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Deutscher Star als Opfer des russischen Doping-Systems?

Das sind Aussagen mit Sprengkraft: Grigory Rodchenkov gewährt in seiner Autobiografie einen Blick hinter die Kulissen des systematischen Dopings in Russland.

Der Whistleblower hatte bereits 2017 mit der Enthüllungs-Dokumentation "Ikarus", die 2018 mit dem Oscar als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde, für Aufsehen gesorgt - nun legte er mit der am Donnerstag erscheinenden "Rodchenkov-Affäre" nach.

Der Daily Mail liegen Auszüge des Werkes vor, in dem der 61-Jährige aufzeigen will, wie er Russlands geheimes Doping-Imperium zu Fall brachte.

Rodchenkov mitverantwortlich für "größten Betrugsskandal"

2005 übernahm Rodchenkov demnach das Moskauer Dopingkontrollzentrum. Seine Aufgabe: Verhindern, dass russische Athleten jemals beim Betrügen erwischt werden.

Dafür wandelte er mit leistungssteigernden Mitteln getränkte Urinproben in saubere um - in zehn Jahren mit fünf Olympischen Spielen sei kein Athlet positiv getestet worden.

Dabei sei es in "einigen Trainingslagern ein Problem gewesen, sauberen Urin zu finden, um heimlich Proben mit illegalen Substanzen zu ersetzen, da es nur sehr wenige gab, die saubere Proben produzieren konnten", so Rodchenkov.

Als Direktor des Dopingkontrolllabors war Rodchenkov dann in Sotschi 2014 mitverantwortlich für "den größten Betrugsskandal der Sportgeschichte". 10 Millionen Dollar bezahlte das Sportministerium für das Inventar des Labors.

Nach nur drei Gold-Medaillen bei den Winterspielen in Vancouver 2010 sollte ein ähnliches Fiasko im eigenen Land dringlichst vermieden werden – und das gelang eindrucksvoll. 13 Gold-, elf Silber- und neun Bronzemedaillen hievten Russland auf den Thron des Medaillenspiegels, auch wenn einige der Medaillen später aberkannt wurden.

Sachenbacher-Stehle als "Opfer"

Über mehrere Wochen gingen alle olympischen Dopingkontrollproben durch Rodchenkovs Labor, die Anti-Doping-Agentur WADA hatte keine Zuständigkeit. "Wir meldeten die Ergebnisse nur dem IOC", so der 61-Jährige.

In der ersten Woche gewann unter anderem Alexander Tretyakov, "ein zufriedener Nutzer unseres Cocktails", eine Goldmedaille, weil Rodchenkov und seine Kollegen dessen Urinprobe tauschten.

Soweit funktionierte der Plan also. Ein Problem gab es allerdings: Zwar wurde kein russischer Athlet erwischt, allerdings auch kein weiterer einer anderen Nation. Um kein Misstrauen zu erwecken, musste offenbar ein Opfer gefunden werden, um zeigen, dass die vermeintliche Anti-Doping-Arbeit funktioniert.

Auserkoren wurde ausgerechnet die deutsche Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle, die nach einem Rennen geringe Mengen Methylhexanamin im Urin hatte.

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"Bei ihr handelte es sich um einen Grenzfall; dieses Stimulans trat meist in hohen Konzentrationen auf", schrieb Rodchenkov und fügte an: "Wenn ich bereits fünf echte Verstöße protokolliert hätte, hätte ich sie vielleicht nicht angezeigt. Aber wir brauchten Blut. Sie wurde aus dem Verkehr gezogen, und die Strafe passte nicht wirklich zu ihrem Verstoß."

Sachenbacher-Stehle gab später an, die Substanz unbewusst über ein Nahrungsergänzungsmittel zu sich genommen zu haben.

Schließlich vermeldete das IOC acht positive Test in den finalen fünf Tagen der Spiele, was Verantwortliche des Komitees und der WADA dazu brachte, Rodchenkovs Werkstatt "als das beste olympische Labor aller Zeiten" zu bezeichnen.

Da passte ins Bild, da Rodchenkov laut eigener Aussage bei der Schlussfeier mit Fahnenträger Alexander Subkov fehlte, um den letzten großen Austausch von Urinproben zu überwachen, um "zwei Goldmedaillen für Russland retten". Eine der beiden hatte Subkov gewonnen.

Doping-Labor auf einem Schiff

Bereits 1983 bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Helsinki sei systematisches Doping an der Tagesordnung gewesen.

"Es war damals fast unmöglich, sauberen Urin zu finden, um positive Tests zu verschleiern. Fast alle Athleten waren geladen", so Rodchenkov.

Dass Russland ein Jahr später die Olympischen Spiele in Los Angeles boykottierte, habe einzig und allein an einem Einfahrtsverbot für ein Schiff gelegen.

Denn auf diesem sollte ein geheimes Kontroll-Labor betrieben werden, "um sicherzustellen, dass keiner unserer Athleten positiv in die Startblöcke steigt".

Ein ähnliches Verfahren also wie 20 Jahre später in Sotschi. Da die Einfahrt in den Hafen aber verweigert wurde, entschied sich das Politbüro zu einem kompletten Verzicht der Spiele.

Vier Jahre später durften die Russen in Seoul ihr Schiff im Hafen parken – inklusive Rodchenkovs Dopingküche.