So kaputt ist der DFB

Teammanager Oliver Bierhoff nach der Ankunft der deutschen Mannschaft in Frankfurt. EFE/EPA/LUKAS BARTH
Teammanager Oliver Bierhoff nach der Ankunft der deutschen Mannschaft in Frankfurt. EFE/EPA/LUKAS BARTH

Das Aus der Nationalmannschaft war aus sportlicher Sicht verdient. Jetzt beginnt das große Hinterfragen und das sollte auch und vor allem den Verband betreffen. Von Moritz Piehler

Die Nationalmannschaft hat sich in Russland nach allen Regeln der Kunst blamiert. Was “Die Mannschaft” da auf den Rasen zauberte, ließ eigentlich alles vermissen, was man in den vergangenen Jahren bis hin zum verdienten und fantastisch erspielten Weltmeistertitel 2014 von ihr erwarten konnte. Irgendwas passte nicht dieses Mal. Kleine Störfeuer aus allen möglichen Richtungen ließen schon von Beginn an nichts Gutes vermuten. Jetzt ist das sportliche Desaster da und alles steht auf dem Prüfstand, wie es in solchen Fällen bei großen Fußballnationen der Fall ist. Die Spieler, die Vorbereitung, sogar der zuvor unantastbar erscheinende Jogi Löw und sein Trainerteam. Nur über die Struktur wird wenig geredet und über den Verband hinter der Nationalmannschaft. Dabei lohnt es sich, beim DFB mal genauer hin zu schauen, denn beim weltgrößten Fußballverband liegt einiges im Argen.

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Es wäre verkürzt, das historische Vorrundenaus bei der WM irgendwelchen Funktionären in die Schuhe zu schieben. Schließlich stehen die nicht auf dem Platz. Aber man sollte hinterfragen, ob es beim DFB in die richtige Richtung geht. Die Modernisierung des Profifußballs hat natürlich auch auf Verbandsebene stattgefunden. Was viele Fans bei ihren Vereinsmannschaften beklagen, setzt sich auch auf nationaler Ebene fort. Wie immer ist die Frage: Wo geht es noch um Fußball, wo nur noch um Profitmaximierung und Geschäftsmodell? Ein äußeres Anzeichen waren die irgendwie unglücklich und unbeholfen wirkenden Marketingkampagnen, die sich die Agenturen quer durch Deutschland ausgedacht hatten, um Hashtags und virale Wunder zu erzeugen. Da fehlte einfach das Gespür für den Fan. Wer sollte sich denn bitte von dem vokallosen Desaster-Claim „ZSMMN“ angesprochen fühlen? Selbst die Generation Snapchat lässt sich nicht so einfach ins Boot holen. Auch die anderen Claims rund um das Weltmeisterteam wirkten wie der Versuch der lokalen Sparkasse, endlich mal wieder cool zu wirken: „Best Never Rest“? Aber wenn, dann anscheinend im Englischunterricht. Oder im Französischunterricht, denn „ViveLaMannschaft“ war kaum viel geschmeidiger. Das begann alles bereits vor ein paar Jahren mit dem „Fanclub powered by Coca Cola“. Dass so was etwa so gut ankommt wie ein einstündiger Helene Fischer Auftritt vor dem Elfmeterschießen im Pokalfinale, hätte den Verantwortlichen klar sein können.

Fehlt es beim DFB an Fußballfachkenntnis?

Es war ja auch nicht so, dass sich die Begeisterung für ein Team, das den vielleicht attraktivsten Fußball seiner Geschichte spielte, größer wurde. Im Gegenteil, irgendwie kam trotz des Confed-Cup Sieges nie so richtig Wind in die Segel der Mannschaft. Die Heimspiele waren nicht immer ausverkauft und das schon seit einiger Zeit, auch im Vorfeld der WM gab es spürbar weniger Vorfreude auf das Turnier. Das mag am gespaltenen Verhältnis der Deutschen zum Austragungsort Russland gelegen haben, oder an dem Özil/Gündogan-Skandal im Vorfeld, bei dem auch der DFB kein großes Gespür für Krisenmanagement zeigte. Aber auch davor war vielerorts das Gefühl, die Nationalmannschaft sei eher ein kühl kalkuliertes Marketingprodukt. Mit austauschbaren Spielertypen und wenig echten Emotionen. So traten sie dann auch auf und wurden von emotional und feurig aufspielenden eigentlich deutlich unterlegenen Teams in ihre Grenzen verwiesen. Sogar auf der englischsprachigen Website der Deutschen Fußball Liga (DFL) erschien daraufhin ein äußerst kritischer Text zum DFB, der kurz danach wieder spurlos verschwand und von dem sich der DFB in einem Statement distanzierte. Aber es bleibt trotzdem spürbar: Nicht nur im Team selbst, auch im Verband rumort es mächtig.

Fehlt es beim DFB mittlerweile an Fußballfachkenntnis? Oder sind einfach nur die Schwerpunkte falsch gelegt worden? Im Kraftakt, den Jürgen Klinsmann begann und den Jogi Löw und Oliver Bierhoff gemeinsam weiterführten, war das ganze System umgekrempelt worden. Scheinbar zumindest. Auf sportlicher Ebene stimmt das in jedem Fall, die Jugendarbeit wurde deutlich verbessert, angeglichen, auch die Ausbildungszentren der Profivereine profitierten und profitieren noch davon. Das Resultat war beim letzten Confed Cup zu sehen: Eine fast schon übermäßige Auswahl an jungen Spielern auf fast allen Positionen, die auf höchstem Niveau mithalten können. Aber sind die verkrusteten DFB-Strukturen vielleicht doch nur auf der Oberfläche mit kleinen Schönheitskorrekturen versehen worden?

