meiner Teenagerzeit als ich nahezu alles gegessen habe. Außerdem profitiert mein Körper davon, dass der leckere Döner aus Deutschland hier auch ein Stück weg ist. (lacht)

„Deutsches Interesse an der Premier League gestiegen“

SPORT1: Sie liefen trotz Ihrer Leistungen in Deutschland immer etwas unter dem Radar. Verspüren Sie nun, da mehr Leute über Sie sprechen und Ihre Leistungen würdigen, auch eine Art Genugtuung?

Gündogan: Ich denke, es liegt in der Natur der Sache, dass über die ausländischen Ligen nun mal nicht so viel berichtet wird wie über die Heimatliga. Zudem sind meine Stärken auf dem Spielfeld auch nicht zwingend immer die Aktionen, die es in jede vier oder fünfminütige Zusammenfassung schaffen. Die letzten Jahre hat sich das, denke ich, deutlich geändert. Soweit ich das mitbekommen habe, ist auch das Interesse an der Premier League in Deutschland enorm gestiegen und in der Champions League waren wir jetzt auch mehrfach bis zum Schluss dabei und hatten immer wieder deutsche Gegner.

SPORT1: Interessiert es Sie überhaupt, was über Sie gesagt oder geschrieben wird?

Gündogan: Früher habe ich auf Social Media deutlich mehr konsumiert. Jetzt mit Familie und allem drum und dran ist das etwas weniger geworden. Trotzdem folge ich aber auch verschiedenen Sportmedien auf meinem Smartphone. Wenn es etwas Spannendes über mich gibt, kriege ich das meist von Freunden oder meinem Team zugeschickt, noch bevor ich selbst darüber stolpere. Grundsätzlich mag ich es aber nicht so sehr, wenn super viel über mich berichtet wird – selbst wenn es positiv ist. Trotzdem tausche ich mich gerne in Maßen mit Journalisten aus oder gebe mal ein Interview, auch weil ich einfach weiß, dass das Teil des Jobs ist und einfach dazugehört. Noch weniger mag ich nämlich, wenn sehr viel über mich statt mit mir gesprochen wird.

SPORT1: Viel wird jetzt über das große Finale am Samstag in der Königsklasse gegen Inter Mailand gesprochen. Sie haben schon zwei Endspiele absolviert – und verloren. Was ist nun vor dem dritten Anlauf bei Ihnen größer: die Vorfreude, wieder diese Chance zu haben, oder die Angst vor dem Scheitern?

Gündogan: Definitiv die Vorfreude. Sonst bräuchte ich nicht anzutreten. Trotzdem kann ich die Frage verstehen. Mehr Lust aufs Gewinnen haben statt Angst zu verlieren, ist in solchen Finalspielen immer entscheidend. Aber es ist ja letztendlich keine Abstiegsrelegation – es ist das größte Finale im Vereinsfußball weltweit! Und das muss man einfach versuchen, vollständig zu genießen und sich immer wieder vor Augen führen, woher man kommt und was für ein riesiges Privileg es ist, dort auflaufen zu dürfen. Hätte man mir mit 18 Jahren gesagt, dass ich mal in drei Champions-League-Finals stehen werde, hätte ich diese Person für nicht zurechnungsfähig erklärt. Daher lasse ich mich mit Negativszenarien auch nicht mehr aus der Ruhe bringen.

SPORT1: Wie bereiten Sie sich mental auf so ein Spiel vor? Sind Sie eher der Typ, der sich komplett abschottet oder brauchen Sie ein bisschen Ablenkung von Familie und Freunden?

Gündogan: Ich brauche komplett meine Ruhe. Ehrlich gesagt wissen Familie und Freunde auch, dass ich nicht der Typ bin, der dann am Nachmittag vor dem Spiel noch für viele Facetime-Runden oder Ähnliches zur Verfügung steht. Ich bin dann komplett bei mir, gehe gedanklich das Spiel schonmal durch und bereite mich mental darauf vor.

Gündogan bald eine Mischung aus Klopp und Guardiola?

SPORT1: Ist Fußball ihrer Ansicht nach eigentlich Kopfsache? Oder braucht es diesen taktischen Masterplan, wie ihn Ihr Coach Pep Guardiola eigentlich immer parat hat?

Gündogan: Ich würde tatsächlich sagen, dass es 80 bis 90 Prozent Kopfsache ist! Aber auch, dass es bei jedem Spieler im Kopf stimmt, ist Teil der Verantwortung des Trainers und das beherrscht Pep sehr gut. Er weiß genau, wann er uns motivieren muss, wann er mal lauter werden muss und auch wann er uns in Schutz nehmen muss.

SPORT1: Sie wollen selbst mal Coach werden. Welchem Ihrer bisherigen Trainer werden Sie mal mehr ähneln: den Ballbesitz-Fetischisten Guardiola und Tuchel oder eher dem Heavy-Metal-Typen Klopp?

