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"War schön zu hören, dass Kimmich klare Kante gezeigt hat"

"War schön zu hören, dass Kimmich klare Kante gezeigt hat"

Gut gelaunt und tiefenentspannt kommt Dirk Schuster zum Treffen mit SPORT1.

Der 53-Jährige hat das Aus bei Erzgebirge Aue im Mai dieses Jahres längst verarbeitet. Sein Nachfolger Aleksey Shpilevski wurde am Sonntag auch schon wieder entlassen. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 2. Bundesliga)

Schuster, der seine erfolgreichste Zeit als Trainer bei Darmstadt 98 hatte, sprach nun im Interview über seine Zeit in Aue, seinen früheren Spieler Sandro Wagner, streikende Profis - und die 2. Liga. (DATEN: Die Tabelle der 2. Bundesliga)

Schuster: Aue-Aus hatte „faden Beigeschmack“

SPORT1: Herr Schuster, das Aus bei Erzgebirge Aue war unschön. Warum?

Schuster: Wir waren zum Schluss unterschiedlicher Meinung, was die Ausrichtung angeht. Es gab keinen gemeinsamen Konsens mehr und da muss man so konsequent sein, einen Schlussstrich zu ziehen.

SPORT1: Es war also keine schmutzige Trennung?

Schuster: Natürlich gab es einen faden Beigeschmack, aber das hat ja irgendwie jede Trennung, weil es natürlich weh tut. Ich habe viel Herzblut investiert und habe mir Gedanken gemacht, wie es weitergehen kann. Ich war schon voll in den Planungen für diese Saison. Aber wir haben dann die zwei Schablonen übereinander gelegt und gemerkt, dass es nicht mehr passt. Für mich bleibt nichts hängen.

Schuster: „Team war müde“

SPORT1: Es hält sich das Gerücht, dass am Ende auch Teile der Mannschaft nicht mehr auf Ihrer Seite waren.

Schuster: Das stimmt nicht. Natürlich gibt es immer unzufriedene Spieler, die nicht so viel spielen, auch bei mir gab es Härtefälle. Als Trainer kann ich es nicht allen recht machen. Aber ich denke, dass ich durch viel Kommunikation ganz gut dagegen gewirkt habe.

SPORT1: Ihr Nachfolger hatte etwas gestichelt über den Zustand der Auer Mannschaft - nun wurde er beurlaubt, Aue ist Tabellenletzter. Da müssten Sie etwas Genugtuung spüren, oder?

Schuster: Nein, Schadenfreude liegt mir fern, und ich hatte das auch nicht als Stichelei wahrgenommen. Was er gesagt hat, bezog sich auf die Analyse der zurückliegenden Spiele nach dem erreichten Klassenerhalt. Da haben wir uns nicht gut präsentiert, vor allem nicht beim 3:8 gegen Paderborn. Aber man muss auch die Hintergründe kennen: Wir bekamen in der Winterpause keinen Neuzugang, hatten immer wieder Corona-Probleme und haben mit dem kleinen Kader fast die komplette Runde durchgespielt. Als die Rettung geschafft war, fiel bei den Jungs einiges an Spannung ab - was menschlich ist. Die Spieler waren überspielt und müde. Es ist jedoch so, dass das Team unter meiner Leitung nie in den Dunstkreis der Abstiegsränge kam.

Schuster: „2. Liga brutal stark“

SPORT1: Lassen Sie uns über die 2. Liga sprechen. Ist es die stärkste seit vielen Jahren oder vielleicht seit der Gründung?

Schuster: Die 2. Liga ist brutal stark, weil es eine verkappte 1. Liga ist. Die Aufsteiger haben Euphorie mitgenommen, nur Ingolstadt hat den Drive etwas verloren. Die großen Klubs, die aus der Bundesliga abgestiegen sind, tun sich schwer, wie man an Schalke sieht. Vor allem anfangs hatten sie die Liga nicht wirklich angenommen. Die 2. Liga ist hoch interessant, jeder noch so kleine Fehler wird bestraft und entscheidet Spiele. Jedes Wochenende merke ich anhand der Klasse der 2. Liga, wie oft ich falsch liege mit meinen Vorhersagen und Tipps (lacht).

