Gladbach am Abgrund

Schon gegen Dortmund waren die Gladbacher chancenlos. (Bild: Christian Verheyen/Getty Images)
Schon gegen Dortmund waren die Gladbacher chancenlos. (Bild: Christian Verheyen/Getty Images)

Eisige Zeiten am Niederrhein: Nach zwei Niederlagen in zwei Spielen steht Borussia Mönchengladbach schon früh in der Saison schwer unter Druck. Was die Fohlen in den ersten drei Pflichtspielen ablieferten, liefert Grund zur Sorge.

Von Nico Stankewitz

Die neue Saison ist erst zwei Spieltage alt, da läuten am Niederrhein bereits die Alarmglocken: Borussia Mönchengladbach, Champions League-Teilnehmer und beste Rückrundenmannschaft der abgelaufenen Saison, ist mit zwei Niederlagen in die neue Bundesliga-Spielzeit gestartet. Das alleine wäre noch zu verkraften, aber die Art und Weise, wie der Mitfavorit bisher aufgetreten ist, gibt Anlass zur Sorge. Haarsträubende Lücken in der Defensive und wenig Durchschlagskraft in der Vorwärtsbewegung sorgten für die verdiente Heimniederlage gegen Mainz, die wiederum ihrerseits in der Vorwoche gegen Aufsteiger Ingolstadt verloren hatten, sich also selber nicht gerade in Galaform befinden. So ist es kein guter Start geworden, aber schon im Pokal gegen St. Pauli war die erste Halbzeit desolat und der letztlich klare Sieg wurde erst eingefahren, als die Hamburger augenscheinlich müde wurden. Gegen den BVB war man völlig chancenlos und mit 0-4 noch gut bedient. Und dann kam Mainz.

(Zu) wenig beachtet wurde vorher, dass bei der Borussia zwei absolute Eckpfeiler weggebrochen sind. Christoph Kramer im defensiven Mittelfeld und Max Kruse als Mittelstürmer waren zentrale Spieler im Erfolgsteam der Vorsaison. Und: Die Transfers sitzen bisher überhaupt nicht, Lars Stindl und Josip Drmic wirken wie Fremdkörper in der vormals eingespielten Elf, aber es sind natürlich auch zwei vollkommen andere Spielertypen als es Kramer und Kruse waren. Mit Kramer/Xhaka hatte man eine eher defensive Zentrale, was den Hauptgrund für die enorme defensive Stabilität der Vorsaison ausmachte. Stindl ist ein ganz anderer Spielertyp, dynamisch und torgefährlich, aber ohne diese enorme Lauf- und Zweikampfstärke, die Weltmeister Kramer auszeichnet. Kein Ersatz, sondern ein völlig anderer Spieler. Darüber hinaus stimmt im Kader die Balance nicht, Flügelspieler und offensive Mittelfeldspieler (Stindl, Hazard, Johnson, Traore, Herrmann, Hahn, Raffael) gibt es im Überfluss, während andere Mannschaftsteile nicht internationalen Ansprüchen genügen.

Auch Lucien Favre wirkt besorgt. (Bild: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)
Auch Lucien Favre wirkt besorgt. (Bild: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Drmic wirkt harmlos und schwerfällig, aber Mönchengladbach war in der jüngeren Vergangenheit auch alles andere als ein Paradies für Mittelstürmer. Man erinnert sich etwa an Raul Bobadilla, Mike Hanke, Igor de Camargo oder als kostspieligsten Flop Luuk de Jong, für den man 2012 noch 12 Millionen Euro an Twente Enschede bezahlt haben und der sich ebenfalls nie bei der Borussia durchsetzen konnte. Max Kruse ist ein anderer Spielertyp, beweglich, technisch stark und flexibel – sozusagen eine „falsche 9“, ein Mittelstürmer, der sich immer wieder absinken lässt und ins Kombinationsspiel voll eingebunden ist. Natürlich sind Stindl und Drmic gute Bundesligaspieler, aber Gladbach wird das Spiel ändern müssen, wenn sie mit beiden erfolgreich spielen wollen. Und Max Eberl wird sich Fragen anhören müssen, warum er nicht passendere Spieler gefunden hat, um die wohl unvermeidlichen Abgänge zu ersetzen.

Max Eberl und Lucien Favre haben schöne Monate hinter sich. Nur gute Schlagzeilen, nur Bewunderung, ein Film zum Ruhm und die schöne Geschichte „vom Fast-Absteiger zum Champions League-Teilnehmer“ – aber es wird Zeit, das Märchenbuch jetzt zuzuklappen, denn dieser Sommer läuft nicht wie erhofft für die beiden Macher der Vergangenheit. Im Erfolg macht man die meisten Fehler – offenbar trifft diese Binsenweisheit des Sports hier wieder zu, denn die Situation wurde unterschätzt und jetzt balanciert Gladbach auf einem sehr schmalen Grat. Von Defensivverstärkungen wurde lange geredet, es kam mit Christensen ein 19-Jähriger dänischer Innenverteidiger aus der Reserve von Chelsea – kaum genug für einen Club mit Champions League-Ambitionen und den Innenverteidigern Stranzl (35), Brouwers (33) sowie dem rückengeplagten Alvaro Dominguez. Fehleinschätzungen hinten, im Mittelfeld und im Sturm: Dieser Sommer könnte für Borussia Mönchengladbach noch richtig schmerzhaft werden.

Noch stehen die Fans hinter den Gladbacher Spielern. (Bild/Getty Images)
Noch stehen die Fans hinter den Gladbacher Spielern. (Bild/Getty Images)

Ob das noch funktionieren wird? Lucien Favre wird hart daran arbeiten, seinen Spielern neue Automatismen insbesondere im Defensivverhalten zu vermitteln, aber bis die Abläufe funktionieren, wird es Zeit brauchen. Ob diese Gruppe jemals so gut funktionieren wird wie die vom Frühjahr ist unwahrscheinlich. Zusätzlich zur Gefahr eines Hinrunden-Absturzes à la Borussia Dortmund folgen jetzt Hammerwochen für die Favre-Mannschaft: Mit der Champions League kommt eine enorme physische und psychische Belastung auf das Team zu – der September ist auf diesem Level kein guter Monat für Mannschaften, die sich noch finden müssen. So wird das Bundesligaspiel in Bremen zur großen Standortbestimmung vor dem „Monat der Wahrheit“. Und eine Niederlage dort würde die Borussen in eine echte Krise stürzen – ein eisiger Herbst steht bevor am Bökelberg.