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Im Kopf eines Champions

Wie sieht es im Gehirn eines Spitzensportlers aus? (Illustration: Getty Images)
Wie sieht es im Gehirn eines Spitzensportlers aus? (Illustration: Getty Images)

Es gibt eine alte Theorie, die besagt, dass der IQ eines Sportlers sich umgekehrt proportional zu seinen sportlichen Leistungen verhält. Aber ist die Crème de la Crème des Leistungssports wirklich so unterbelichtet, wie ihr Ruf es erscheinen lässt? Um dies herauszufinden, müssen wir einen Blick in die Köpfe der Leistungsträger werfen.

"Diese Radrennbahn ist wunderschön und immer gut gefüllt, sowohl zuhause, als auch auswärts", "Man soll den Tag nicht vor dem Abend beenden", "Es war der letzte Strohhalm, der Öl ins Feuer gegossen hat", "Wir müssen lernen, nicht in die Lücke zu spielen", "Wir sind es, die gewonnen haben". Aus Respekt werden wir die Urheber dieser Glanzleistungen nicht nennen, die so manches mal aus dem Munde von Spitzensportlern erklingen. Im Verlauf der Zeit haben derartige Frontalangriffe auf den gesunden Menschenverstand – und auf die Grammatik – die intellektuellen Fähigkeiten der Sportaristokratie in Verruf gebracht (ob sie nun Stollen tragen oder nicht).

Trotz der Gelehrsamkeit von Sócrates, dem sagenumwobenen früheren Kapitän der Seleção, dem fußballerisch-existenzialistisch-prophetischen Diskurs von Marcelo Bielsa, den Universitätsabschlüssen von Thierry Dusautoir (Ingenieurswissenschaften), Mario Ančić (Jura) und dem Master in Marketing von Tony Estanguet, sowie haufenweise anderer Beispiele, können sie das Klischee jedoch nicht abschütteln. In unserer kollektiven Vorstellung haben Sportler "eine riesige Pfütze Wasser zwischen den Ohren und wir können es spritzen hören, wenn sie niesen", wie es der illustre Monsieur Manatane ausdrückte. Dies ist oft vorschnell und gelinde gesagt unfair. Auch wenn es stimmt, dass Elitesportler manchmal die Regeln von Syntax durcheinanderbringen oder Bildungslücken in Geschichte und Geografie aufweisen, so haben sie dennoch bemerkenswerte Gehirne.

In den letzten Jahren haben zahlreiche Studien Belege für ihre außerordentliche geistige Kapazität geliefert. Eine dieser Studien, durchgeführt vom Karolinska-Institut in Schweden und veröffentlicht im prestigeträchtigen Plos One Wissenschaftsjournal, belegte den Unterschied der kognitiven Fähigkeiten zwischen Spielern der ersten und der zweiten schwedischen Fußballliga. Ergebnis: Die Spieler in der höchsten skandinavischen Fußballliga übertrafen ihr Pendant in der Liga unter ihnen mit großem Abstand.

Iniesta, das Genie

Um zu diesem Ergebnis zu kommen, ließ das Forschungsteam um den Psychiater Pedrag Petrovic alle Spieler eine Reihe von Tests durchführen. Mathias Pessiglione, Neurowissenschaftler und Co-Leiter des Teams für Motivation, Gehirn und Verhalten am Institut für Gehirnforschung erklärte, dass „dies eine Reihe von Tests zur kognitiven Steuerung (oder Exekutivfunktion) war. Diese Tests werden oft in Kliniken durchgeführt, insbesondere in der Neurologie, um Schäden am Gehirn zu bemessen. Aber sie können auch die Kapazität des Gehirns einer Person bemessen, in welchem Grad es niedrigschwellige Reflexe steuern kann. Sie bemessen Fähigkeiten wie mentale Flexibilität, visuelle räumliche Aufmerksamkeit und das Arbeitsgedächtnis. In diesen Bereichen erreichten die Fußballprofis überragende Ergebnisse.

Mathias Pessiglione erzählte uns, dass "nachdem die Studie über schwedische Fußballspieler veröffentlicht wurde, Barça Petrovic einlud, alle Spieler im Verein zu testen. Zu diesem Zeitpunkt erzielten die Mittelfeldspieler Xavi und Iniesta die höchsten Punktzahlen. Wenn wir die Weltbevölkerung auf einen Bereich projizieren würden, der in Tausendstel unterteilt ist, würde Xavis Ergebnis in den oberen hundert Einheiten liegen. Iniesta würde sich im obersten Tausendstel befinden." Diese Ergebnisse haben den Forscher nicht wirklich überrascht: "Wenn wir uns die Profile dieser Spieler anschauen, dann scheint das ziemlich kohärent zu sein. Jeder, der ihn hat spielen sehen, weiß, dass Iniesta ein beeindruckender Dirigent ist. Er konnte zum Beispiel mit Leichtigkeit blinde Pässe spielen, als ob sein Gehirn in der Lage war, die Position und die Bewegung der Spieler auf dem Feld zu jedem Moment zu analysieren."

Fluglotse oder Mittelfeldspieler?

