Integration? Das muss ein Nationalspieler schultern

Er weiß, was Integration bedeutet. Im Jahr 2000 kam Cacau fast ohne Sprachkenntnisse aus Brasilien nach Deutschland. Mit 19 Jahren.

Sein erster Verein war der Fünftligist SV Türk Gücü München (heute Tabellenführer in der Regionaliga Bayern).

Über den 1. FC Nürnberg kam er zum VfB Stuttgart, bei dem er seinen Durchbruch schaffte und Nationalspieler wurde. 2016 beendete er seine Karriere.

Im SPORT1-Interview spricht Cacau über seine Arbeit als Integrationsbeauftragter beim Deutschen Fußball-Bund, Kritik an seiner Person und den neuen DFB-Boss Fritz Keller.

SPORT1: Herr Cacau, was ändert sich für Sie beim Thema Integration mit dem neuen DFB-Boss Fritz Keller? Wie war es vorher, wie ist es jetzt?

Cacau: Der neue DFB-Präsident ist jedenfalls jemand, der das Thema Integration noch mehr pushen will. Fritz Keller hat ja relativ schnell nach seinem Amtsantritt einen Gastbeitrag in einer großen Tageszeitung veröffentlicht. Da wurde schon deutlich, wie wichtig ihm die Integration im Fußball ist. Aus meiner persönlichen Sicht ist er zudem jemand, mit dem ich gut reden und mich austauschen kann. Fritz Keller ist sehr nahbar, und er bringt viel Erfahrung aus seinem unternehmerischen Leben und aus seiner Zeit als Präsident des SC Freiburg mit zum DFB. Er ist direkt, er sagt, was er denkt und ist authentisch. Das liegt mir.

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SPORT1: Fritz Keller bezeichnet das Thema Integration als Chefsache. Wie finden Sie das?

Cacau: Es ist sehr gut, dass der Präsident hinter dem Thema steht. Außerdem ist er nun mal der Chef (lacht). Es hilft uns allen doch, dass Fritz Keller die Integration, ob bei der Nationalmannschaft oder in der ganzen Breite des Fußballs, zur Chefsache erklärt. Das stärkt auch mich in meiner Rolle.

SPORT1: Das gesellschaftliche Klima wird rauer. Wie wollen Sie sich da positionieren?

Cacau: Ich möchte weiterhin stets ausgewogen handeln. Integration hat immer zwei Seiten. Der DFB-Integrationsbeauftragte kann dazu beitragen, ein Stückweit die Emotionen herunter zu brechen, und zu versuchen auf eine sachliche Ebene zu kommen. Integration ist nicht nur für die Neuankömmlinge in einem Land wichtig, sondern auch ein Thema für die, die schon hier leben und hier aufgewachsen sind. Es betrifft auch die deutsche Bevölkerung. Es geht um den enorm wertvollen Versuch, jeden gleich zu sehen und gleichermaßen respektvoll zu behandeln und als Gesellschaft zusammen auszukommen. Dabei leistet der Fußball einen großen Anteil.

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"Möchte mit meiner Arbeit Veränderungen schaffen"

SPORT1: Ihre Rolle als Integrationsbeauftragter wurde bei Mesut Özil und Ilkay Gündogan ziemlich hinterfragt. Auch später bei Emre Can. Inwieweit war diese Reaktion für Sie nachvollziehbar?

Cacau: Das Problem ist, dass meine Position schwer zu definieren ist. Wir sind gerade dabei, die Bereiche, die ich bearbeiten soll, weiter zu schärfen und einzugrenzen, damit wir noch besser nach außen darstellen können, für welche Aufgaben ich zuständig bin. Wissen Sie, seitdem ich den Job für den DFB mache, habe ich mehr als 100 Termine wahrgenommen. Ganz oft an der Basis. Ich habe Vereine besucht, Flüchtlingsheime, Schulen. Ich war zu Gast im Bundeskanzleramt, bei der UEFA, bei den Integrationsbeauftragten der Parteien. Jedenfalls haben der DFB und ich gelernt, mein Themengebiet etwas einzuengen um mich ganz darauf fokussieren zu können. Ich möchte mit meiner Arbeit auch Veränderungen schaffen.

SPORT1: Was sind denn jetzt konkret Ihre Aufgaben?

Cacau: Ich bin Gesicht und Stimme der Integration beim DFB. Als wir das Integrationskonzept im Rahmen von fünf Dialogforen im ganzen Land erarbeitet haben, war ich der Schirmherr. Bei vier der fünf Foren war ich persönlich vor Ort und habe mit den Ehrenamtlern diskutiert. Ganz wichtig: ich habe auch zugehört. Ich erwarte, dass wir zukünftig bei den Nationalmannschaften noch mehr über das Leitbild und die Werte nachdenken. Wir müssen zeigen, für was wir stehen, was man ist und auch was man sein will. Wir müssen noch klarer nach außen zeigen, wofür wir beim Thema Integration stehen.

SPORT1: Zuletzt sagten Sie, dass Sie bei Vorfällen wie zuletzt bei den Likes für den militärischen Salut der türkischen Nationalmannschaft früher einbezogen werden wollen. Wie stellen Sie sich so einen Prozess vor?