Schuster: Da lag Effenberg falsch

SPORT1: Würde man Ihnen weh tun, wenn man sagt, dass Sie nur in der 2. Liga funktionieren?

Schuster: Damit tut man mir nicht weh, denn diese These stimmt nicht. Ich habe mit Darmstadt 98 im ersten Jahr nach dem Erstliga-Aufstieg als absoluter Underdog die Klasse gehalten. Jeder sagte uns, dass wir sofort wieder absteigen. Auch zum Beispiel Stefan Effenberg gab mir das damals klipp und klar zu verstehen. Aber wir haben es den Experten und Kritikern gezeigt. Auch in Augsburg hatten wir trotz einiger verletzter Spieler eine gute Punktzahl. Ich habe also auch in der 1. Liga funktioniert.

Schuster: Darum klappte es bei Augsburg nicht

SPORT1: Warum hat es beim FCA nicht geklappt?

Schuster: Weil ich mit meinem Trainer-Team zu schlecht vorbereitet war. Es war ein Hoppla-Hopp-Wechsel von Darmstadt nach Augsburg, was eigentlich auf dem Papier her gepasst hat und der nächste Step hätte sein können. Ich habe mich zu wenig mit den Strukturen beschäftigt und bin ab und an in Kompetenzbereiche reingeschlittert, wo sich der eine oder andere auf den Schlips getreten gefühlt hat, durchaus zurecht. Wir kannten es aus Darmstadt einfach anders. Ich hätte mich mehr mit dem FCA intern beschäftigen müssen. Das muss ich mir ankreiden lassen. Aber ich habe daraus gelernt und meine Schlüsse gezogen.

Schuster: „Spieler sind Ich-AGs“

SPORT1: Fußballprofis bekommen heutzutage immer mehr Macht. Manche streiken sich einfach aus dem Vertrag. Was sagen Sie dazu?

Schuster: Ein ganz schwieriges Thema. Leider kommt das immer öfter vor, was gerade für die Fans überhaupt nicht nachzuvollziehen ist - zurecht! Die Spieler sind als Ich-AG unterwegs. Es ist aber auch ein zweischneidiges Schwert. Wenn ein Spieler unbedingt weg will und die eigenen Interessen über die des Klubs und der Mannschaft stellt, dann geht das überhaupt nicht. Wobei es dann auch nichts bringt, ihn mit aller Macht zu halten, wenn er keinen Bock mehr hat. Und mit Geldstrafen sind in den ersten beiden Ligen keine Spieler mehr zu kriegen. Als Trainer versuche ich da mehr über die Ehre zu kommen. Man muss irgendwie versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden – sonst verlieren nur beide Seiten. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 2. Bundesliga)

Schuster: „Berater haben großen Einfluss“

SPORT1: Sind die Berater heute eine Gefahr für Vereine?

Schuster: Schon, denn sie haben einen großen Einfluss auf die Spieler. Und weil die Zahl der Berater viel größer geworden ist, ist es schwierig zu unterscheiden, wer die Guten und Ehrlichen sind - und wer nicht. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass ich einen Spieler angeboten bekommen habe, der dann gar nicht bei dem Berater war. Sie fragen manchmal einfach: ‚Wollt Ihr den Spieler haben? Ich könnte ihn Euch besorgen.‘ Oder manch einer sagte mir auch schon: ‚Ich kann dir den und den vermitteln, du musst aber erst zu mir wechseln...‘ So darf das Geschäft nicht laufen.

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Schuster: Deshalb ist Kimmich ein Vorbild

SPORT1: Hatten Sie mal ein krasses Erlebnis mit einem Berater?

Schuster: Ja. Ich hatte damals keinen Berater und da kam jemand auf mich zu und bot mir einen türkischen Klub an. Ich habe ihm gesagt, was meine finanziellen Vorstellungen wären. Im Endeffekt kam aber raus, dass von dieser Summe noch drei größere Beträge für irgendwelche andere Personen abgehen sollten. Da habe ich sofort abgewunken. Ich werde nie irgendwelche Schmiergelder von meinem Geld weitergeben, nur, damit ich einen Job kriege.

