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Joachim Löw vor dem schwersten Spiel seiner Karriere

Ein Trainer unter Druck: Joachim Löw bei einer Trainingseinheit in Sotschi. FOTO: EFE/EPA/MOHAMED MESSARA EDITORIAL
Ein Trainer unter Druck: Joachim Löw bei einer Trainingseinheit in Sotschi. FOTO: EFE/EPA/MOHAMED MESSARA EDITORIAL

Wir sehen Joachim Löw auf der Promenade von Sotschi. Gut gelaunt, Sonnenbrille, alles scheint bestens. Aber vor dem zweiten Gruppenspiel bei dieser WM in Russland gegen Schweden bekommt auch der Erfolgstrainer mächtig Gegenwind. Das Aus droht. Kann sich Löw neu erfinden?

Joachim Löw ist ein äußerst angenehmer Mensch. Bei unzähligen Länderspielen und auf Turnieren habe ich ihn erleben dürfen – von Wien bis Warschau und von Cardiff bis Kapstadt. Immer wieder auf Pressekonferenzen und vereinzelt auch in Einzel-Gesprächen. Gesten, Bewegungsabläufe, Sprache, Mimik, all das ist mir bei Löw sehr vertraut. Dieser zutiefst freundliche und extrem höfliche Mann mittleren Alters ist einer, den man sich zum Nachbarn wünscht. „Entschuldigen Sie Herr Löw, meine Eier sind alle, haben Sie vielleicht noch zwei?“ Er würde Ihnen sechs geben!

Was extrem ist an Joachim Löw? Nur wenig. Ja schon, an der Seitenlinie flippt er manchmal ein bisschen aus. Er fuchtelt dann mit den Armen, lässt diese wild kreisen. Aber im Grundsatz ist es so: Löw coacht unten am Rand des Spielfeldes weder auffällig, noch unauffällig. Er ist kein Phlegmatiker wie Peter Stöger, aber er ist auch kein Vulkan wie Diego Simeone, Trainer von Atlético Madrid. Auch das ist in gewisser Weise angenehm.

Es ist schon bezeichnend, dass die Szenen vom Seitenlinien-Löw, die in der Öffentlichkeit die größte Beachtung fanden, gar nichts mit Sport zu tun hatten. Bei der WM in Brasilien war es der „Icky Handshake“ mit Ronaldo, zwei Jahre später in Frankreich war es sein Griff in den Schritt, der ein mittelschweres Medien-Beben auslöste. Übrigens nicht nur beim Boulevard. Boring! Dämlich! Aber so ist das nun mal. Löw bietet nie, wirklich nie, Angriffsfläche.

Größtmögliche Macht beim DFB

Sportlich schon gar nicht. Schon jetzt ist Löw, Jahrgang 1960, einer der erfolgreichsten Trainer in der deutschen Geschichte. Seine Bilanz ist famos. Unter seiner Führung hat die Mannschaft im Schnitt 2,18 Punkte geholt. 2017 hat die deutsche Nationalmannschaft kein einziges Spiel verloren. Der Weltmeistertitel vor vier Jahren war die vorläufige Krönung einer Karriere, die als Co-Trainer beim VfB Stuttgart 1994/95 anfing und die ihn schließlich 2004/05 zum DFB führte.

Löw als Klubtrainer? Können Sie sich das noch vorstellen? Auf der Bank bei Bayer Leverkusen oder Inter Mailand? Niemals! Warum sollte er sich das aufreibende, hektische und mitunter zermürbende Tagesgeschäft antun? Nach all den schönen Erfolgen mit der Nationalmannschaft; eingebettet in einem Verband, der ihn über Jahre mit der größtmöglichen Macht ausgestattet hat. Nein, er wird das nicht machen. Und so bleibt: der DFB, „die Mannschaft“. Die WM.

