"Das ist auch etwas demotivierend"

"Das ist auch etwas demotivierend"
"Das ist auch etwas demotivierend"

Als Malaika Mihambo bei der WM 2019 in Doha souverĂ€n zum Weitsprung-Gold sprang, schien klar, dass auch die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Tokio nur ĂŒber die deutsche Vorzeigeathletin gehen wĂŒrde.

20 Monate spĂ€ter ist die Sache lĂ€ngt nicht mehr so klar. Mihambo tat sich in der Olympia-Vorbereitung schwer und sprang nur einmal (windunterstĂŒtzt) ĂŒber die Sieben-Meter-Grenze.

Im SPORT1-Interview erklĂ€rt die 27-JĂ€hrige, warum sie sich bislang so schwer tat, wie weit man fĂŒr Olympia-Gold springen muss - und was sie veranlasst, dennoch optimistisch in den Wettkampf zu gehen.

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SPORT1: Sie haben bei ihrem letzten Wettkampf vor Olympia in Gateshead eine fĂŒr Sie mĂ€ĂŸige Weite hingelegt. Davor war aber ein stetiger AufwĂ€rtstrend zu erkennen. Mit welchem GefĂŒhl werden Sie in den Fliegen nach Tokio steigen?

Mihambo: Mit einem guten GefĂŒhl. Es ist schade, dass der letzte Wettkampf nicht so optimal lief. Allerdings haben die Bedingungen auch nicht mitgespielt, weil es kĂŒhl und windig war. Trotzdem weiß ich, dass ich hart trainiert und sehr viele WettkĂ€mpfe in kĂŒrzester Zeit bestritten habe. Das sind Reize, die verarbeitet werden mĂŒssen – und dafĂŒr braucht es jetzt ein bisschen Pause, damit ich zum Saisonhöhepunkt fit bin. Der Wettkampf in Gateshead war aus dem Training heraus – und deshalb völlig in Ordnung. Ich weiß, was ich drauf habe und dass ich mehr zeigen kann, als es mir bislang gelungen ist. Ich fahre also mit einem guten GefĂŒhl nach Tokio.(NEWS: Alles zur Leichtathletik)

SPORT1: Sie waren mehrmals von der umstrittenen Regel betroffen, nach der nur der letzte Sprung gewertet wird. Ein Mal sind Sie sogar als einzige ĂŒber 7 Meter gesprungen, wurden aber wegen dieser Regel aber nur Zweite. Wie finden Sie das?

„Bislang war ich noch nie optimal auf dem Brett“

Mihambo: Ich finde die Regel nicht gut und glaube nicht, dass der Wettkampf dadurch besser oder spannender wird. Viele Athleten lassen SprĂŒnge aus – und im schlimmsten Fall lĂ€uft es so wie neulich im Dreisprung, als eine Athletin fast Weltrekord gesprungen ist und trotzdem nur Zweite wurde. Es ist natĂŒrlich schade, wenn die Leistung nur im letzten Sprung honoriert wird. Das ist auch etwas demotivierend, aber dieses Jahr ist der Modus in der Diamond League so und da mĂŒssen wir jetzt durch. Ich gehe nicht davon aus, dass die Regeln mitten in der Saison geĂ€ndert werden. Von daher finde ich mich einfach damit ab, denke aber auch, dass die vielen Leichtathletik-Fans mit Hintergrundwissen die Regel nicht gut finden – und dass sie nĂ€chstes Jahr wieder abgeschafft wird.

SPORT1: Vor der WM in Doha, als Sie Weltmeisterin wurden, hatten Sie schon etliche 7-Meter-SprĂŒnge hingelegt – dieses Mal lief es irgendwie zĂ€her. Haben Sie eine ErklĂ€rung dafĂŒr?

Mihambo: Ja, ich habe aus dem letzten Jahr, als ich mit verkĂŒrztem Anlauf gesprungen bin, noch nicht in meinen Anlauf zurĂŒckgefunden. Sitzt der Anlauf, dann kommen auch leicht die Sieben-Meter-SprĂŒnge – wenn man das physische Niveau hat. Jetzt habe ich zwar das Niveau, aber die Konstanz war bislang noch nicht da. In der Hallensaison hatte es nicht funktioniert, draußen geht es schon besser. Aber erst mit dem Start der Diamond League-Serie bin ich so richtig ins Springen gekommen. Bislang war ich aber noch nie optimal auf dem Brett. Wenn man den letzten Sprung in Stockholm gesehen hat, da bin ich 39 Zentimeter vor dem Brett abgesprungen und trotzdem bei 6,77 Meter gelandet. Deswegen: Die sieben Meter sind da, ich muss mich jetzt nur noch nĂ€her ans Brett tasten – und dann wird es schon passen.

