Karriere-Aus mit 21: "Ich war machtlos"

Karriere-Aus mit 21: "Ich war machtlos"

Mit 15 war sie die jüngste Starterin bei Olympia. Mit 21 Jahren hat Gianina Ernst ihre hoffnungsvolle Karriere nun früh beendet.

Der Grund für den bitteren Entschluss: Die deutsch-schweizerische Skispringerin erlitt bereits zwei Kreuzbandrisse, die gesundheitliche Gefahr eines Comebacks ist zu groß.

Trotz ihres jungen Alters hat die Tochter des früheren deutschen Skisprung-Meisters Joachim Ernst und der Schweizer Langläuferin Cornelia Thomas bereits eine bewegte Karriere hinter sich.

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Sie war jüngste Starterin bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 - die Altersbeschränkung hing für die am 31. Dezember 1998 geborene Ernst an wenigen Stunden Ein Jahr zuvor sprang sie bei ihrem ersten Weltcupspringen in Lillehammer aufs Podest. 2015 und 2017 holte das Talent bei den Junioren-Weltmeisterschaften Gold mit der Mannschaft.

Im Interview mit SPORT1 spricht Ernst über ihre schwierige Entscheidung, blickt auf ihre Laufbahn zurück und verrät, wie ihre Zukunft ohne den Profisport aussehen wird.

SPORT1: Frau Ernst, was hat den Ausschlag für Ihren Entschluss gegeben?

Gianina Ernst: Es kamen verschiedene Aspekte zusammen. Ich möchte meine Gesundheit in den Vordergrund stellen. Nach zwei Kreuzbandrissen ist das Risiko sehr hoch, mir einen dritten zuzuziehen. Ich weiß mittlerweile, was mit so einer Verletzung verbunden ist, wie der Wiederaufbau aussieht und welche Begleiterscheinungen auftreten können. Es war keine einfache Entscheidung, aber ich musste einsehen, dass meine Gesundheit vor meiner Leidenschaft für das Fliegen vorgeht.

Gianina Ernst erlitt Kreuzbandrisse

SPORT1: Was macht so eine Verletzung im Kopf eines jungen Menschen, der aus einer Sportlerfamilie stammt, ein Talent und einen Traum hat und von höherer Gewalt getroffen wird?

Ernst: Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich gut Skispringen kann und das Talent dazu habe. Ich hatte immer den Ehrgeiz, zurückzukommen. Daran hat sich auch durch die Verletzungen nichts geändert. Die Gesundheit ist aber in den Fokus gerückt. Davor springt man einfach und trainiert. Und dann kommt dieser Gedanke, dass man vielleicht nicht mehr 100 Prozent geben kann. Bei der ersten Kreuzbandverletzung hat mich das nicht beeinflusst. Ich hatte auch keine Angst, zurückzukommen und hatte Freude und volles Vertrauen in mein Knie. Der zweite Kreuzbandriss hat dann aber schon dazu geführt, dass ich meinem Körper nicht mehr voll vertrauen konnte.

SPORT1: Ihre gesamte Jugend war vom Sport geprägt. Wie verändert sich der Alltag nun und wie schwer fällt die Umstellung?

Ernst: Ich hatte eine besondere Jugendzeit. Für mich war die größte Umstellung, nicht mehr regelmäßiges Training zu haben. Natürlich habe ich jetzt noch regelmäßig Reha-Training, aber das Pensum ist längst nicht mehr so hoch wie zuvor. Jetzt gewinnen andere Aspekte im Leben an Bedeutung. Man fängt an, sich zu überlegen, was man beruflich machen will und sich dahingehend weiterzuentwickeln. Da ich aus der Verletzung komme, war es zuletzt keine große Umstellung. Das war vielleicht auch ein kleiner Vorteil und hat den Abschied zumindest ein wenig erleichtert, da ich auch weiß, wie ich weitermachen möchte.

SPORT1: Sie wollen jetzt Psychologie studieren. Hat sich der Entschluss aus Ihrer Geschichte entwickelt oder interessierte Sie das auch so?

Ernst: Das Interesse war schon immer da. Aber es hat sich verstärkt, weil ich festgestellt habe, dass die größte Herausforderung einer Verletzung im Kopf stattfindet. Es waren einschneidende Erlebnisse für mich, die extreme Auswirkungen auf die Psyche hatten. Aber grundsätzlich entsteht mein Interesse an der Psychologie durch das Geistige, was man nicht sehen kann. Und auch durch das Skispringen. Denn das Quäntchen, das einem zum Sieg verhilft, macht man im Kopf aus. Man muss mental extrem stabil sein.

