Hockey-Legende Fürste: "Bashing wirklich unerträglich"

Moritz Fürste steht für eine klare Meinung.

Die Hockey-Legende war und ist ein mündiger Athlet, der auch über den Tellerrand hinausschaut. 2018 brachte Fürste das Buch "Nebenbei Weltklasse" auf den Markt, in dem er unter anderem seine Rolle als Weltklassespieler im Schattendasein aufgreift.

Am Sonntagabend moderierte der 35-Jährige das Finale der Hyrox Home Series - der von ihm mitgründete Fitnesswettbewerb erobert sogar schon die USA.

Im SPORT1-Interview spricht der Olympiasieger von 2008 und 2012 über die Sonderrolle des Fußballs, seine Befürchtungen für den Hockeysport in Deutschland und Kritik an IOC-Präsident Thomas Bach.

SPORT1: Herr Fürste, am Wochenende beginnt die Fußball-Bundesliga wieder. Wie finden Sie das?

Moritz Fürste: Ich finde das Thema sehr, sehr komplex. Es wird Entscheidungen geben, bei denen wir in zwei Jahren sagen: Wow, krass, dass das gemacht wurde. Es darf sich keiner anmaßen, zu sagen, er hätte Entscheidungen so gefällt, dass jeder zufrieden gewesen wäre. Das ist überhaupt nicht möglich. Ich mache niemandem einen Vorwurf.

Was ich tatsächlich schade finde: Es wird nicht richtig zu Ende gedacht, was die anderen Profi-Sportarten angeht. Am Ende sind Eishockey, Handball und Basketball, wenn man sie zusammennimmt, auch ein Wirtschaftszweig in Deutschland. Da finde ich es einfach schade, dass die nicht spielen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich erst mal gut finde, dass wieder Fußball gespielt wird. Und das Konzept, das die DFL vorgelegt hat, finde ich sehr interessant. Es ist eine Riesenchance für Deutschland. Wenn wir wirklich die Ersten sind, die so eine Liga öffnen - das hat schon Wirkung.

Als Land werden wir schon als die Vorreiter in der Coronakrise gesehen. Wenn wir es jetzt auch noch schaffen, als Erste eine professionelle Sportliga zu öffnen, dann ist das ein ordentliches Pfund. Ob das jetzt alles richtig und gut ist, will und kann ich nicht beurteilen. Dafür haben wir die Experten. Da halte ich es wie Jürgen Klopp und halte mich raus.

SPORT1: Also sehen Sie beim Fußball eine Sonderrolle?

Fürste: Das muss man auch aus der wirtschaftlichen Perspektive sehen. Die Fußballbranche ist am Ende des Tages ein Wirtschaftszweig - und zwar kein unwichtiger. Und zwar nicht nur vom Finanziellen her, sondern auch vom Gesamtimpact für unsere Gesellschaft. Da ist das sicherlich nicht immer nur als Sport zu sehen, den man mit Hockey, Badminton und Tischtennis vergleichen kann. Es ist ein professioneller Wirtschaftszweig, und den muss man auch so betrachten. Genauso, wie man versucht, Autohäuser wieder zu öffnen, weil die Autolobby dahintersteht, dass das wieder passiert.

Es ist so komplex. Ich sehe den Fußball definitiv in einer Sonderstellung im Vergleich zu anderen Sportarten. Diese Diskussion möchte ich auch nicht verknüpfen. Aber es wäre auch eine Mega-Chance gewesen, sich auch mit den kleineren Sportarten zu beschäftigen. Im Moment läuft nichts im Fernsehen. Im Hockey ist im Prinzip sowieso jedes Spiel ein Geisterspiel, auch in der normalen Liga, wenn man es aus der Fußballperspektive betrachtet. Denn die 322 Leute, die jetzt ins Fußballstadion dürfen, haben wir nicht bei jedem Hockey-Bundesligaspiel.

Durch die aktuellen Entscheidungen gibt es jetzt nichts anderes als Fußball. Deswegen wird die Schere, die es eh schon gab, noch mal multipliziert. Das finde ich einfach bedauerlich. Damit meine ich nicht, dass es eine falsche Entscheidung ist. Aber ab nächster Woche können alle Leute Fußball gucken und nichts anderes. Und das finde ich schade.

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SPORT1: Zumal der Fußball nicht unbedingt einen Aufmerksamkeitszuschuss braucht ...

Fürste: Genau. Aber noch mal: Es ist unglaublich schwer. Ich möchte auch überhaupt keine Wertung zur Entscheidung abgeben, aber ich bedauere die Situation, wie sie ist, sehr. Ich hoffe, dass wir das bald alles überstanden haben. Und dass man dann wieder ganz normal alle Sportarten gucken kann.

Fürste verteidigt Thomas Bach

SPORT1: Wie haben Sie den Prozess um die Olympischen Spiele erlebt? Sie unterstützen ja auch das Team Hamburg.

