Der junge Wilde, der den Weltfußball eroberte

Der junge Wilde, der den Weltfußball eroberte
Der junge Wilde, der den Weltfußball eroberte

Als am 1. Oktober 2006 ein 19 Jahre alter Teenager mit pechschwarzer Mähne und Haarband sein Profidebüt im Dress des VfB Stuttgart gab, hätten wohl die wenigsten gedacht, dass dies der Beginn einer echten Weltkarriere sein würde.

Ein gewisser Sami Khedira betrat damals den Rasen des Berliner Olympiastadions und durfte zumindest eine Minute lang seine erste Bundesligaluft schnuppern.

"Ich habe das große Glück gehabt, sogar noch mit ihm zusammenzuspielen, in meinem letzten Jahr beim VfB Stuttgart", erinnert sich Markus Babbel bei SPORT1. "Da durfte ich mit ihm Deutscher Meister werden. Dann habe ich ihn als Trainer auch erlebt."

Vierzehneinhalb Jahre später neigt sich die Profilaufbahn des Deutsch-Tunesiers ihrem Ende entgegen - und dass es ein Happy End geben wird, steht durch die vorzeitige Rettung seines letzten Arbeitgebers bereits fest. (BERICHT: Khedira beendet Karriere)

Khedira-Abschied zeigt "großen Mut und große Klasse"

Dabei passt es zum Drehbuch, dass ausgerechnet der Treffer von Samis Khediras Bruder Rani beim 2:0 der Augsburger gegen Bremen der entscheidende Impuls für Herthas Klassenerhalt war.

Vier Tage später nach der Rettung der Berliner erklärte der Weltmeister von 2014 in einer kurzfristig anberaumten Medienrunde, warum es nach eineinhalb Jahrzehnten genug sei mit dem Leistungssport.

"Es fällt mir unwahrscheinlich schwer. 15 Jahre Profifußball haben ihre Spuren hinterlassen. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass es die richtige Entscheidung ist. Der Schmerz ist zwar sehr, sehr groß, aber am Ende überwiegt Dankbarkeit", sagte der 34-Jährige.

"Kompliment, da geht natürlich eine große Karriere zu Ende", schwärmt Babbel. "Sein Körper sagt, es geht nicht mehr, ich bin zu oft angeschlagen, um der Mannschaft zu helfen. Das zeigt großen Mut und große Klasse, das zu erkennen und dann die Konsequenz daraus zu ziehen."

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Thon kann Khediras Zwiespalt nachvollziehen

Und auch für Olaf Thon ist Khediras angekündigter Rücktritt "eine weise Entscheidung. Durch die vielen Spiele und Verletzungen ist man irgendwann so gehandikapt, dass man es irgendwann keinen Spaß mehr macht", sagte der frühere Schalke-Star bei SPORT1.

Auch Thon musste am Karriereende die entsprechenden Konsequenzen ziehen, wie er sich erinnert. "Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Wenn man sieht, dass man auf höchstem Niveau nicht mehr mithalten kann, dann kann man noch ein Abschlussjahr anfügen – und dann muss auch Schluss ein."

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CL mit Real - Weltmeister 2014

Dabei kann Khedira auf eine Karriere zurückblicken, die nur den Allerwenigsten vergönnt ist. Die beiden Bundesligastationen in Stuttgart und Berlin rahmen seine Stationen bei Real Madrid und Juventus Turin ein - und überall feierte der Mittelfeld-Star große Erfolge.

Noch in seiner ersten Profisaison mit dem VfB durfte der gebürtige Stuttgarter die Schale hochheben, nachdem er am letzten Spieltag selbst für den 2:1-Siegtreffer im Heimspiel gegen Energie Cottbus gesorgt hatte. 2010 folgte der Wechsel nach Madrid, wo er bis 2015 blieb und unter anderem 2014 die Champions League gewann.

Überhaupt war 2014 das erfolgreichste Jahr in seiner Karriere. Nur eineinhalb Monate nach dem Gewinn der Königsklasse schnappte sich Khedira mit der deutschen Nationalmannschaft den WM-Pokal, auch wenn er das Finale gegen Argentinien verletzungsbedingt verpasste.

"Er ist ein großartiger Spieler, ein großartiger Mensch und tritt mehr oder weniger am Höhepunkt seines Schaffens ab", sagt Babbel. "Bis dorthin hat er wirklich Top-Leistungen gebracht."

Thon blickt durchaus ein bisschen neidisch auf den Lebenslauf eines seiner Nachfolger im zentralen Mittelfeld. "Khedira hat eine tolle Karriere hingelegt. Wer bei Real Madrid oder Juventus Turin gespielt hat, hat vieles richtig gemacht. Wenn ich sagen könnte, ich hätte bei Real gespielt, dann wäre meine Karriere richtig rund gewesen."

Pirlo setzt nicht mehr auf Khedira

Erst in seinem letzten Jahr bei den Königlichen konnte Khedira nicht mehr an die vorherigen Leistungen anknüpfen und zog 2015 weiter in die Serie A, wo er mit Juventus Turin fünf Meisterschaften in Folge holte. Seinen Stammplatz hatte der Stratege zunächst sicher, egal ob der Trainer Massimiliano Allegri oder Maurizio Sarri hieß.

"Khedira hat eine unfassbare taktische Intelligenz", schwärmte Sarri noch 2019 und vertraute auf seinen Lieblingsspieler, als dieser längst nicht mehr die Schnelligkeit früherer Tage besaß. "Wenn er ein Problem sein soll, dann behalte ich dieses Problem gerne", erwiderte der Coach den Skeptikern.

Überhaupt war Khedira in der öffentlichen Meinung chronisch unterschätzt und nie ganz unumstritten, während seine Trainer in aller Regel bedenkenlos auf ihn setzten.

Doch der Wechsel auf der Juve-Bank zu Andrea Pirlo bedeutete das faktische Aus des 77-maligen deutschen Nationalspielers bei der Alten Dame. Khedira, das machte Pirlo früh klar, hatte im Konzept des Neu-Trainers keinen Platz mehr.

"Das ist ja bei Juventus schon losgegangen, wo alles ein bisschen mehr gezwickt hat, wo alles immer länger gedauert hat", erinnert sich Babbel. "Jetzt eben auch bei Berlin, wo er nicht mehr so mithelfen konnte, wie er es sich gerne gewünscht hätte. Dann musst du eben sagen: 'So, das war’s'. Er kann sehr sehr stolz auf seine Karriere sein, die mit Titeln nur so gepflastert ist."