An dieser Stelle wird es interessant. Die Auftaktniederlage gegen Mexiko hat vieles verändert. Die Euphorie in der erwartungsfrohen Öffentlichkeit ist auf einen Schlag verloren gegangen. Die Fans haben die Flaggen an ihren Autos bereits wieder eingeholt, bevor sie richtig montiert waren. Eine „Schlandisierung“ wie 2006, 2010 und 2014 wird, das lässt sich jetzt schon erahnen, eher nicht eintreten. Dafür sind die Nebengeräusche immer noch zu laut. Das 0:1 gegen Mexiko tut sein Übriges dazu. Mittendrin steht jetzt Joachim Löw. Er steht vielleicht nicht vor einem Berg, aber ein Hügel ist es schon.

Auch Löws Thron wackelt

Es ist eine der spannendsten Fragen bei dieser WM: Schafft es der Bundestrainer, den Hebel nochmal um zu legen? Packt er den Turnaround mit seiner Mannschaft, die in Teilen satt wirkt und in der mannschaftstaktisch – jedenfalls gegen Mexiko – vieles falsch lief? „Dieses Turnier wird uns allen Unmenschliches abverlangen. Wir sind die Gejagten“, hat Löw vor dem Testspiel gegen Spanien Ende März gesagt. „Es wird wahnsinnige Widerstände geben. Jeder will uns vom Thron stoßen.“ Die WM ist gerade mal eine Woche alt – und der Thron, auch Löws Thron, wackelt gewaltig. Am kommenden Samstag gegen Schweden kann, wenn es ganz unglücklich läuft, alles schon vorbei tun.

Man wüsste jetzt gerne, was Löw alles anders macht. Macht er was anders? Verändert er Abläufe? Haut er auf den Tisch? Macht er Kimmich, auf gut Deutsch, auch mal richtig „zur Sau“, weil dieser neben seinem (famosen) Offensivdrang regelmäßig das Verteidigen vergisst? Ist er radikal genug, sein ganzes System, auch das auf dem Platz, zu überdenken und vielleicht sogar über den Haufen zu schmeißen? Wahrscheinlich wäre all das genau jetzt nötig. Aber es ist nur schwer vorstellbar. Löw wird seinen Stil kaum ändern. Das ist zwar nur eine Vermutung von außen, aber immerhin eine, die aus langjähriger Beobachtung resultiert.

Erfolgsbesessen mit fast autistischen Zügen

Und die aktuellen Bilder von Joachim Löw an der Strandpromenade von Sotschi gehen in dieselbe Richtung. Die Botschaft, die der Bundestrainer damit senden will, ist klar: No worries, alles unter Kontrolle, alles fein. Keiner muss sich Sorgen machen. Wir werden nie erfahren, ob es sich bei den Fotos des sonnenbebrillten und joggenden Trainers um eine PR-Kampagne des DFB handelt. Wundern würde es wohl niemanden. Wie schrieb der „Spiegel“ nach der EURO 2016 in einem Text einmal so treffend: „Der coole Löw ist das Ergebnis von zehn Jahren harter Arbeit. Er hat sich lange Zeit einen persönlichen Kommunikationscoach geleistet, Marketingfachleute verpassten ihm das Image des schönen, gepflegten Mannes, der trotz der nationalen Verantwortung immer super aussieht.” Sotschi lässt grüßen.

Es scheint klar: Löw macht – nach außen hin – einfach so weiter. Natürlich hat er noch den Drive; ein namentlich nicht genannter DFB-Funktionär verriet einmal, dass der Coach eine Art „Erfolgbesessenheit“ habe, die „fast autistische Züge” trüge. Sowas geht nicht weg. Löw muss die Besessenheit jetzt aber wieder auf die Straße bringen. Er muss neu ankurbeln. Sich vielleicht auch ein bisschen neu erfinden. Und dann muss ihm die Mannschaft nur noch folgen. Was so einfach klingt, ist in Wahrheit wohl die größte Herausforderung in der Nationalmannschafts-Trainer-Karriere von Joachim Löw. Nächste Ausfahrt: Sotschi, Schweden, Samstag, 20 Uhr.