Ernst: "Hatte eine Glaubenskrise"

SPORT1: Was ist nach Ihrer Sportkarriere Ihr erstes großes Ziel?

Ernst: Ich habe tatsächlich zwei große Ziele. Das erste bezieht sich auf mein Studium. Ich habe bereits mit dem Psychologie-Studium in Zürich begonnen. Im nächsten Frühjahr finden die Selektionsprüfungen statt, wo für die nächsten Jahre ausselektiert wird. Diese möchte ich bestehen. Mein zweites Ziel ist sportlicher Natur: Ich versuche, mein Knie fit zu bekommen, dass ich nicht mehr in meiner Bewegung eingeschränkt bin und auch in den Sportalltag - den ich abseits des Profisports beibehalten will - zurückkehren kann. Ich habe vor, in Alternativsportarten einzutauchen und möchte nächstes Jahr beispielsweise eine Fallschirmspringerausbildung machen.

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SPORT1: Bei Ihrem Instagram-Post macht es den Eindruck, dass Sie sich eine positive Sicht auf Ihren Leidensweg erarbeitet haben. Wie lang war der Weg dorthin?

Ernst: Ich sehe natürlich nicht alles positiv und hatte auch schwierige Momente. Mit meinem ersten Kreuzbandriss konnte ich gut umgehen. Der zweite kam sehr überraschend, ich hatte ein stabiles Gefühl und keine Schmerzen. Das hat mich schon aus der Bahn geworfen und ich habe begonnen, zu zweifeln. Ich war machtlos und dieser Situation ausgeliefert, schließlich habe ich nach der Schule alles auf den Sport gesetzt. Meine Familie hat mich sehr unterstützt und mich durch die schwere Zeit getragen. Sie hat mich angespornt, weiterzumachen und das Positive zu sehen. Ich bin sehr gläubig und hatte zu dieser Zeit auch eine Glaubenskrise. Aber ich konnte daraus wachsen und neues Vertrauen schöpfen, dass der Weg, den ich jetzt gehe, der richtige ist. Mittlerweile habe ich wirklich eine positive Sicht erlangt.

SPORT1: Sie haben in Ihrem Post geschrieben, dass zumindest eine grundsätzliche Rückkehr in die Sportszene denkbar ist. Wie könnte diese aussehen?

Ernst: Ich kann mir vorstellen, als Sportpsychologin andere Sportler zu unterstützen - möglicherweise auch im Skisprung. Als ehemalige Skispringerin könnte ich da vielleicht meine eigenen Erfahrungen einfließen lassen, aber ich bin auch offen für andere Sportarten.

Ernst: Sotschi 2014 war größtes Erlebnis

SPORT1: Ist eine aktive Rückkehr undenkbar?

Ernst: Ja. Nicht weil ich es mir nicht wünschen würde, aber ich bin nicht bereit, das Risiko einzugehen, mich noch einmal zu verletzen. Natürlich könnte mir das auch bei anderen Sportarten passieren, aber das Risiko beim Skispringen ist einfach viel höher.

SPORT1: 2014 waren Sie als jüngste Teilnehmerin bei den Olympischen Spielen in Sotschi. Wie haben Sie dieses Erlebnis in Erinnerung?

Ernst: Für mich ist das immer noch mein größtes Erlebnis, mit dem ich viel verbinde. Es war einfach eine sehr coole Zeit. Das Geschehen dort mitzuerleben, die Stimmung, das Springen vor dem Publikum - das ist etwas ganz Besonderes und ich habe es noch lebhaft in Erinnerung. Das werde ich nie vergessen und immer gern darauf zurückschauen.

SPORT1: Das Skispringen der Frauen steht etwas im Schatten der traditionsreicheren Männer-Wettbewerbe. Was würden Sie sich wünschen, um ihm mehr Aufmerksamkeit zu bescheren?

Ernst: Ich würde mir wünschen, dass man den Frauen noch mehr zutraut. Es wäre wünschenswert, wenn sich die Großschanze und das Skifliegen auch bei den Frauen etablieren würden. So etwas geschieht natürlich nicht von heute auf morgen. Aber wenn sich das in den nächsten Jahren entwickeln würde, wäre das wirklich schön zu sehen. Das macht uns Frauen auch mehr Spaß. Und für uns ist es auch immer schön, wenn wir an den gleichen Orten wie die Herren springen. Wir sind einfach eine Gemeinschaft, wir sind von einem Schlag und dann kann man das teilen und Kontakte knüpfen.