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Worüber sich gestandene Spieler bei Tuchel beklagten

Ja, es gibt sicher dankbarere Aufgaben, als Innenverteidiger beim FC Bayern zu sein.

In den Schlagzeilen stehen die Münchner Abwehrspieler meist nur dann, wenn sie mal wieder etwas verbockt haben - so richtig zu glänzen, das fällt hingegen schwer.

Kein Wunder: Große Defensivschlachten in Rot und Weiß, bei denen sie sich auszeichnen könnten, sind bei der meist vorherrschenden bayerischen Dominanz auf dem Rasen selten.

Umso mehr sind die Vorderleute von Manuel Neuer und Yann Sommer im Spielaufbau gefordert - und schneiden dabei nicht allzu gut ab, wie SPORT1-Chefreporter Kerry Hau in der neuen Ausgabe des Podcasts „Die Bayern-Woche“ erklärt.

Bayern-Spieler beklagten sich bei Tuchel

Es ist ein oft übersehenes Bayern-Problem, das angesichts der prominenten Baustellen auf der Sechser- und Neuner-Position kaum im Fokus steht - intern aber sehr wohl Gesprächsthema ist.

„Da geht es jetzt nicht mal so sehr um Namen. Thomas Tuchel und auch mehrere Spieler haben registriert, dass von den aktuellen Innenverteidigern eigentlich keiner eine wirklich herausragende Spieleröffnung hat“, enthüllt Hau.

„Es gibt gestandene Spieler, die Tuchel darauf hingewiesen haben, dass sie mit der Spieleröffnung der Innenverteidiger nicht zufrieden sind, dass das Spiel da zu langsam ist. Da gab es schon ein paar Klagen.“

Defizite im Aufbau bei Upamecano und de Ligt

Die aktuellen Innenverteidiger, das waren in der abgelaufenen Saison in erster Linie Matthijs de Ligt und Dayot Upamecano.

Diese seien fraglos „tolle Verteidiger, die gegen den Ball aggressiv und kompromisslos arbeiten, aber mit dem Ball keine absolute Weltklasse verkörpern. Sie spielen selten einen scharfen Ball in die Tiefe oder verlagern das Spiel mit einem präzisen Diagonalball.“

In Zahlen ausgedrückt: Auf durchschnittlich acht lange Pässe über 30 Yards (rund 27,5 Meter) kommt de Ligt laut fbref.com pro 90 Minuten, bei Upamecano sind es immerhin 12,8 - beide liegen bei einer Erfolgsquote von rund 75 Prozent.

Ein Kimmich alleine genügt nicht im Aufbau

Ordentliche, aber keine herausragenden Werte - und das eingeschränkte Pass-Repertoire der Innenverteidiger hat vor allem für einen ganz bestimmten Mitspieler Konsequenzen.

„Entweder werden die Außenverteidiger flach angespielt“, erklärt Hau, „oder Joshua Kimmich lässt sich so tief nach hinten fallen, dass er den kompletten Spielaufbau übernimmt“. (Offiziell: Barca will Kimmich!)

Die Statistik untermauert das: 10,1 raumgewinnende Pässe - also Zuspiele über mindestens zehn Meter oder in den gegnerischen Strafraum - spielt Kimmich pro 90 Minuten. Upamecano kommt gerade einmal auf 6,5 solche Pässe, de Ligt lediglich auf 5,4.

Wie SPORT1-Chefreporter Hau in zahlreichen Bayern-Spielen beobachten konnte, hat das zur Folge, „dass du weniger Raumgewinn und in der Regel auch eine Anspielstation im Mittelfeld weniger hast. Dadurch wird dein Spiel tendenziell langsamer und du bekommst auch deine Außenspieler nicht so gut ins Spiel.“

Erschwerend kommt hinzu, dass Kimmich die Bayern-Feldspieler in Sachen lange Bälle mit 16,4 pro 90 Minuten mit weitem Abstand anführt - aber nur knapp 60 Prozent davon ankommen.

„Braucht es eventuell stärkere Innenverteidiger, die das Spiel von hinten besser eröffnen können?“, fragte auch die ehemalige Nationalspielerin und heutige TV-Expertin Julia Simic am Sonntag im STAHLWERK Doppelpass nicht ohne Grund.

Alaba und Boateng waren Meister in Diagonalbällen

Spielertypen, wie sie die Bayern in den vergangenen Jahren schon hatten - zum Beispiel mit dem vor der Saison zum BVB abgewanderten Niklas Süle, der in Dortmund rund 81 Prozent seiner langen Pässe (11,1 pro 90 Minuten) zum Mitspieler brachte.

Auch „David Alaba und Jérôme Boateng waren zum Beispiel richtige Meister in Diagonalbällen und bei Schnittstellenpässen“, erinnert Hau, „und die werden total vermisst“.

Wer aber soll die Lücke stopfen?

Zumindest mittelfristig könnte Tarek Buchmann aus dem eigenen Nachwuchs eine Option werden. Der 1,88 Meter große Innenverteidiger und bisherigen Kapitän der U19 „wird hochgezogen, soll einen Profivertrag erhalten und wird am Campus total geschätzt“, berichtet Hau: „Vielleicht hat er sogar die Chance, sofort zum Innenverteidiger Nummer vier aufzusteigen.“

Eine kurzfristige Lösung auf höchstem Niveau könnte sich darüber hinaus dank Benjamin Pavard und Lucas Hernández ergeben.

Abschied von Pavards und Hernández als Chance?

Weil die beiden abwanderungswilligen Franzosen ebenfalls keine ausgewiesenen Spezialisten im Spielaufbau sind, wäre es möglicherweise nicht verkehrt, ihnen keine Steine in den Weg zu legen und angesichts ihrer 2024 auslaufenden Verträge die letzte Chance zu nutzen, eine lukrative Ablöse zu generieren.

Das könnte im Gegenzug die Möglichkeit eröffnen, „einen echten Spitzenmann für die Position zu holen, der fußballerisch noch mehr mitbringt als de Ligt und Upamecano“, meint Hau.

Ob die finanziellen Mittel dafür angesichts der ebenfalls andauernden Suche nach einem Sechser (Declan Rice?) und einem klassischen Mittelstürmer (Randal Kolo Muani? Dusan Vlahovic?) allerdings reichen?

„Es gibt ein paar Positionen, die viel gehandelt werden“, betont auch Simic. „Wichtig wird sein, dass Thomas Tuchel seine Mannschaft in der Transferperiode zusammenbekommt, wo die Hierarchien klar sind und wo natürlich auch Spielertypen da sind, aus denen er sich dann sein Spielsystem bauen kann.“

Ein System, das nur funktionieren kann, wenn die Bayern möglichst schon von ganz hinten und auf allen Positionen spielerische Dominanz ausstrahlen.

Die bevorstehende Rückkehr von Manuel Neuer dürfte dabei sicherlich helfen - ein weiterer spielstarker Innenverteidiger aber gewiss nicht schaden.