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Gehaltsverzicht? Mobbing? Erster Profi packt aus

Und plötzlich war Christoph Hemlein raus. Im November 2019 wurde er völlig überraschend beim 1. FC Kaiserslautern suspendiert.

Der 29-Jährige, der seine erfolgreichste Zeit als Fußballer von 2014 bis 2018 bei Arminia Bielefeld hatte, durchlebte die härteste Zeit in seiner Karriere. Die Coronakrise kam für ihn schließlich zur Unzeit.
Seit dem 1. Juli ist Hemlein vereinslos.

Im SPORT1-Interview erhebt der gebürtige Heidelberger jetzt schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen beim FCK und spricht über unter anderem Gehaltsverzicht, falsche Tradition sowie fehlende Solidarität im Fußball. Der 1.FC Kaiserslautern wollte sich auf SPORT1-Nachfrage nicht zu Hemleins Ausführungen äußern.

SPORT1: Herr Hemlein, Sie wurden beim FCK vergangenen November suspendiert. War es seitdem die schwerste Phase Ihrer Karriere?

Christoph Hemlein: Ja. Ich kannte so eine Situation nicht. Ich hatte immer die Hoffnung, als mir gesagt wurde, dass es einen Weg zurück gäbe, wenn ich sportlich meine Leistung im Training bringen würde. Das hat mir Mut gemacht und deshalb habe ich weiter Gas gegeben.

SPORT1: Sie waren Kapitän, sind von heute auf morgen abgesetzt worden. Von wem sind Sie besonders enttäuscht?

Hemlein: Ich bin natürlich sehr enttäuscht von den Verantwortlichen. Zwei Tage vor meiner Suspendierung hielt der Trainer nach dem Pokalsieg zu Hause gegen Nürnberg vor der kompletten Mannschaft noch eine Lobeshymne auf mich und drei Tage später war ich raus. Es ist keine Frage dass ich sportlich nicht überzeugt habe. Auch dieser Schritt, einen vorübergehend zu "degradieren", ist für mich kein Problem. Nur muss ich es auch honorieren und einem Spieler wieder Chance gewähren, sich im Training dem Profi-Trainer anzubieten, wenn er sich vernünftig verhält, die Bedingungen annimmt und in der U21 nachweislich gute Leistungen bringt.

"Wusste nicht, wie es weitergeht"

SPORT1: Corona ist für den ganzen Fußball schwer zu verkraften, aber für Sie kam die Krise zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.

Hemlein: Corona kam für alle zum ungünstigsten Zeitpunkt. Aber wenn du nach einer Suspendierung sowieso nicht auf dich aufmerksam machen kannst, war das zusammen mit der Pandemie natürlich eine Voll-Katastrophe für mich. Ich wusste nicht, wie es weitergeht. Ich musste zum ersten Mal in meinem Leben in die Arbeitslosigkeit.

SPORT1: Sie haben zwei Kinder, wie haben Sie sich gefühlt?

Hemlein: Es war schrecklich und sehr frustrierend. Das ist es immer noch. Für Fußballer ist nicht nur das Spielen und Trainieren wichtig, sondern es sind auch die sozialen Momente. Für einen Profi gibt es nichts Schöneres als mit den Mannschaftskollegen in der Kabine Späße zu machen. Wenn du so etwas dann seit einem halben Jahr gar nicht mehr hast und weißt, dass du fit bist, dann ist das fast unerträglich.

SPORT1: Waren Sie dem Trainer als Typ zu unbequem?

Hemlein: Was heißt zu unbequem? Ich bin kein Spieler, der ständig zu spät kommt oder im Training Leute umhaut. Ich bin ein Spieler, der es hasst zu verlieren und für den der Erfolg über allem steht. Leider will ich manchmal zu viel, so dass ich mir dann selbst im Wege stehe. Fakt ist aber auch, dass ich auf meinen bisherigen Stationen bei vielen Trainern ein wertvolles Teammitglied war und auch immer um die 30 Spiele pro Saison gemacht habe.

Das wäre bestimmt nicht so, wenn ich ein Problemfall bin oder gewesen wäre. Der Trainer (Boris Schommers, Anm.d.Red.) hat Konfliktsituationen einfach nicht gerne. Das hat man auch im Fall Ehrmann gesehen. Dass Gerry kein einfacher Typ ist, ist klar. Aber wir sind beim Fußball, nicht beim Ballett. Da gehört eine eigene Meinung und auch manchmal das eine oder andere Schimpfwort dazu.

SPORT1: Im Fußball fehlen immer öfter echte Typen. Werden Profis immer handzahmer gemacht?

Hemlein: Auf jeden Fall. Ein anderes Problem ist, dass den Spielern immer erzählt wird, man soll sich mit dem Verein identifizieren. Aber wie soll das gehen, wenn du als Profi mal eine schwächere Phase hast, was völlig normal ist, und dann wirst du vom Hof gejagt? Der FCK ist ein toller Klub. Aber der Weg, der uns vermittelt wurde, wurde leider nach zwei Monaten schon wieder verlassen.

"Oft können sich Fußballer gar nicht entwickeln"

SPORT1: Verstecken sich Klub-Bosse heutzutage hinter dem Wort Tradition?

Hemlein: Ich denke schon. Tradition ist etwas, das sich über Jahre entwickeln muss. Aber oft können sich Fußballer gar nicht entwickeln, weil sie zu schnell einfach nur funktionieren müssen. Die Leute erwarten sofort Top-Leistungen, was durchaus verständlich ist, weil du auch gutes Geld verdienst. Aber wenn du zwei, drei Wochen mal nicht so funktionierst, dann war es das schon wieder. Und echte Werte werden im Fußball längst mit Füßen getreten. Tradition wird nicht mehr gelebt. Ein positives Beispiel ist mein Ex-Klub Arminia Bielefeld. Da wurde in den vergangenen Jahren stets Ruhe bewahrt. Und der Aufstieg war der verdiente Lohn.