Grindel kam wie aus dem Nichts

Oliver Bierhoff ist hinter den Kulissen jenseits der sportlichen Seite der Mann, der die Nationalmannschaft entscheidend prägt. Doch mittlerweile wirkt es fast, als hätte sich der smarte Ex-Stürmer ein bisschen zu viel aufgeladen. Seit Oktober 2017 ist er Direktor für die Bereiche Nationalmannschaften und Fußball-Entwicklung. Den bisherigen Sportdirektor gibt es nicht mehr. Das bedeutet zum Beispiel, dass Bierhoff auch die Trainerausbildung betreut, die Junioren-Auswahlteams und die neue DFB-Akademie. Dazu kam seit Beginn des Jahres auch noch die Zuständigkeit für die Frauen-Nationalmannschaft. Das sind vielleicht mittlerweile zu viele Bälle in der Luft, die Konzentration auf einen Bereich, wie Hansi Flick sie als Sportdirektor innehatte, war eventuell doch die sinnvollere Variante.

An der Spitze des Verbandes steht Reinhard Grindel, ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter. Seit 2016 leitet der 57-jährige Hamburger den DFB, der gelernte Jurist arbeitete zuvor auch als Redakteur und war Zweiter Vorsitzender des Niedersächsischen Fußballverbandes. Bei seiner Wahl wurden von Beginn an Zweifel laut, denn Grindel hat weder eine Vergangenheit im Profifußball, noch andere direkte Verbindungen zu diesem Bereich. Für viele kam sein Aufstieg an die DFB-Spitze wie aus dem Nichts. Nun kann man gut nachvollziehen, dass der DFB Wert darauf legte, nach Wolfgang Niersbach jemanden zu finden, der der Klüngelei unverdächtig ist, weil er nicht aus dem direkten Umfeld der skandalumwitterten Sommermärchen Clique stammt. Aber ob Grindel da der richtige Mann ist? Schon vor seiner Wahl wurde Kritik laut, da er als undiplomatisch in der Kommunikation galt, sich bei einer Abstimmung zum Bestechungsgesetz für Abgeordnete enthielt und auch nicht als Integrationsförderer gilt, ein wichtiger Themenbereich für den Verband. Jemand mit mehr Fußballsachverstand und größere Nähe zu Vereinen und Spielern würde vielleicht dafür sorgen, dass der DFB nicht so abgehoben und entfremdet wirkt und von den Fans wieder mehr ins Herz geschlossen würde.

Keine Aufklärung des Sommermärchen-Skandals

Und dann wäre ja auch noch das große Thema Sommermärchen. Wie eine dunkle Wolke hängt das beschmutzte Wunder der WM im eigenen Land über dem Verband. Und in der Aufklärung hat sich dieser wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Halbwahrheiten, Gedächtnisverlust, Kumpelei bis hin zu nachweislichen Lügen – da war eigentlich alles dabei, was man sonst dem großen Bruder FIFA vorwirft. Und das zu recht. Plötzlich bewegten sich die Lichtgestalten des Deutschen Fußballs, der sich natürlich immer als sauberer, ordentlicher und fiskalisch einwandfrei gegenüber den kleineren Verbänden positioniert hatte im gleichen Schummerlicht. Mit dem fast schon absurden Ausgang, dass die Ethikkommisson der FIFA -ausgerechnet – vor zwei Jahren ein Untersuchungsverfahren gegen den DFB einleitete. Die große Chance für den DFB wäre es gewesen, nicht den FIFA-Weg zu gehen und mit kleinen öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen und dem Totschweigen einzelner Personen irgendwie nach einem Schlupfloch zu suchen. Stattdessen hätte der Sommermärchen-Skandal eine Möglichkeit sein können, aufzuräumen, Strukturen auch im nicht-sportlichen Bereich aufzubrechen und transparent aufzutreten.

Selbst nach Niersbachs Rücktritt bleibt es dabei, dass die Mehrheit der Deutschen Fans das ungute Gefühl hat, es habe keine ordentliche Aufklärung stattgefunden. Da hilft es dem Verband auch nicht gerade, dass es noch mehrere offene Verfahren gegen ehemalige Funktionäre gibt. Der Verband wurde bereits vom Finanzamt Frankfurt dazu verdonnert, wegen der ominösen 6,7 Millionen, die im Zusammenhang mit der WM im Umlauf waren, eine saftige Strafe von 19,2 Millionen Euro zu zahlen. Aber sowohl Niersbach, als auch Theo Zwanziger und Ex-DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt müssen sich zudem noch persönlich vor Gericht verantworten. Gerade hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Anklage wegen Steuerhinterziehung erhoben. Dazu kommt die stückweise Demontage von Franz Beckenbauer, der schließlich das öffentliche Opferlamm geben musste. Auch die war des Verbandes nicht würdig, auch wenn sein Mitwirken am gekauften Traum wohl unbestreitbar ist. Aber allein die Selbstverständlichkeit mit der der Kaiser die Vorwürfe abbügelte, hätte ein grell leuchtendes Warnsignal sein müssen, um auch intern die strukturelle Systematik dahinter genau unter die Lupe zu nehmen.

Klar ist, Grindel hat die Flanken in Russland nicht geschlagen und Bierhoff war nicht derjenige, der sie daneben geköpft hat. Aber der DFB täte mehr als gut daran, diese sportliche Niederlage zu nutzen, um sich selbst und alles, was da im Argen liegt, noch einmal einer sehr peniblen Prüfung zu unterziehen – und gegebenenfalls konsequente Schritte daraus abzuleiten.