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"Er hat das Spiel verloren, das steht außer Frage"

"Er hat das Spiel verloren, das steht außer Frage"

Pep Guardiola wusste nicht, wohin mit seinen Händen.

Der Trainer von Manchester City ist eigentlich für seine ausufernde Gestik während eines Spiels an der Seitenlinie bekannt – doch nach dem Schlusspfiff des verlorenen Champions-League-Finales gegen den FC Chelsea von Thomas Tuchel (0:1) war es damit vorbei. Mit den Händen in der Hosentasche betrat er langsamen Schrittes das Spielfeld, während um ihn herum alle Spieler und Betreuer der Blues förmlich explodierten.

Wenige Augenblicke später bei der Siegerehrung schlich der Katalane nur wenige Meter am Henkelpott vorbei – mit nachdenklicher Miene. Ein Bild mit Symbolcharakter. (BERICHT: Schweinsteiger kritisiert Guardiola)

Guardiola scheitert im fünften Anlauf mit City

Seit einem Jahrzehnt versucht der mittlerweile 50-Jährige, seinen dritten CL-Titel zu gewinnen. Mit dem FC Barcelona jubelte er 2009 und 2011. Doch sowohl mit dem FC Bayern München als auch mit Manchester City scheiterte Guardiola bei seinen Bemühungen. Es war bereits sein fünfter Anlauf mit den Skyblues, näher war er dem Titel seit seinem letzten Triumph 2011 nicht gekommen. (BERICHT: Wie Deutschland die Champions League dominiert)

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Die Bayern übernahm er 2013 als Triple-Sieger und scheiterte dreimal hintereinander im Halbfinale, bevor er nach Manchester weiterzog. Bei City war in den ersten vier Anläufen sogar bereits spätestens in der Runde der letzten Acht Schluss gewesen. In dieser Saison schien alles anders zu werden – schien.

Am Ende stand Guardiolas Team in der Königsklasse wie so oft mit leeren Händen da. Mit einer taktischen Meisterleistung entzauberte Tuchel den vermeintlichen Favoriten und sicherte den Londonern nach 2012 den zweiten Triumph in der Champions League.

Doch es war nicht nur Chelseas taktische Finesse, gepaart mit dem unbändigen Willen von Spielern wie Antonio Rüdiger oder N'Golo Kante – diese City-Niederlage war (wieder einmal) hausgemacht. (Spielplan und Ergebnisse der Champions League)

Guardiola verteidigt Aufstellung von Manchester City

Denn es war nicht das erste Mal, dass sich Guardiola in einem entscheidenden Spiel taktisch verzockte. Vor einem Jahr beispielsweise scheiterte er im Viertelfinale an Underdog Olympique Lyon. Dabei ließ er sein Team mit einer ungewohnten Dreierkette spielen, verzichtete auf Phil Foden und schob Kevin De Bruyne auf den rechten Flügel. Auch bei anderen Ausscheiden, unter anderem mit den Bayern, waren dem Spanier taktische Fehler unterlaufen.

Und Guardiola? Der gab sich uneinsichtig. "Ich habe das Beste versucht. Es war die beste Aufstellung, die ich machen konnte", erklärte er am Sonntag. Gegen Dortmund habe er diese auch gewählt, da habe es auch geklappt, rechtfertigte sich der Katalane nach dem verlorenen Finale auf der Pressekonferenz. (Die Stimmen zum Spiel)

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Doch die Aufstellung war dieses Mal nicht das Hauptproblem – Guardiola setzte auf sein altbewährtes 4-3-3. Vielmehr war die Spielerauswahl fragwürdig.

"Ich denke, das wird man ihm vorwerfen, da er die Spielweise der ganzen Saison verändert hat", erklärte Ex-Nationalspieler Rio Ferdinand bei BT Sport. Für die englische Presse war es auf jeden Fall ein gefundenes Fressen.

"Pep Guardiola überschritt die Schwelle zwischen Genie und Wahnsinn und beschloss, dass ein Champions-League-Finale der richtige Moment für eines seiner Verrückter-Professor-Experimente ist. Manchester Citys großartiger Alchemist braute letztlich nur eine Stinkbombe zusammen", ätzte beispielsweise die Sun. (Die Pressestimmen zum Spiel)

Guardiola verzichtet auf defensiven Mittelfeldspieler

In vorderster Front agierte De Bruyne, flankiert von Raheem Sterling und Riyad Mahrez. Ein echter Torjäger wie beispielsweise Sergio Agüero oder Gabriel Jesus fehlte komplett – und mit ihm auch die offensive Durchschlagskraft. Ein einziger Schuss auf das Tor von Chelsea-Keeper Edouard Mendy stand am Ende zu Buche.

