Warum Hulk Hogan als Bösewicht seine Fans schockte

Bobby Heenan, die 2017 verstorbene Kommentatoren-Legende, machte die große Überraschung ein wenig kaputt. Zumindest für die, die aufmerksam hinhörten.

"Whose side is he on?", schrie er ins Mikrofon, als Hulk Hogan beim Bash at the Beach am 7. Juli 1996, heute vor 24 Jahren, sein Überraschungs-Comeback für World Championship Wrestling (WCW) feierte - auf welcher Seite steht er?

Heenan hätte das nicht fragen sollen, denn eigentlich hätte ja klar sein müssen, auf welcher Seite Hogan stand. Auf der guten natürlich, als Helfer in der Not für die WCW-Lieblinge Sting, Lex Luger und "Macho Man" Randy Savage. Gegen die bösen, frisch von WWE zur Konkurrenz gewechselten Kevin Nash und Scott Hall.

Indem "The Brain" das in Frage stellte, gab er ein paar Sekunden zu früh den verräterischen Hinweis auf den historischen Moment, der stattdessen folgen sollte: Hogans Verrat an seinen Freunden, die Verwandlung zum bösen Schurken - und die Geburt einer legendären Gruppierung: die nWo (Abkürzung für New World Order).

Für "Hollywood Hogan", wie er sich fortan nannte, war es ein gravierender Einschnitt, zum ersten Mal seit seinem Aufstieg zur Showkampf-Überfigur Anfang 1984 spielte er wieder den "Heel", den Regelbrecher. Wie es dazu kam, welche Folgen das hatte und warum die nWo sowohl mit dem Aufstieg als auch dem Untergang von WCW 2001 verknüpft war: SPORT1 erzählt die Geschichte hinter einem Ereignis, das die Wrestling-Welt auf den Kopf stellte.

1994: WCW lockt Hulk Hogan

Die Geschichte begann im Jahr 1994, mit dem Wechsel Hogans zu WCW, der Liga des Milliardärs und Medienmoguls Ted Turner, der den Superstar mit viel Geld und fürstlichen Privilegien lockte - mit dem Ziel, Hogans langjährigen Arbeitgeber WWE (damals: WWF) als Showkampf-Marktführer abzulösen.

Kurz nach Bash at the Beach wäre Hogans Vertrag ausgelaufen und eine Verlängerung war keinesfalls zwingend: Hogan brachte zwar viele Fans zu WCW mit, ließ sich aber (wie heute Brock Lesnar bei WWE) nur bei großen Shows blicken und dafür auch teuer bezahlen, womit sein Wert letztlich doch begrenzt war.

Ganz so populär wie zu seinen besten Zeiten war Hogan auch nicht mehr, viele Fans empfanden seine WCW-Fehden als Aufguss der erfolgreichen WWF-Programme von einst. Der Hulkster musste sich zuweilen auch Buhrufe gefallen lassen und, was für ihn schmerzhafter war: Als er sich vor den Verhandlungen um einen neuen Vertrag eine taktische Auszeit nahm, stiegen die Einschaltquoten in seiner Abwesenheit statt zu sinken.

Mit fast 43 Jahren drohte Hogan an dem Punkt zu sein, an dem seine Dienste nicht mehr benötigt wurden - zumal WCW gerade auch noch eine sehr vielversprechende Story in Planung hatte.

1996: Kevin Nash und Scott Hall als "Invasoren"

Die japanische Liga NJPW hatte kurz vor der nWo-Gründung große Erfolge mit einer inszenierten Rivalität gegen die Konkurrenzliga UWF International gefeiert. WCW-Boss Eric Bischoff schaute sich die Idee ab und entwarf eine Invasions-Fehde, in der seine Liga von einer fremden Macht bedroht werden sollte - mit der Suggestion, dass diese fremde Macht der reale Rivale war, die WWF (was ihm einige juristische Scharmützel mit den Anwälten von Vince McMahon einbrockte).

