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„Gegen die Notbremse gestolpert“: Interner Polizeivermerk zeigt den Irrsinn, den Bahn-Mitarbeiter erdulden müssen

Ein Bahnreisender steigt am Bahnhof aus einem Intercity aus. - Copyright: picture alliance/dpa
Ein Bahnreisender steigt am Bahnhof aus einem Intercity aus. - Copyright: picture alliance/dpa

Wer mit der Bahn fährt, sollte Geduld mitbringen – denn immer mehr Verspätungen und Ausfälle strapazieren die Nerven der Reisenden. Die Wut über das historische Pünktlichkeitstief der Bahn bekommen aber vor allem jene zu spüren, die für das Desaster am wenigsten können: das Bordpersonal. Sogar die körperliche Gewalt nimmt zu: 2022 gab es 3.138 Übergriffe auf Bahn-Mitarbeiter, rund 21 Prozent mehr als im Vorjahr.

Ein interner Polizeibericht, der Business Insider vorliegt, zeigt nicht nur, dass die Gründe für massenhafte Verspätungen außerhalb der Macht der Mitarbeiter liegen. Sondern auch, was diese täglich mit schwierigen Kunden durchmachen müssen. So wird in dem Bericht ein Vorfall beschrieben, der sich am vergangenen Mittwoch im IC 118 auf der Strecke Innsbruck – Dortmund ereignete.

„Unbeabsichtigt die Notbremse gezogen und ausgestiegen“

Gegen 17 Uhr stoppte der Zug demnach plötzlich auf dem Streckenabschnitt zwischen Bodenheim und Nierstein. Der Grund: Ein 27-jähriger Mann aus Friedrichshafen hatte erst die Notbremse gezogen, dann die Notentriegelung betätigt und war anschließend ausgestiegen. Wörtlich: "Kurze Zeit später steht die Person wieder neben dem Zug und möchte gern wieder einsteigen". Er sei gestolpert und hätte "aus Versehen" die Notbremse und die Türnotentriegelung betätigt, heißt es im Bericht weiter. Und er sei unbeabsichtigt ausgestiegen. Was freilich nicht so ganz zu der Stolper-Geschichte passt: Die Notbremse muss eigentlich aktiv gezogen werden.

Der Streckenabschnitt wurde daraufhin auf beiden Gleisen für rund eineinhalb Stunden gesperrt, die Bundespolizei und ein Notfallmanager kamen zum Einsatz. Zwölf weitere Züge hatten infolge des Einsatzes Verspätungen. Gegen 18:22 Uhr erreichte der IC 118 mit 80 Minuten Verspätung seinen nächsten Halt Mainz Hauptbahnhof.

Keine Rückerstattung dank neuer EU-Verordnung

Gegen den Täter wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Missbrauchs von Nothilfeeinrichtungen und gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr eingeleitet. Für ihn könnte die Geschichte teuer werden: Wer absichtlich Notrufe missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe (in der Regel ein Bußgeld von 200 Euro) bestraft. Zudem kann die Bahn Schadensersatzansprüche geltend machen.

Reisende gehen mit Gepäck am Bahnsteig am Nürnberger Hauptbahnhof neben einem ICE entlang.
Reisende gehen mit Gepäck am Bahnsteig am Nürnberger Hauptbahnhof neben einem ICE entlang.

Immerhin: Verletzt wurde niemand, teilt eine Sprecherin der Bundespolizei auf Business-Insider-Anfrage mit. Allerdings ärgerlich für die Fahrgäste: Normalerweise könnten sie sich für die Verspätung 25 Prozent ihres Tickets erstatten lassen. Doch am selben Tag trat eine neue EU-Verordnung in Kraft, nach der die Deutsche Bahn bei Verspätungen durch Notfälle nicht mehr zahlen muss. Beispielsweise bei Extremwetter oder Verschuldung durch einen Fahrgast. Der Fall des stolpernden Notbremsenziehers fällt laut der Bahn-Pressestelle darunter.