Cacau: In einer Krise ist es immer schwierig zu reagieren. Ich würde gerne meinen Teil dazu beitragen, dass es zu der Krise überhaupt nicht kommt. Was sind die Werte und worin besteht die Verantwortung, die ein Nationalspieler bereit sein muss zu schultern? Dazu zählen wichtige Punkte wie Respekt, Toleranz, Vielfalt, Fairplay, hinzu kommt dann immer auch die Eigenverantwortung des Spielers.

SPORT1: Sie arbeiten im Bereich Integration auch mit der Bundesregierung zusammen. Inwieweit greift die Politik hier in den Sport ein?

Cacau: Ich agiere mit meinen Leuten aus der Abteilung Gesellschaftliche Verantwortung beim DFB im engen Austausch mit der Staatsministerin Annette Widmann-Mauz, die beim Bund Themen der Integration gestaltet. Dieser Austausch ist großartig. Man versucht die Stärke des anderen zu nutzen. Zum Beispiel als 2015/2016 eine hohe Zahl geflüchteter Menschen nach Deutschland kam. Viele Vereine waren schlichtweg überfordert. Wo sind die Leute gemeldet, kann unser Spieler einfach so zum Auswärtsspiel mitfahren, wie sind Flüchtlinge versichert, was mache ich als Verein, wenn ich Anzeichen einer Traumatisierung feststelle. Es sind viele Fragen von den Klubs beim DFB angekommen. Die Partnerschaft mit der Bundesregierung war damals enorm hilfreich. Auch finanziell hat sich die Regierung beteiligt, um den Einstieg von Fußballern bei kleinen Vereinen zu ermöglichen.

SPORT1: Fühlen Sie sich momentan in Ihrer Rolle genug wertgeschätzt? Und hat sich das mit Fritz Keller verändert?

Cacau: Ich habe viele eigene Ideen und deswegen ist es wichtig, dass Fritz Keller absolut hinter mir steht. Damit kann ich mich super identifizieren. Es geht nicht um Wertschätzung für mich, sondern um die Wertschätzung für Integration im Fußball. Das betrifft uns alle, bundesweit und in allen Bereichen. Und falls ich merken sollte, dass das Thema nicht genug wertgeschätzt wird, dann werde ich eingreifen und diese Wertschätzung einfordern.

"Integration ist eine Lebensaufgabe"

SPORT1: Was würden Sie heute anders machen als in Ihrer Anfangszeit in dem Amt?

Cacau: Ich wirke heute stärker intern bei den Gremien des DFB mit, damit dann auch die richtigen Entscheidungen getroffen werden können. Bei der Schiedsrichtergewinnung oder der Trainerausbildung etwa, da kann doch Integration eine wesentlich größere Rolle spielen. Das müssen langfristige Maßnahmen sein, die dann helfen viele Menschen für das Thema zu sensibilisieren. Darum geht es. Wie verhalte ich mich, wenn mir die Situation begegnet? Wie verhalte ich mich bei Diskriminierung? Vor allem wenn dies nur passiert, weil ein falsches Verständnis für die fremde Kultur vorliegt. Und auch in den U-Nationalmannschaften muss schon erlernt werden, welche Aufgabe ein Nationalspieler hat.

SPORT1: Wie kann Integration wirklich besser werden? Vieles hört sich immer gut an, aber es klingt auch sehr theoretisch...

Cacau: Absolut. Integration ist Jedermanns Aufgabe und es ist eine Lebensaufgabe. Eine einfache Antwort auf diese Frage zu geben, ist nahezu unmöglich, vielleicht gibt es die auch nicht. Meines Erachtens muss man verstehen, was Integration ist und wie man das im Alltag leben kann. Ich trainiere die B-Jugend beim FC Korb. Auch dort gewinne ich täglich neue Erkenntnisse. Man muss Regeln und Werte aufstellen und danach leben. Es gibt das Grundgesetz und es gibt auch darüber hinaus Werte, die zu Deutschland gehören und die wichtig sind für das Zusammenleben. Diese gelten für alle - ohne Ausnahme. Wir sind eine offene moderne Gesellschaft. Religionsfreiheit, Gleichberechtigung der Geschlechter, Demokratie - das macht uns stark.

SPORT1: Glauben Sie nicht doch, dass ein guter Integrationsprozess im Fußball auch mithelfen kann, die Probleme in der Gesellschaft zu lösen?

Cacau: Der Fußball wird eindeutig als Indikator für das Gelingen oder Scheitern des Miteinanders in unserer Gesellschaft gesehen. Und der Fußball bewirkt ungeheuer viel, etwa durch die 80.000 Spiele an einem Wochenende. Aber der Fußball alleine kann nicht alle Probleme lösen. Damit würden wir unser Spiel - die schönste Nebensache der Welt – auch überfordern. Ich denke, wir alle zusammen, haben aus manchen Fehlern der Vergangenheit gelernt. Aber wir alle zusammen haben beim Thema Integration auch noch einen Weg vor uns.