Erst als De Bruyne nach einer Stunde mit einer schweren Gesichtsverletzung nach einem Zusammenprall mit Rüdiger vom Feld musste, wechselte Guardiola mit Gabriel Jesus einen "echten" Neuner ein.

Doch viel gravierender war die Tatsache, dass City keinen einzigen defensiven Mittelfeldspieler aufbot. Mit Rodri und Fernandinho saßen zwei Sechser auf der Bank, im Mittelfeld sollten Ilkay Gündogan, Bernardo Silva und Foden für die defensive Stabilität sorgen, dazu war geplant, dass Linksverteidiger Oleksandr Zinchenko bei Gelegenheit mit in die Zentrale rückt. Gleichzeitig wollte City mit der Offensivpower die Fünferkette des Gegners unter Druck setzen und zu Fehlern zwingen. Das ging krachend schief.

Das Mittelfeld des englischen Meisters war mit dem Umschaltspiel der Blues komplett überfordert, in der Mitte klaffte nicht nur einmal ein riesiges Loch. So auch beim 0:1: Mit einem gezielten Steilpass hebelte Mason Mount die komplette Abwehr aus. Timo Werner zog Citys Innenverteidiger Rúben Dias nach außen und Kai Havertz entwischte Zinchenko und stach in die Lücke in der Zentrale. Der Rest war für den Deutschen dann nur noch Formsache, er umkurvte Keeper Ederson und schob den Ball ins Tor.

Auch im Mittelfeld reagierte Guardiola erst nach einer Stunde und brachte Fernandinho für Silva.

"Warum hast du es wieder vermasselt, Pep?", klagte die Daily Mail an: "ManCity-Boss Guardiola war zu schlau für sein eigenes Wohl, indem er bei der Niederlage gegen Chelsea alle Muskeln aus seinem Mittelfeld entfernte. Es war ein Champions-League-Finale und sein Spielplan machte überhaupt keinen Sinn."

Legende Ferdinand zeigte sich verwundert über die taktische Ausrichtung Guardiolas. "Er muss etwas gesehen haben, denn ich habe Anfang der Woche mit ihm gesprochen und er wirkte ruhig und zuversichtlich“, erklärte er. Auch Tuchel selbst war überrascht. "Wir haben erwartet, dass Fernandinho spielt. Er hat eine sehr offensive Aufstellung gewählt", erklärte der Deutsche nach dem Spiel.

Hamann kritisiert Guardiola: "Das ist Wahnsinn"

Lothar Matthäus formulierte es drastischer. "So hat er noch nie gespielt. Er muss doch auch aus den Fehlern, die er in den vergangenen fünf, sechs Jahren gemacht hat, lernen. Er wollte immer etwas Besonderes. Ich weiß nicht, wem er wieder etwas beweisen wollte", kritisierte der Weltmeister von 1990 in seiner Funktion als Sky-Experte.

Dietmar Hamann stimmte ihm zu. "Er hat heute das Spiel verloren, das steht außer Frage", monierte der Sky-Experte. Vor allem die Nichtberücksichtigung Rodris war dem Ex-Spieler der Citizens ein Dorn im Auge. "Du brauchst eine Balance in der Mannschaft, das weiß er besser als jeder andere", erklärte er.

Via Twitter legte Hamann sogar noch nach. "Rodri hat in dieser Saison 53 Spiele bestritten. Jedes Spiel ohne einen defensiven Mittelfeldspieler zu spielen, ist Wahnsinn, gerade in einem CL-Finale." Auch Bastian Schweinsteiger sah es ähnlich. "Warum spielen Rodri und Fernandinho als Kämpfer nicht im defensiven Mittelfeld?", twitterte er.

Fragen, die nur Guardiola beantworten kann. Doch er entschied sich lieber dafür, seiner Mannschaft die "herausragende Saison" zu danken. Er selbst wolle jetzt seine Familie besuchen. "Danach komme ich zum Klub zurück. Es wird für die nächsten Jahre der beste Klub der Welt sein."

Guardiola wird sich sammeln und dann einen erneuten Angriff auf den europäischen Fußballthron starten. Er wird seine Schlüsse aus der Niederlage ziehen und dann erneut an der vermeintlich perfekten Taktik tüfteln.

Doch die Art und Weise des erneuten Scheiterns in diesem Jahr sollte ihm Warnung genug sein.