Jetzt geht alles: Warum das DBB-Team Geschichte schreiben kann

Spätestens nach dem sensationellen Viertelfinalsieg über die favorisierten Griechen ist klar: Dieses deutsche Basketballteam kann bei der Heim-EM Geschichte hist.

Gereifter Leader: Dennis Schröder mit seinen Centern Johannes Voigtmann und Daniel Theis.
Gereifter Leader: Dennis Schröder mit seinen Centern Johannes Voigtmann und Daniel Theis. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Ältere Basketballfans werden sich erinnern. 1993 gab es schon einmal eine Europameisterschaft in Deutschland. Im Endspiel in München setzte sich das deutsche Team überraschend mit 71:70 gegen Russland durch, ein Last-Minute Dunk vom leider 2015 verstorbenen Center Chris Welp sorgte für den ersten deutschen EM-Titel. Seitdem gab es trotz der Ära Nowitzki keinen Titel mehr, die größten Erfolge waren WM-Bronze 2002 und EM-Silber 2005.

"Das ist unglaublich"

Sprung ins Jahr 2022, Berlin am Abend des 13. September. Selbst die Spieler konnten nicht ganz glauben, was sich da gerade abgespielt hatte. Mit 107:96 hatten sie eben Turnierfavorit Griechenland mit Superstar Giannis Antetokounmpo besiegt und waren ins Halbfinale eingezogen. Dreier-Spezialist Andi Obst sagte im Interview danach: "Das war ein besonderer Abend. Vielleicht der besonderste Basketball-Abend, den ich je erlebt habe." In die gleiche Kerbe schlug auch NBA-Star und Kapitän Dennis Schröder: "Die Fans waren unglaublich, unfassbare Stimmung. Das gesamte Team, von der Bank bis zur Starting Five, was wir gebracht haben, ist unglaublich." Und Jungstar Franz Wagner (Orlando Magic) drückte aus, was alle Zuschauer*innen nach dem Spiel fühlten. Jetzt gehe "alles", sagte der 21-Jährige, der bei der EM zum absoluten Leistungsträger und zweitbesten Scorer hinter Schröder herangewachsen ist.

Mit Selbstbewusstsein zum Korb: Franz Wagner macht im Schnitt bei der EM 16,3 Punkte.
Mit Selbstbewusstsein zum Korb: Franz Wagner macht im Schnitt bei der EM 16,3 Punkte. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Eine gewachsene Mannschaft und ein gereifter Leader

Insgesamt konnte man bei diesem Turnier ein Team zusammen wachsen sehen. Schröder tritt - von seinen beiden unnötigen technischen Fouls abgesehen - als gereifter Leader auf und spielt den wohl besten Team-Basketball seiner Karriere. Neben Wagner scoren auch Maodo Lô und Obst konstant, vor allem aus der Distanz. Aber in fast jedem Spiel erfüllten weitere Spieler eine wichtige Rolle. Mal ist es NBA-Center Daniel Theis, wie gegen die Griechen. In anderen Spielen übernehmen Alba-Center Johannes Thiemann oder Niels Giffey Verantwortung. Man könnte hier auch noch weitere Spieler aufzählen. Dabei hatte die Mannschaft vor dem Turnier einige echte Rückschläge hin zu nehmen. Mit Maxi Kleber, Moritz Wagner, Isaac Bonga und Isaiah Hartenstein fehlen gleich vier weitere NBA-Spieler. Doch dabei entstand genau diese Kader-Mischung aus Teamgeist, Spielfreude und Erfahrung, die ganz offensichtlich passt. Und nun Hoffnung auf den ganz großen Wurf macht.

Emotionaler Ausnahmezustand vs. kontrollierte Rationalität

Denn die DBB-Mannschaft zeichnet sich durch zwei Charakteristiken aus: Emotionaler Ausnahmezustand auf dem Feld - und kontrollierte Rationalität abseits davon. Das liegt in erster Linie am kanadischen Coach Gordon Herbert. Denn betrachtet man nur den 63-Jährigen an der Seitenlinie, könnte man den jeweiligen Spielstand beim besten Willen nicht erraten. Ob absolutes Drama in der "Crunch-Time" oder 20 Punkte Vorsprung: Herbert bleibt äußerlich cool und gelassen, fast reserviert. Das gilt in den Ansprachen an die Mannschaft genau so, wie in seinen fast schon legendär gleichmütigen TV-Interviews.

DBB-Coach Gordon Herbert in einer Auszeit mit seinen Spielern.
DBB-Coach Gordon Herbert in einer Auszeit mit seinen Spielern. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Erfahrung bringt er nach inzwischen 13 Trainerstationen im europäischen Vereinsbasketball auch wahrlich genug mit. Dazu coachte der ehemalige Frankfurt-Trainer auch schon die Nationalmannschaften von Georgien und Kanada. Nie aber passte es so gut, wie seit 2021 beim DBB. Als Antetokounmpo und seine Griechen längst verschwunden waren, schlug ein übermütiger Schröder vor, Herbert solle dem Team zum Feiern doch seine Kreditkarte überlassen, genau, wie es der in fast allen Punkten komplett konträre Italien-Coach Pozecco nach dem gewonnen Achtelfinale getan hatte. Herberts Antwort an seinen Kapitän: "Ich habe gesagt: Ich bin dreimal geschieden, das Limit wird dir nicht gefallen." Aber ein kühles Bier, das wollte sich der Coach zur Feier des Tages genehmigen.

Nowitzki feiert seine Nachfolger

Wie sehr die Mannschaft begeistert, lässt sich inzwischen nicht nur in den Hallen in Köln und Berlin beobachten. Nachdem sich Verbandspräsident Ingo Weiss über die mangelnde Unterstützung der Öffentlich-rechtlichen Sender beklagt hatte, wurde das Viertelfinale jetzt zumindest neben Magentasport auch von RTL im Free-TV gezeigt. Und prominente Unterstützung hat das Team auch längst gewonnen. Neben Dirk Nowitzki, der seine Nachfolger vor Ort anfeuert, schickten Sportstars wie Mats Hummes, Toni Kroos oder Silvio Heinevetter vor dem Griechenland-Spiel Support via Social Media. Nowitzki postete nach dem Sieg auf Twitter ein einfaches aber deutliches: "Jaaaaa!!!"

Der nächste Schritt zum Legendenstatus in Nowitzkis Fußspuren ist jetzt das Halbfinale gegen einst übermächtige Spanier. Doch in dieser Form sind Schröder, Wagner und Co. der leichte Favorit, wenn es am Freitag, 16.9. um den Einzug ins Endspiel geht. Dort könnte dann ein Rematch mit den Slowenen warten, gegen die das Herbert-Team ihre bisher einzige Niederlage in der Vorrunde einstecken mussten.

Doch dass sie selbst den amtierenden Europameister mit Superstar Luka Doncic schlagen können, haben die deutschen Basketballer in der WM-Quali bewiesen.

Im Video: "Geiler Tag!": DBB-Team fährt historischen Sieg gegen EM-Favorit Griechenland ein