Die Fähigkeit, eine große Menge an ein- und ausgehenden Informationen zu verarbeiten, sie korrekt zu verarbeiten und Lösungen in einem begrenzten Zeitraum zu finden, ist das Geheimnis des Meisterspielers aus Barcelona, dem besten in seiner Klasse des Jahres 2009. Offensichtlich ist diese Fähigkeit nicht nur dafür gut, massenhaft Trophäen anzuhäufen. Die Forscher wiesen darauf hin, dass "Fluglotsen zwar nichts mit dem Fußball gemein haben, aber die Fähigkeiten, auf die sie sich verlassen müssen, sind dieselben. Sie müssen die Position aller Flugzeuge im Himmel kennen, den Verkehr orchestrieren und schnell und effektiv kommunizieren. Am Ende haben sie ein ähnliches Gehirn wie die besten Mittelfeldspieler im Fußball."

Da es aber immer zwei Seiten einer Medaille gibt, sind die Gehirne von Spitzensportlern auch denselben Traumata ausgesetzt wie die von überarbeiteten Konzernchefs. Mathias Pessiglione und sein Team haben sich dieses Phänomen ebenfalls angeschaut. Im letzten Jahr haben die Forscher am Institut für Gehirnforschung eine Einladung des Nationalen Instituts für Sport, Expertise und Leistung (Insep) angenommen. Ihr Ziel: Das Mysterium des Übertrainings zu beleuchten, einer Art von Burnout, das vor allem Athleten betrifft, die Ausdauersport betreiben.

Mathias Pessiglione und seine Kollegen entwickelten die Hypothese zu zerebraler Ermüdung, um dies zu erklären. "In diesen Sportarten ist es unausweichlich, dass irgendwann die Muskeln und Gelenke anfangen zu schmerzen. Wenn dies geschieht, ist der zugrunde liegende Reflex des Gehirns im Prinzip eine Nachricht zu senden, die 'Stopp' sagt. Um die Anstrengungen fortzuführen und um effektiv zu sein, muss man in der Lage sein, diesen niedrigschwelligen Reflex durch eine Kraftanstrengung zu unterdrücken – man könnte auch sagen durch Willenskraft. Ausdauersportler haben diese Fähigkeit bis zur Perfektion gemeistert. Aber unser System ist nicht unzerstörbar: Wenn wir es zu sehr strapazieren, dann mündet dies irgendwann in Erschöpfung. Und dies nennt man das Übertrainingssyndrom."

Rüste dein Gehirn auf!

Um ihre Theorie zu bestätigen, brachten die Forscher des Instituts für Gehirnforschung Triathleten dazu, bis an ihre Grenzen zu gehen. Nach drei Wochen anstrengenden Trainings, fünfzehn Stunden am Tag, enthüllte das MRT genau das, was die Wissenschaftler erwartet hatten: "Gewisse Regionen des Gehirns, die mit der kognitiven Steuerung befasst sind – Bereiche im präfrontalen Kortex, direkt hinter der Schläfe – waren überlastet."

Auch wenn es schädlich sein kann, zu viel zu trainieren, ist es natürlich nicht zu leugnen, dass regelmäßige physische Aktivität positive Auswirkungen hat. Ganz besonders in Bezug auf bestimmte Krankheiten: "Uns ist aufgefallen, dass sich sportliche Aktivität positiv auf Depression bei jungen Menschen auswirkt und auf das Auftreten von Krebs, neurodegenerativen und Herzmuskel-Krankheiten bei älteren Menschen", bestätigt Mathias Pessiglione. Aber das ist nicht alles: Wir sind uns inzwischen auch sicher, dass Sport auch gewisse kognitive Fähigkeiten verbessert.

"Wir können dieses Phänomen im MRT nachweisen. Wir beobachten auch anatomische Veränderungen im präfrontalen Kortex, der an Volumen zunimmt, wenn man lange genug trainiert." Indem das Volumen der grauen Zellen bei Zwillingen im Alter zwischen 32 und 36 verglichen wurde und einer der beiden Zwillinge in den drei Jahren vor dem Test physischen Aktivitäten nachgegangen ist, konnten finnische Wissenschaftler einen deutlichen Zuwachs beim sportlicheren Zwilling nachweisen. Tatsächlich produziert das Gehirn Wachstumsfaktoren wie Neurotrophin und BDNF (brain-derived neurotrophic factor), die die synaptische Plastizität und die Bildung neuer neuronaler Netze anregen.

Aber der Unterschied wird einen Jogging-Enthusiasten nicht in einen Virtuosen für Algorithmen verwandeln. Mathias Pessiglione präzisiert seine Aussage: "Die Veränderung ist sicherlich signifikant, aber wir sollten hier nicht Signifikanz und das Ausmaß des Effektes verwechseln. Der Effekt kann nachgewiesen werden, man wird dadurch in Mathe zwar nicht von einer 5 auf eine 1+ kommen, aber er ist real. Wenn man eine große Anzahl von Menschen einem Test der Exekutivfunktion oder mentalen Flexibilität unterzieht, dann wird man eine leichte Verbesserung bei jenen feststellen, die regelmäßig sportlichen Aktivitäten nachgehen." Sie wissen also, was zu tun ist: Raffen sie sich (gegen Ihren Willen) von der Couch auf und ziehen Sie die Laufschuhe an. Sie werden sich vielleicht nie mit den Läufern des Marathons in New York messen können, aber das nächste Kreuzworträtsel wird für Sie ein Kinderspiel.

Olivier Saretta