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SPORT1: Die internationale Konkurrenz hat im Olympiajahr deutlich angezogen, einige 7-Meter-SprĂŒnge waren auch schon dabei. Ist es vielleicht gar nicht schlecht, wenn Sie nicht als absolute Goldfavoritin wahrgenommen werden?

Mihambo: Ich denke, dass es weder gut noch schlecht ist. In der Regel zieht das Niveau vor Olympischen Spielen immer an – man muss dann schauen, ob diese Athletinnen ihr Niveau halten können. Da muss man sich ĂŒberraschen lassen. Ich hĂ€tte mir natĂŒrlich gerne eine andere Ausgangslage gewĂŒnscht. Vor meinem WM-Titel 2019 hatte ich schon eine gute Hallensaison mit einem stabilen Anlauf, auf dem ich dann im Sommer aufbauen konnte. Jetzt fehlt mir ein gelungener Winter, aber ich weiß, dass das physische Niveau da ist und bin deswegen entspannt. Das Weitspringen verlernt man ja nicht.

SPORT1: Was glauben Sie, welche Weite muss man springen, um Olympiasiegerin zu werden?

Mihambo: Das ist eine gute Frage. Wenn man schaut, was 2016 in Rio nötig war (7,17 Meter von Tianna Bartoletta/USA, d.R.), dann dĂŒrfte es auch in diese Richtung gehen.

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SPORT1: Aber die 7,30 Meter, die Sie in Doha sprangen, mĂŒssten fĂŒr den Olympiasieg reichen, oder?

Mihambo: Ich denke schon, aber sicher kann man sich nie sein.

„Ich habe mich selbst nicht abgeschrieben“

SPORT1: WĂŒrden Sie heute unterschreiben, wenn ich Ihnen sagen wĂŒrde, dass Sie eine Medaille bekommen – aber nicht die goldene?

Mihambo: Sie meinen, dass es besser wĂ€re, den Spatz in der Hand zu haben? (lacht). NatĂŒrlich versuche ich, mein Bestes zu geben und werde dann schauen, wofĂŒr es reicht. Ich habe mich selbst nicht abgeschrieben, das ist das wichtigste.

SPORT1: Olympia findet bekanntlich ohne Zuschauer und ist mit vielen Corona-Auflagen behaftet. Sind Sie dennoch froh, dass die Spiele ĂŒberhaupt stattfinden, oder hĂ€tte man sie unter diesen Voraussetzungen besser absagen mĂŒssen?

Mihambo: FĂŒr mich persönlich bin ich froh, dass die Spiele stattfinden. Das ist ein toller Wettkampf, bei dem man stark gefordert ist. Außerdem finde ich es schön, weil Olympia nicht nur fĂŒr den Leistungssport steht, sondern auch fĂŒr das Aufeinandertreffen und den Austausch von Kulturen, das Voneinander lernen, das Miteinander verbunden sein und die gemeinsamen Werte. Gerade in den Zeiten, in denen wir jetzt leben, ist die Gemeinschaft und die Bewegung essenziell.

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SPORT1: Ihr Plan war ursprĂŒnglich, 2020 zu Carl Lewis nach Houston zu wechseln – ein Plan, den die Pandemie durchkreuzt hat. Holen Sie den Plan wieder aus der Schublade, wenn das Infektionsgeschehen es zulĂ€sst?

Mihambo: Es ist geplant, dass ich im Herbst nach Houston gehe. In der aktuellen Saison habe ich mich voll darauf konzentriert, mich in Deutschland vorzubereiten.

SPORT1: Gertrud SchĂ€fer, die frĂŒheren Trainerin der SiebenkĂ€mpferin Sabine Braun, erklĂ€rte neulich im SPORT1-Interview, dass Sie den Absprungfuß nach innen rotieren, was eine deutliche Fehlbelastung sei. Haben Sie und Ihr Trainer das auch im Blick – oder haben Sie eine andere Sichtweise?

Mihambo: Es ist in der Tat die Frage, ob Frau SchĂ€fer Recht hat. Ich setze den Fuß auf jeden Fall nicht zu weit nach innen, sonst könnte ich nicht so weit springen. Eine gewisse Eindrehung kann auch helfen, noch besser nachzudrĂŒcken. Mit meinem Fuß habe ich glĂŒcklicherweise keine Probleme, von daher wĂŒrde ich sagen, dass es alles sehr gut lĂ€uft. Ich springe so, seit ich 16 Jahre alt bin – seitdem ist es auch schon bekannt.