Als Speerspitzen der Invasion wurden die frisch von dort verpflichteten Scott Hall (Razor Ramon) und Kevin Nash (Diesel) präsentiert: Die "Outsiders" - hinter den WWF-Kulissen Teil der berühmten Kliq mit Shawn Michaels, Triple H und Sean Waltman (The 1-2-3 Kid) - kündigten eine "feindliche Übernahme" von WCW an und forderten die Liga auf, ihre drei besten Männer für einen Kampf gegen sich und einen mysteriösen "dritten Mann" zu entsenden.

Wer dieser dritte Mann werden würde, stand zum Zeitpunkt der Ankündigung noch nicht fest. Wären die Verhandlungen mit Hogan - die auf Messers Schneide standen und erst kurz vor dem Bash beendet wurden - geplatzt, hätte sich wohl Luger, Savage oder Sting gegen seine Partner gewandt (angeblich war Sting der letzte Plan B der Liga).

Hogan aber erkannte die Zeichen der Zeit und erahnte, dass eine Beteiligung an der nWo und eine Neuerfindung seines Charakters das Beste war, was ihm passieren konnte.

"The new world order of wrestling"

Die Ahnung bestätigte sich unmittelbar: Als Hogan beim Bash plötzlich seinen langjährigen Weggefährten Savage attackierte und sich mit Hall und Nash solidarisierte, kreierte er sofort spürbare Schockwellen.

Bei der anschließenden Ansprache am Mikrofon seines ewigen, Anfang 2019 verstorbenen Interviewers "Mean" Gene Okerlund, versank Hogan förmlich in einem Meer von Gegenständen, welche die Fans auf ihn warfen. Hogan konnte ihre Emotionen als Böser in der neuen Rolle genauso gut schüren wie in der alten.

Hogan präsentierte sich und seine Mitstreiter als "new world order of wrestling" ("neue Weltordnung des Wrestling"), es war eine Anspielung auf ein damals verbreitetes politisches Schlagwort, mit dem der frühere US-Präsident George H.W. Bush die globale Lage nach dem Ende des Kalten Kriegs skizzierte (und das auch in den Verschwörungsmythen, die gerade in aller Munde sind, eine zentrale Rolle spielt).

Auch Dennis Rodman mischte bei nWo mit

Für WCW war die nWo ein durchschlagender Erfolg: Die böse nWo um den nun in schwarz gekleideten Hogan wurde populärer als alle Publikumslieblinge, die Shirts mit dem charakteristischen, oft kopierten Logo entwickelten sich zum Merchandise-Renner und die immer neuen Wendungen der WCW-nWo-Fehde hielten die Fans über Jahre hinweg in Atem.

Im vorher ausgeglichenen "Monday Night War" gegen die WWF-Show Monday Night RAW gewann WCW Monday Nitro das Momentum und fuhr für fast zwei Jahre durchgehend die besseren Einschaltquoten ein.

Der Erfolg der nWo führte dazu, dass die Gruppierung immer weiter anwuchs: Mit der Zeit schlossen sich ihr viele weitere Stars wie Savage, der Giant (Big Show), Curt Hennig (Mr. Perfect), "Ravishing" Rick Rude, Dusty Rhodes und Scott Steiner an.

Auch WCW-Boss Bischoff selbst wurde Teil der nWo, ebenso wie NBA-Bad-Boy Dennis Rodman, der als Stargast an der Seite seines Kumpels Hogan mehrere große und öffentlichkeitswirksame Matches für WCW bestritt. Als Gegenpol der nWo entwickelten derweil manche Publikumslieblinge wie etwa Diamond Dallas Page ungeahnte Popularität.

nWo Hollywood, nWo Wolfpac, nWo 2000 ...

Das Problem, das nach und nach allerdings offenbar wurde: Die WCW-nWo-Story fand zu keinem sinnvollen Ende, auch dann nicht, als es der Liga gelang, einen weiteren Star erfolgreich neu zu erfinden und als perfekten Gegenspieler für den bösen Hogan in Szene zu setzen.

Der im Stil des düsteren Comics "The Crow" neu verpackte Sting forderte Champion Hogan Ende 1997 zum Showdown heraus. Statt eines klaren Siegs für den Stinger aber gab es wegen Hogans Weigerung, einen klaren "Job" zu machen, ein halbgares Ende, das die nWo-Story weiter in die Länge zog - und damit auch zu weniger geglückten Kapiteln wie der legendär missratenen Fehde Hogans mit einem weiteren alten WWF-Rivalen, dem (Ultimate) Warrior.