SPORT1: Sie haben auch von Mobbing während der ersten schweren Corona-Zeit gesprochen. Können Sie da konkret werden?

Hemlein: Es kommt ja immer darauf an, was man persönlich als Mobbing empfindet. In diesem Fall ging es für mich zumindest in diese Richtung. Im Winter gab es Team-Feiern und eine Weihnachtsfeier. Da wurden Whatsapp-Gruppen erstellt, die vom Teammanager in Auftrag gegeben wurden. Nur die drei suspendierten Spieler waren nicht dabei, weil man uns einfach nicht mehr dabei haben wollte. Aber einige Tage zuvor war ich noch Teil der Mannschaft. Ich habe diesen Verein bis zum 6. November gelebt. Ich habe sportlich sicher nicht überzeugt. Ich habe aber im vergangenen Sommer im Pokalfinale gegen Worms sogar mit einer Muskelverletzung gespielt, um zumindest das kleine Ziel DFB-Pokal zu erreichen.

"Nie mehr eine faire Chance bekommen"

SPORT1: Halten Sie den Vorwurf Mobbing aufrecht?

Hemlein: Ich habe nie mehr eine faire Chance bekommen. In Pressekonferenzen wurde immer davon erzählt, dass ich mich wieder anbieten könne. Doch dann kam damals der Trainer der Amateure (Hans-Werner Moser, inzwischen auch nicht mehr da, Anm. d. Red.) zu mir und sagte 'Ich habe die Anweisung von der Geschäftsführung, dich nicht mehr spielen zu lassen'. Darauf hin habe ich mir rechtlichen Beistand geholt und den Verein informiert, dass ich mir vorbehalte, eine Klage einzureichen und mir so das Training einzufordern, das mir arbeitsrechtlich zusteht. Der Verein hat mir zugesichert, wenn ich das unterlassen würde, dürfte ich wieder am Spielbetrieb der U21 teilnehmen. Dies war dann leider auch nicht der Fall. Ich durfte nie wieder in einem Teste oder Pflichtspiel spielen.

SPORT1: Sie sprachen auch an, dass man den Spielern beim Thema Gehaltsverzicht erzählt habe, der Verein müsse nicht in die Insolvenz. Doch dann kam es anders.

Hemlein: Jeder hatte einen Gehaltsverzicht unterschrieben. Die Spieler haben sich informiert, und der Spielerrat hat einen Vorschlag ausgearbeitet. Zwei Spieler haben extra nachgefragt, bevor sie unterschrieben haben, ob eine Insolvenz im Raum stehe. Da kam die klare Antwort: 'Nein'. Denn die Verhandlungsposition bei einem Gehaltsverzicht sieht ganz anders aus, wenn eine Insolvenz im Raum steht. Das ist ein Punkt, da wirst du als Spieler einfach verarscht.

SPORT1: Was ist Ihr Hauptvorwurf?

Hemlein: Als Boris Schommers zum FCK kam, hat er ein Vier-Säulen-Programm aufgestellt, das überall hängt. Die erste Säule lautet Respekt. Ein respektvoller Umgang ist sicher nicht, einen Spieler zu degradieren. Das gehört dazu, aber definitiv nicht, ihn als Beispiel zu nehmen, wie es läuft, wenn man nicht nach seiner Nase tanzt. Respekt bedeutet laut Duden eine Leistung von jemandem anzuerkennen. In meinem Fall wäre das zumindest das fehlerlose Verhalten und die guten Leistungen in der U21 anzuerkennen und mir die Chance zu geben, mich ihm neu zu beweisen.

"Schommers ist ein Workaholic"

SPORT1: Das ist ein schwerer Vorwurf...

Hemlein: Aber es ist die Wahrheit. Schommers ist ein Workaholic, ein von Erfolg besessener Mensch, was ich für eine positive Einstellung halte. Aber er schießt auch über das Ziel hinaus. Mir wurde von anderen FCK-Spielern zugetragen, dass ihnen mit Rauswurf gedroht wird. Da werde ich als Beispiel genannt. So kann man nicht mit Spielern umgehen.

SPORT1: Wie sehr kämpfen Sie jetzt in der Coronakrise ums Überleben?

Hemlein: Das zum Glück nicht. Wenn man als Fußballer längere Zeit in höheren Ligen gespielt hat, sollte man ein wenig vorgesorgt haben.

SPORT1: Gibt es noch Solidarität im Fußball?

Hemlein: Corona hat uns alle verändert, aber Solidarität wird leider nur von uns Spielern verlangt. So war es in Kaiserslautern. Wo war die Solidarität mir gegenüber? Ich habe auf Gehalt verzichtet. Das war für mich selbstverständlich, alleine dem Verein und seinen Mitgliedern gegenüber. Im Gegenzug hätte man mich einfach zumindest in Kleingruppen mittrainieren lassen sollen. Das wäre auch Solidarität mir gegenüber gewesen. Aber ich durfte auch das nicht mehr.

SPORT1: Wie geht es mit Ihnen weiter?

Hemlein: Ich hoffe, dass sich für mich noch mal eine Tür öffnet und ich zeigen kann, dass ich das Fußballspielen nicht verlernt habe. Abschließend noch mal zur Klarstellung: Wenn ein Trainer mich sportlich zu einem gewissen Zeitpunkt nicht für gut genug befindet, ist das kein Problem. Fair wäre es, wenn ein Spieler mit gültigem Arbeitsvertrag dann zumindest im Training oder bei der 2. Mannschaft zeigen darf, dass er es besser kann.