Wie gut ist der deutsche WM-Kader wirklich?

Wie viel Qualität steckt wirklich im deutschen Kader für die soeben begonnene Handball-WM?

Die weitläufige Meinung in den sozialen Netzwerken lautet: viele durchschnittliche Bundesliga-Spieler.

Einige Experten dagegen sagen: Im deutschen Kader für die Handball-WM 2023 steckt viel Potenzial - und erinnert in der Zusammensetzung mit Routiniers und Hochtalentierten an denjenigen der EM 2016, als Deutschland überraschend Europameister geworden war. (NEWS: Alles Wichtige zur Handball-WM)

Alfred Gislason konstatierte nach der Testspiel-Niederlage (30:31) gegen Island: „Man hat gesehen, dass der zweite Anzug nicht so richtig sitzt.“

Juri Knorr wiederum hielt auf SPORT1-Nachfrage dagegen: „Wir wissen, dass wir ein starkes Team in der Breite haben. Das ist absolut so und wird ein Vorteil im Turnier sein.“

Man merkt: Die Einschätzungen über die Qualität des DHB-Aufgebots, in dem viele Namen wie Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek oder Fabian Wiede vermissen, gehen auseinander.

Doch wie gut ist Gislasons Kader nun vorerst 16 Mann umfassenden Kader wirklich, aus dem Außenspieler Lukas Zerbe (TBV Lemgo) und Kreisläufer Tim Zechel (HC Erlangen) noch aussortiert wurden? SPORT1 nennt die Fakten.

Wie gut ist der DHB-Kader für die Handball-WM?

Mit Torhüter Andreas Wolff (Lomza Vive Kielce), Rune Dahmke (THW Kiel), Lukas Mertens und Philipp Weber (beide SC Magdeburg) sind nur vier Akteure dabei, die in der laufenden Saison in der Champions League vertreten sind. Zum Vergleich: Bei Olympiasieger Frankreich sind es dreimal so viele.

Darüber hinaus stehen mit Torwart Joel Birlehm, Patrick Groetzki, Juri Knorr, Jannik Kohlbacher (alle Rhein-Neckar Löwen), Paul Drux (Füchse Berlin) und Kapitän Johannes Golla (SG Flensburg-Handewitt) noch sechs Spieler bei aktuellen Top-Vereinen der Bundesliga - nach wie vor die in der Leistungsdichte stärkste Handball-Liga der Welt - unter Vertrag.

Die anderen acht Kader-Angehörigen verdienen ihr Geld bei deutschen Klubs, die sich derzeit im Mittelfeld der Tabelle tummeln. (DATEN: Tabelle der Handball-Bundesliga)

Wolff eine Bank, Knorr in Top-Form

Auf der Torwart-Position braucht man sich keine Sorgen machen. Wolff ist mit einer Fangquote von 32,17 Prozent bei 111 Paraden der beste Keeper der laufenden Champions-League-Saison. Nummer zwei Birlehm belegt in dieser Statistik mit 32,29 Prozent bei 145 abgewehrten Bällen Rang acht in der HBL unter den Torhütern, die regelmäßig zum Einsatz kommen.

Sechs Stars der DHB-Truppe finden sich unter den Top 25 der besten Torschützen hierzulande wieder. Knorr ist mit 117 Treffern sogar Dritter. (DATEN: Spielplan und Ergebnisse der Handball-WM 2023)

In Sachen Assists sind drei deutsche Spieler absolute Spitzenklasse: Julian Köster (2., VfL Gummersbach), Knorr (4.) und Luca Witzke (5., SC DHfK Leipzig) setzen in der Bundesliga die Maßstäbe.

Deutsche Namen sucht man hingegen in der Königsklasse unter den besten 25 Torschützen und Vorlagengebern vergeblich. (DATEN: Spielplan und Ergebnisse der Handball Champions League)

Gislason lobt Innenblock um Golla und Köster

Bei den Defensivstatistiken gibt es Licht und Schatten. Groetzki ist als einziger deutscher WM-Fahrer als Achter unter den besten 25 Ball-Eroberern der HBL zu finden. Was hingegen große Zuversicht für eine stabile Abwehr beim Turnier in Polen und Schweden verleiht: Mit Köster, Golla und Simon Ernst (SC DHfK Leipzig) liegen drei Deutsche unter den Top Fünf der besten Blockspieler der Liga.

„Die Abwehr hat gut funktioniert mit Johannes und Julian im Innenblock aber auch mit Juri auf der Fünf und Christoph (Steinert vom HC Erlangen, Anm. d. Red.) auf der Zwei“, lobte Gislason die Defensive nach dem ersten Test gegen Island (30:31). (EXKLUSIV: WM-Märchen? Das sagt Ikone Brand)

Ein ebenso großes Thema war dort jedoch die Fehleranfälligkeit des deutschen Teams. „Was uns teilweise das Genick bricht, sind zehn technische Fehler in der zweiten Halbzeit“, monierte der Bundestrainer.

Passend dazu weisen die beiden Jüngsten, aber gleichzeitig zwei der größten Hoffnungsträger der DHB-Auswahl die meisten (Köster) bzw. viermeisten (Knorr) technischen Fehler aller Bundesliga-Akteure auf. (ARTIKEL: Der Star, den Deutschland gebraucht hat?)

Brand fordert Fehlerminimierung vom DHB-Team

So nennt Handball-Legende Heiner Brand auch die Reduktion der leichten Schnitzer ein wichtiges Erfolgskriterium für das anstehende Großevent. Brand betont bei SPORT1 aber: „Unter der Fehlerminimierung dürfen jedoch nicht die Kreativität, Tempo und Freude im Angriffsspiel leiden.“

Auf den Außenbahnen ist Deutschland jeweils doppelt solide, aber nicht herausragend besetzt. Dahmke wird sich mit Mertens die Spielzeit aufteilen. Christoph Steinert wird Groetzki auf rechts bei Bedarf entlasten. (NEWS: „Phantomtor“ bei Handball-WM sorgt für Wirbel)

Beim Generalprobenwochenende gegen Island fiel auf, dass über Außen ohnehin sehr wenig ging. Die Abschlüsse des Quartetts im Positionsspiel ließen sich jeweils an einer Hand abzählen.

M‘Bengue und Zechel außen vor

Die Musik spielt hauptsächlich in der Zentrale. Das Zusammenspiel von Rückraum (Knorr, Köster, Kai Häfner und Weber) mit den bärenstarken Kreisläufern Golla und Kohlbacher funktionierte bereits sehr gefällig.

Und der „zweite Anzug“? Diesbezüglich macht sich Brand keine Sorgen: „Ich denke nicht, dass ein großer Unterschied zwischen erster und zweiter Aufstellung besteht.“ Natürlich werde es dominante Akteure wie Golla, Köster und Knorr geben, „aber auch die anderen werden nicht abfallen.“ (NEWS: Deutsche WM-Schiedsrichterinnen packen aus)

Dann sind vor allem Leute wie Drux, Witzke und Steinert im Angriff sowie Ernst in der Abwehr gefordert. Lediglich Djibril M‘Bengue (Bergischer HC) und der mit Zerbe aussortierte Zechel spielten gegen Island keine Rolle.