Das Muster, dass Hogan den WCW World Championship Title immer mal wieder verlor (an Luger, Sting, Bill Goldberg), aber doch immer wieder recht bald zurückgewann, wiederholt sich und lief letztlich ins Leere. Statt von den WCW-Helden besiegt zu werden, spaltete sich die aufgeblähte nWo 1998 selbst, ein schwarz-rotes "nWo Wolfpac" mit Nash, Savage und den Zugängen Luger und Sting wandte sich von der "nWo Hollywood" ab und wurde zur neuen populären Fraktion.

Parallel dazu gewann aber die WWF mit der Attitude Era um die neuen Stars Stone Cold Steve Austin und The Rock wieder Oberwasser im Quotenduell und eroberte die Marktführerschaft zurück. Ende 1998 konnte die Wiedervereinigung der nWo als böses "Wolfpac" durch den berüchtigten "Fingerpoke of Doom" das Blatt nicht mehr werden. Der angebliche Langzeitplan, mit der neuen nWo den aufstrebenden Bill Goldberg zum neuen Superstar zu machen, verlief im Sande.

Eine weitere Reunion Ende 1999 als "nWo 2000" mit Nash, Hall und den inzwischen von der WWF verpflichteten Bret Hart und Jeff Jarrett zeugte nur noch davon, dass WCW die Ideen ausgegangen waren.

2002 bei WWE nur noch ein Aufguss

Nachdem die Liga 2001 infolge einer tiefen Krise an die WWF verkauft wurde, verleibte sich der Sieger des Ligenkriegs den nWo-Mythos ein - ohne dass der Glanz alter Tage wieder aufkam.

Die Wiedervereinigung des Original-Trios Hogan, Nash und Hall dauerte nur wenige Monate an: Die WWE-Bosse stellten fest, dass die Fans Hogan wieder als Publikumsliebling sehen wollten und vollzogen die Rückverwandlung nach dem großen Match gegen The Rock bei WrestleMania X-8.

In wechselnden Besetzungen mit X-Pac, Big Show, Booker T und Shawn Michaels hielt sich die WWE-Version der nWo noch bis zum Sommer 2002, ehe sie final aufgelöst wurde. Ende 2019 wurde die nWo in der Urbesetzung Hogan, Hall, Nash plus Waltman als Teil des Hall-of-Fame-Jahrgangs 2020 angekündigt.

Das "Stable" schlechthin

Wie erfolg- und einflussreich die nWo trotz des zerfaserten Endes war, lässt sich allein schon an den vielen offiziellen und inoffiziellen Nacheiferern ablesen: Die nWo Japan bei NJPW, die Latino World Order (lWo) mit Eddie Guerrero bei WCW und die Blue World Order (bWo) bei ECW sind da nur die Spitze des Eisbergs.

Die nWo inspiriert bis heute zahlreiche ähnlich angelegte Gruppierungen: Ihr Einfluss war und ist spürbar bei der D-Generation X, bei The Nexus, beim Bullet Club, bei der Undisputed Era. Neben den Four Horsemen um Ric Flair, dem Ur-Bündnis der Wrestling-Geschichte, darf die nWo als das Stable schlechthin gelten.

Der Kult um die nWo wirkte auch über das Wrestling hinaus, die NFL-Klubs New York Jets und Jacksonville Jaguars verkauften in den Neunzigern eigene Fan-Shirts mit Variationen des nWo-Logos, auch im Manga Kinnikuman gab es ein von der nWo inspiriertes Schurkenbündnis.

In der Wrestling-Welt gibt es natürlich auch immer wiederkehrende Nostalgie-Reunions bei WWE und anderswo. Bis heute tragen vor allem Nash und Hall (mittlerweile ebenso wie Hogan über 60 Jahre alt) das nWo-Label zu Markte. Es bewahrheitete sich, was die Gruppierung schon in den Neunzigern propagierte: "When you're nWo you're nWo 4-life."