Der geläuterte Frankreich-Star

Die Franzosen rufen Ousmane Dembélé liebevoll und wertschätzend „le mosquito“, weil er pfeilschnell über den Platz fliegt und im entscheidenden Moment zusticht.

Dabei leidet der französische Nationalspieler unter Ailurophobie, wie sein Stürmer-Kollege Randal Kolo Muani jüngst enthüllt hat. „Er hat Angst vor Katzen“, sagte der Eintracht-Star neckisch. „Und das bringt uns alle zum Lachen.“ (DATEN: WM-Spielplan 2022)

Seine Gegenspieler dagegen haben beim Tempo-Dribbler wenig zu lachen, wenn Dembélé sie - geschmeidig wie eine Katze - austanzt und sie nur noch seine „Pfoten“ im Wüstenstaub von hinten zu sehen bekommen.

„Ich will ein Protagonist dieser WM sein“, sagte der Flügelstürmer vom FC Barcelona in Katar vor Selbstbewusstsein strotzend, wo er nebst seinen Stärken vor allem mit unbekannten Eigenschaften zu überzeugen weiß.

Und das, obwohl er nur mit dem Etikett Ergänzungsspieler zur WM 2022 angereist war. Aber eine Verletzungswelle spülte ihn in die erste Elf der Équipe Tricolore.

SPORT1 erklärt die Verwandlung des einstigen Skandal-Profis zum geläuterten Leistungsträger der französischen Nationalmannschaft.

„Ich hatte drei, vier delikate Spielzeiten in Barcelona“

Er habe „drei, vier delikate Spielzeiten“ in Katalonien hinter sich, erklärte Dembélé bei der WM selbst - und das war sogar noch untertrieben. Denn seine Zeit bei Barca, seinem absoluten Lieblingsklub, war geprägt von Skandalen, Undiszipliniertheiten auf und neben dem Platz, zahlreichen Verletzungen, mangelnder Professionalität und großen Belastungen. (NEWS: Die Skandal-Akte von Ousmane D.)

Die 140 Millionen Euro schwere Ablösesumme, die Barcelona 2017 an den BVB bezahlt hatte, schien ihn fast zu erdrücken. Zudem belastete ihn sein Messie-Image, weil der Franzose sein Haus in Dortmund völlig verdreckt an den Vermieter übergeben hatte. Der Fall landete nicht nur in den Schlagzeilen, sondern auch vor Gericht.

Über fünf Jahre trägt Dembélé nun bereits das Trikot der Blaugrana - und beinahe genauso lange wollten die Katalanen den zum Fehleinkauf abgestempelten Franzosen, einer ihrer Top-Verdiener in Barcelona, bereits loswerden.

In seinem näheren Umfeld wird schon länger geklagt, dass durch gezieltes, mediales Mobbing ein völlig falsches Abbild seiner Person geschaffen wird.

Deshalb warb Dembélé auch auf einer PK im französischen WM-Quartier höchstpersönlich darum, keine Fragen mehr zu seinem Lebensstil hören zu müssen. Denn: Er habe sich geändert!

„Ich denke, wir sollten diese Frage künftig streichen, weil sich viele Dinge verändert haben“, betonte er: „Man verändert sich zwischen 19, 20 und 25. Einige Dinge waren nicht so, wie man es sich vorstellt. Aber ich bin reifer und verantwortungsbewusster geworden, in meinem Spiel und außerhalb des Platzes.“

Die Wende des Skandal-Profis erfolgte in Katar 2019

Die Wende kam ausgerechnet in Katar gegen Ende des Jahres 2019. Damals unterzog sich Dembélé in der Aspetar-Klinik einem Reathletisierungs- und Präventionsprogramm und arbeitet seitdem vor und nach den Spielen intensiv an seinem Körper. (DATEN: Gruppen und Tabellen der WM)

„Ich bin jetzt seit anderthalb Jahren verletzungsfrei“, so Dembélé und ergänzte: „Ich bin älter und reifer geworden - auf und abseits des Platzes.“

Beim Lebenswandel half aber insbesondere sein Vereinstrainer Xavi, der im November 2021 den FC Barcelona übernommen hatte.

Die Barca-Legende hält große Stücke auf den Rechtsaußen: „Er kann auf seiner Position der beste Spieler der Welt sein, er kann den Unterschied machen“, war sich Xavi vom ersten Augenblick an sicher.

