Hat sich Guardiola schon wieder verzockt?

Es war eine magische Nacht im Prinzenpark.

Mit 2:0 setzte sich Paris Saint-Germain gegen Manchester City durch und entschied somit das als „Scheich-Duell“ titulierte Kräftemessen der beiden Schwergewichte für sich. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Champions League)

Superstar Lionel Messi sorgte in der 74. Minute für einen magischen Moment, als er mit seinem ersten Treffer im PSG-Dress – einem traumhaften Schlenzer in den Winkel – den Endstand markierte und die PSG-Fans ausflippen ließ.

Auch Pep Guardiola geriet ins Schwärmen. „Das Tor war fantastisch“, sagte er nach dem Spiel im Interview mit Canal+. Die spanische El Mundo schrieb: „Genie gegen das System, Wut gegen Ordnung, Glück gegen Pech.“

City wird Favoritenrolle nicht gerecht

Doch ganz so einfach ist es nicht. Das Spiel der Citizens lässt Beobachter mit einem Fragezeichen zurück. Der englische Meister galt bei Buchmachern eigentlich als leichter Favorit. In der Liga fingen sich die Skyblues nach der Auftaktpleite gegen Tottenham, am vergangenen Wochenende schlug City in der Revanche des CL-Finals den FC Chelsea um Thomas Tuchel mit 1:0. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Champions League)

Auch Paris startete mit acht Siegen in acht Spielen erfolgreich in die Saison in der Ligue 1. Doch souverän war der Auftritt selten, dazu gab es diverse Nebengeräusche um die drei Superstars Messi, Neymar und Kylian Mbappé.

Im letzten Aufeinandertreffen – den CL-Halbfinalduellen der Vorsaison – setzte sich die Guardiola-Elf durch. Und auch am Dienstagabend sprachen die Zahlen eine klare Sprache: 18 zu 6 Torschüsse standen am Ende für City zu Buche, auch in Sachen Ballbesitz lag der englische Topklub vorn.

Und doch war die Niederlage gegen den französischen Vizemeister keineswegs unverdient. Beim 0:1 aus City-Sicht durch Idrissa Gueye sah die Abwehr alles andere als gut aus, beim Messi-Treffer bekam „La Pulga“ viel zu viel Platz. Er konnte von der Mittellinie losrennen, ein kurzer Doppelpass mit Mbappé genügte, und die letzten Verteidiger waren geschlagen. „Wenn er am Ball ist und rennen kann, ist er nicht zu stoppen“, konstatierte Guardiola.

Guardiola verzichtet gegen PSG auf Mittelstürmer

Dass man gegen ein so hochveranlagtes Starensemble nicht alles verteidigen kann, dürfte auf der Hand liegen. Dennoch war die Niederlage gegen die Franzosen einmal mehr hausgemacht. Wieder einmal ließ Guardiola ohne echten Mittelstürmer spielen.

Zu seiner Verteidigung muss man allerdings erwähnen, dass City in Sachen Neuner spätestens seit dem Abgang von Sergio Agüero eine Vakanz aufweist. Die Bemühungen um einen Transfer von Harry Kane schlugen fehl, Guardiola hat dennoch mehrfach angemahnt, dass ihm ein echter Knipser fehlt.

Der einzige Mittelstürmer im Kader ist Gabriel Jesus. Doch den ließ Guardiola zunächst auf der Bank. Er versuchte es mit Neuzugang Jack Grealish in vorderster Front seines 4-3-3, auch Raheem Sterling durfte sich zwischenzeitlich in der Zentrale versuchen.

Silva vergibt kläglich

Sterling hatte dann auch die beste Chance, als er in der 26. Minute einen Kopfball an die Latte setzte. Der eigentliche Wahnsinn spielte sich aber im Anschluss ab, als Bernardo Silva den Abpraller aus einem Meter erneut an den Querbalken setzte.

Der Portugiese stand zwar im Abseits, dennoch war ihm der Spott im Netz sicher. Auch spöttische Vergleiche zu Timo Werner wurden gezogen, der im Chelsea-Dress vor dem gegnerischen Tor nicht immer die glücklichste Figur macht.

„Wir haben unser Spiel gespielt“, erklärte Guardiola nach dem Spiel. Und er hatte recht: City spielte klassischen Guardiola-Fußball – ballbesitzorientiert, passlastig, den Gegner zermürbend. Doch im gegnerischen Strafraum fehlte die Durchsetzungskraft, die ein echter Stoßstürmer mit sich gebracht hätte.

Einer der größten Kritikpunkte: Guardiola fehlt oft ein Plan B. Dass PSG gegen die Citizens eher tief verteidigen und auf schnelles Umschaltspiel setzen würde, war abzusehen. So hatten die Franzosen in der vergangenen Saison unter anderem im CL-Viertelfinale den FC Bayern ausgeschaltet.

Zumal es sich inzwischen längst herumgesprochen haben dürfte, wie Guardiolas Fußball zu knacken ist. Denn auch in den großen Spielen der Vergangenheit war eine kompakte Defensive gepaart mit überfallartigem Konterspiel oft ein Schlüssel zum Sieg gegen Mannschaften, die der Katalane trainierte.

Guardiola verzockte sich bereits öfter

Tuchel wählte dieses Mittel im CL-Finale, in der Saison 2019/20 scheiterte City im Viertelfinale auf ähnliche Weise gegen Olympique Lyon. Zusätzlich unterliefen Guardiola in den beiden Duellen taktische Fehler, gegen die Blues verzichtete er sowohl auf einen Mittelstürmer als auch auf einen Abräumer, gegen Lyon änderte er sein System komplett. Das ging gründlich schief.

Auch zu seiner Zeit als Bayern-Trainer wurde Guardiola das ein oder andere Mal ausgecoacht. Schmerzlich zurückdenken dürften die Fans des deutschen Rekordmeisters an die Saison 2013/14, als der damalige Titelverteidiger in den Halbfinalspielen gegen Real Madrid unter Carlo Ancelotti zweimal düpiert wurde.

Die englische Presse hält – anders als in der Vergangenheit – in Sachen Guardiola-Kritik diesmal mehr oder weniger die Füße still. Das dürfte auch daran liegen, dass die Niederlage bei den Parisern in der Gruppenphase noch keine gravierenden Folgen mit sich bringt. Durch den 6:3-Sieg zum Gruppenauftakt gegen RB Leipzig sind die Chancen auf den Achtelfinaleinzug weiter intakt.

Seit zehn Jahren wartet Guardiola nun schon auf einen CL-Titel als Trainer. Eines wurde am Dienstagabend abermals deutlich: Will Pep seinen Fluch in dieser Saison brechen, muss er in den großen Spielen Lösungen finden.

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