Fürste: Ja, genau. Ich bin auch beim IOC in einer Kommission drin und war sehr eng dabei. Vorweg: Das ist ehrenamtliche Arbeit, die ich gern mache, weil mir die olympische Idee sehr am Herzen liegt. Dieses Bashing finde ich teilweise wirklich unerträglich. Man kann sicherlich viele Dinge kritisieren. Aber dass sich bei so einer komplexen Entscheidung, wie es das Verschieben von Olympischen Spielen ist, denen wahnsinnig viele Faktoren angehören, jeder hinstellt und schimpft und sagt: 'Wieso werden die nicht sofort abgesagt?' Ja, weil da eben noch ganz, ganz viele andere Faktoren daran hängen. Die Wohnungen im Olympischen Dorf sind schon komplett verkauft gewesen für die Zeit nach den Spielen. Oder die Sponsorengelder. Das ist eben nicht so einfach. Da fand ich schon die Entstehung dieser Diskussion total nervig.

Ob das kommunikativ hätte anders begleitet werden können? Wahrscheinlich ja. Aber die grundsätzliche Diskussion darüber fand ich total affig, wenn man sich auf seiner Couch in Quarantäne mit einer Chipstüte hinsetzt und sagt, wie alle etwas zu machen haben. Das gilt sowohl für die Entscheidung des IOC als auch für das, was die Politik entscheidet. Ich glaube, wir können alle ganz froh sein darüber, wie wir vertreten werden. Ich bin auch absolut nicht beim Thomas-Bach-Bashing dabei, im Gegenteil. Ich finde, er macht das genauso vernünftig, wie es der Großteil unserer Politiker macht. Man muss nicht alles gut finden. Aber bei so komplexen Themen wirst du nie einen Konsens finden, bei dem alle die Daumen heben.

Fürste sieht "Riesengefahr" für das deutsche Hockey

SPORT1: Wie bewerten Sie die Situation des deutschen Hockeys?

Fürste: Ich sehe eine große Gefahr für das deutsche Hockey. In ganz vielen Sportarten in Deutschland werden wir nicht mehr lange konkurrenzfähig sein, wenn sich Strukturen an einer gewissen Stelle nicht professionalisieren. Ich kann das ja an meiner Sportart, dem Hockey, festmachen. Da sind von den Top Ten acht Länder Profis. Die beiden, die nicht Profis sind, sind Spanien und Deutschland. Und die Spanier sind zwar nicht als Nation Profis, haben aber zumindest acht, neun Leute, die in Profiligen spielen. Das sieht man auch.

Belgien hat vor zehn Jahren noch keine Rolle gespielt, ist nun Weltmeister. Argentinien hat vor zehn Jahren überhaupt keine Rolle gespielt, ist jetzt Olympiasieger. Die Niederlande sind konstant da oben drin. Australien sowieso. Das sind schon mal vier Nationen, die im Moment die Nase vorn haben. Ich sehe da eine Riesengefahr, weil wir die Strukturen einfach nicht haben. Es macht einfach einen Unterschied, ob du dich komplett auf den Sport fokussierst oder nebenher noch eine Menge anderer Sachen machen musst und nicht als Vollprofi unterwegs sein kannst.

Ob das jetzt gewollt ist, ob man überhaupt Profi sein möchte in der Sportart in Deutschland, ist eine ganz andere Frage. Da gibt es ganz unterschiedliche Meinungen, viele wollen das gar nicht. Aber die Frage ist eben: Was möchte man und wo möchte man hin? Ich sehe eine große Gefahr, dass die Weltspitze nicht leicht zu halten sein wird. Auch wenn das jetzige Team das sicherlich kann und bei Olympia Chancen hat, eine Medaille zu holen. Das traue ich ihnen definitiv zu. Aber meine Aussage bezieht sich eher auf die nächsten drei bis zehn Jahre.

Der Impuls müsste aus dem Hockeyport kommen. Es wird sich wohl kaum ein Politiker überlegen: 'Oh, wir müssen mal Hockey professioneller machen, damit sie Weltmeister werden.' Dann müsste man sich als Hockeysport die Frage stellen, ob man das an der Stelle unterstützen möchte oder nicht.

Fürste: Hyrox lukrativer als Hockey

SPORT1: Können Sie sich selbst eine Rolle im deutschen Hockey vorstellen - oder ist das Thema erst mal abgehakt?

Fürste: Ich würde auf keinen Fall sagen, dass ich mir das nicht vorstellen kann. Im Moment sehe ich das nicht für mich. Aber wenn das in irgendeiner Form zur Sprache kommt, würde ich nicht aus Prinzip absagen.

SPORT1: Finanziell ist Hockey aber wenig attraktiv, oder?

Fürste: Also für mich persönlich ist Hyrox nach drei Jahren finanziell lukrativer als meine gesamte Hockey-Karriere. Und ein Top-Hyrox-Athlet verdient im Durchschnitt inzwischen so viel wie ein guter Hockey-Spieler.