Und mit dem Wissen um Dembélés schwierige Persönlichkeit betonte er aber: „Wir müssen ihm dabei helfen.“

Frankreich-Star blüht unter Xavi auf

Mit Erfolg! Nachdem Xavi sogar seinen Urlaub im vergangenen Jahr unterbrach, um für Dembélés Vertragsverlängerung im Klub einzustehen, blühte der Frankreich-Star unter seiner Führung auf.

Der 25-Jährige zahlte das ihn gesetzte Vertrauen mit starken 13 Vorlagen und einem Tor in der Vorsaison sowie neun Scorer-Punkten in der laufenden Spielzeit der spanischen Liga zurück. (NEWS: „Der beste Dembélé ist zurück“)

Ähnlich verhält es sich mit seinem Nationaltrainer Didier Deschamps, der Dembélé „ein großes Spielvolumen“ attestiert. Davon tummeln sich beim aktuellen Weltmeister allerdings einige Spieler im Kader, so dass Dembélé bei der Endrunde vorerst als Reservist eingeplant war.

Doch das Schicksal, oder besser gesagt, die Verletztenmisere, meinte es gut mit dem Flügelflitzer. (NEWS: Benzema-Rückkehr? Das sagt Deschamps)

Dembélé profitiert von Verletzungspech und Systemumstellung

So musste Ballon-d‘Or-Gewinner Karim Benzema (Real Madrid) genauso wie N‘Golo Kanté (Chelsea), Paul Pogba (Juventus Turin), Presnel Kimpembe (PSG) und Christopher Nkunku (RB Leipzig) verletzungsbedingt absagen, sodass Deschamps sein System umstellen musste, wovon auch Dembélé profitierte.

Der Weltmeister-Coach sah in vorderster Linie Kylian Mbappé, Olivier Giroud und den Barca-Star gefährlicher. Daher funktionierte er den gelernten Stürmer Antoine Griezmann bei Ballbesitz zum Zehner und gegen den Ball zum Achter um. (NEWS: Frankreich-Star trumpft überraschend in neuer Rolle)

Mit auschlaggebendem Erfolg für Les Bleus: Griezmann glänzt plötzlich als Taktgeber, Stratege, Vorbereiter, Pressing-Auslöser und Tempo-Bestimmer. Und Dembélé macht zur Überraschung vieler auf einmal die zuvor unliebsamen Wege nach hinten.

„In defensiver Hinsicht hat er große Fortschritte gemacht. Wenn er nach hinten arbeiten muss, tut er das“, lobte Deschamps.

Den Beweis, wie viel der Barca-Star dabei investiert, liefern die Heat Maps von sofascore.com. Der Tempo-Dribber erkämpft sich die Bälle teils in der eigenen Hälfte und schaltet dann sofort in den Offensiv-Modus.

Kommt Dembélés großer WM-Moment noch?

Ein Verdient von Deschamps und selbstredend Xavi. Zudem gewinnt Dembélé als offensiv ausgerichteter Flügelstürmer starke 53 Prozent seiner Zweikämpfe, in der Luft sogar 67 Prozent.

Mit zahlreichen Balleroberungen und Grätschen sowie einer - zuvor äußerst selten gesehenen - Rückwärtsbewegung hat der Ex-BVB-Star so einige Fußball-Experten verblüfft.

Und in der Offensive ist er eh eine Waffe, wie Deschamps sagte: „Offensiv kann er dem Gegner jederzeit Probleme bereiten, weil er so schnell und talentiert ist. Er muss nur noch effektiver werden.“ (NEWS: Alles Wichtige zur WM)

Zwei Assists steuerte Dembélé im bisherigen Turnierverlauf in sechs Partien bei, und von allen Spielern bei der WM gaben lediglich Lionel Messi (18) und Griezmann (17) mehr Torschussvorlagen als „le mosquito“ (11). Nur mit einem Torerfolg wollte es noch nicht so recht klappen. (BERICHT: Irre TV-Quote in Frankreich)

Vielleicht aber hat der geläuterte Frankreich-Star sich dieses Tor auch für das WM-Finale gegen Argentinien (am Sonntag, ab 16 Uhr im LIVETICKER) aufgespart. Dann träfe seine Vorankündigung auch ein, als er sagte: „Die WM 2022 könnte mein Moment werden!“