Gündogan: Ich will im Optimalfall natürlich die Mischung aus allem sein. Wenn ich mir von jedem das Beste herausziehe, sollte die Kombi nicht die schlechteste sein, oder? (lacht) Es könnte aber sehr gut eher auf Ballbesitzfußball hinauslaufen – schon alleine wegen meines eigenen Spielertyps.

SPORT1: Wie groß der Druck in Alles-Oder-Nichts-Spielen werden kann, hat das Saison-Finale in der Bundesliga gezeigt. Ihr Ex-Klub Borussia Dortmund ist auf den letzten Metern gescheitert. Wie erklärt sich der vielleicht künftige Trainer Ilkay Gündogan das?

Gündogan: Das war an Dramatik natürlich kaum zu überbieten. Wenngleich ich aus vergleichbaren Spielen bei ManCity am letzten Spieltag weiß, wie schwer es dann oft wird, ein Spiel zu gewinnen, das für die Öffentlichkeit schon nahezu sicher als Sieg verbucht ist. Das ist brandgefährlich!

SPORT1: Wird sich der BVB von diesem Schock erholen?

Gündogan: Ich denke, die Historie hat gezeigt, dass große Vereine an knappen Niederlagen in Finalspielen eher immer gewachsen sind, statt dass sie es im größeren Stil zurückgeworfen hat. So sollte es der BVB jetzt auch angehen. Ich denke nicht, dass kommende Saison die Erwartungshaltung für den BVB riesig sein wird. Die Mannschaft ist sehr talentiert, die Rückrunde war enorm stark. Sébastien Haller hat ihnen einen großen Schub verliehen. Marco und Mats bleiben beide und sind definitiv zwei sehr wichtige Charaktere für die Entwicklung dieser jungen Mannschaft.

SPORT1: Was sagt es über den deutschen Fußball aus, dass der FC Bayern in einer so schwachen, chaotischen und unruhigen Saison wieder nicht vom Thron gestoßen werden konnte?

Gündogan: Man kann es so sehen oder auch anders: Ich denke, das waren mit die aufregendsten 90 Minuten Meisterschaftskampf für den deutschen Fußball seit Jahrzehnten. Immerhin war es bis zum Schluss hochspannend und es war nicht schon an Ostern komplett oder zu 95 Prozent entschieden.

SPORT1: Wenn man Ihren Abschied vor sieben Jahren oder jetzt auch den Abgang von Jude Bellingham in Richtung Madrid betrachtet, bekommt man aber trotzdem den Eindruck, dass die Bundesliga für ambitionierte Top-Spieler außerhalb von München einfach nicht sexy genug ist. Oder?

Gündogan: Das würde ich so verallgemeinert vielleicht nicht ganz mitgehen. Es gibt immer noch sehr viele Gründe, warum sich vor allem junge Spieler für einen Wechsel in die Bundesliga entscheiden. Bei mir war es damals weniger eine Entscheidung gegen die Bundesliga, sondern viel mehr eine Entscheidung für eine neue Herausforderung in einem neuen Land unter einem Weltklasse-Trainer. Die Bundesliga bleibt aber eine sehr starke Marke.

Kimmich? „Es ging um verdammt viel für beide“

SPORT1: Kurz noch zum DFB-Team: Sie werden nach dem Finale nachträglich nach Frankfurt reisen und damit erstmals nach der Enttäuschung bei der WM in Katar wieder bei der Nationalmannschaft sein. Ihr DFB-Kollege Joshua Kimmich äußerte nach dem Turnier-Aus, er habe Angst, in ein mentales Loch zu fallen. Wie war das bei Ihnen?

Gündogan: Für mich war es auch unfassbar schwer, mit der Enttäuschung umzugehen. Ich war tiefgründig verärgert über das frühe Aus. Das Gute bei mir war lediglich, dass es nach der WM-Pause bei ManCity sehr schnell sehr positiv lief. Erfolg lenkt nun mal am besten von Misserfolg ab. Zwar sind City und DFB zwei verschiedene Paar Schuhe, aber trotzdem wusste ich, dass man nicht mehr zurückreisen und es ändern kann. Wenn man so will, war das der Vorteil der WM mitten in der Saison – nach kurzer Pause gab es zumindest auf Vereinsebene wieder die Chance auf Erfolgserlebnisse, während nach einer Sommer-EM oder WM die Pause ewig erscheint bis zu den nächsten Pflichtspielen.

SPORT1: Stichwort Kimmich: Es gab eine kleine Auseinandersetzung zwischen Ihnen und dem Bayern-Star auf dem Platz nach dem Duell mit den Bayern. Haben Sie sich inzwischen ausgesprochen?

Gündogan: In dem Spiel ging es um verdammt viel für beide. Für mich war das spätestens beim Abpfiff aber wieder vergessen. Während der 90 Minuten machen wir aber keine Unterschiede, ob wir uns aus der Nationalmannschaft kennen oder nicht. Im Halbfinale wurde ich ja leider auch von Toni Rüdiger umgehauen. (lacht) Aber auch das war dann schnell wieder vergessen und gehört einfach dazu.