SPORT1: Joshua Kimmich hat zuletzt seinen Vertrag bei den Bayern ohne Berater ausgehandelt. Selbstbewusst oder leichtsinnig?

Schuster: Mutig und lobenswert. So ein Vertrag umfasst in der 2. Liga schon einige Seiten - ich kann mir vorstellen, dass beim FC Bayern noch einige Seiten dazu kommen. (lacht) Es war schön zu hören, dass der Junge so selbstständig ist und klare Kante gezeigt hat, was er möchte und was nicht. Kimmich oder Typen wie Sandro Wagner tun der Branche sehr gut. Früher waren das Matthäus, Effenberg oder Basler. Eine spezielle Spezies also. Die Art und Weise, wie sich Sandro oder Kimmich präsentieren, wird die Zukunft sein, davon bin ich überzeugt.

Schuster: „Wagner ist ein geiler Typ“

SPORT1: Sie waren in Darmstadt der Trainer von Sandro Wagner, der dort sein bestes Jahr als Profi hatte. Er ist ein sympathischer Typ, der immer klar seine Meinung sagt. Er wurde schnell Cheftrainer im Profibereich. Wie war es mit ihm?

Schuster: Sandro ist ein geiler Typ. Als Spieler konnte er eine absolute Drecksau sein, er hat alles für die Mannschaft gemacht. Okay, nach dem Spiel hat er emotional manchmal seine Zunge etwas zu schnell bewegt (lacht). Ich kann mich sehr gut an unsere erste Episode erinnern: Ich suchte in Darmstadt für die 1. Liga einen Stürmer und habe Sandro auf der Rückfahrt von einem Testspiel angerufen - entgegen allen Unkenrufen, die es in der Zeit von Mitspielern und Trainerkollegen gab. Ich sagte ihm: ‚Wir würden Dich gerne morgen zum Gespräch treffen, um abzuchecken, ob die Chemie stimmt.‘ Er sagte sofort: ‚Ja Trainer, wo soll ich sein?‘ Ich meinte daraufhin nur: ‚Wenn es Dir nichts ausmacht von Berlin nach Darmstadt zu kommen, wäre das schön, wir wollen Dir auch gerne das Stadion zeigen. Wie wär‘s denn um 14 Uhr, du müsstest dann zeitig in Berlin losfahren, oder?‘ Und er erwiderte dann: „Trainer, es ist mir scheißegal, wann Sie mich bestellen. Ich kann auch um 10 Uhr da sein.‘ Da wusste ich schon, dass ich den Jungen will. Ein anderer hätte vielleicht gesagt ‚Ich komme zwei Stunden später, weil ich noch mit meiner Frau frühstücken muss‘, Sandro nicht.

SPORT1: Und die Entscheidung war goldrichtig.

Schuster: Absolut. Sandro hat allen gut getan. Am Anfang hatte er zwar noch keinen Stammplatz, aber bei jedem Spiel hat er mit den Hufen gescharrt und sogar mal auf der Bank geschimpft: ‚Wann wechselt der Idiot denn endlich, ich will jetzt rein!‘ Diese Worte kamen auch zu mir rüber. Aber das hat für Sandro gesprochen und das waren Anzeichen für mich, dass er total gebrannt hat. Nach Darmstadt hat er seinen Weg weiter gemacht. Auch den FC Bayern hat ihm keiner mehr zugetraut. Er hat inklusive Nationalmannschaft noch mal eine richtig schöne Karriere hingelegt.

Schuster: Wagner hat als Experte „überzeugt“

SPORT1: Und bei der EM sogar als TV-Experte überzeugt. Wie haben Sie ihn da gesehen?

Schuster: Da hat er mich brutal überzeugt. Das hätte ich Sandro so nicht zugetraut. Wie er sachlich klar und fundiert Spiele analysieren konnte, war wirklich große Klasse. Ich dachte nur: ‚Hoppla, da hat er ganz genau hingeschaut.‘ Er hat viele Dinge richtig erkannt und ich kann mir nicht vorstellen, dass er dafür einen Ghostwriter hatte. Es war für mich dann nur logisch, dass er die Trainerkarriere einschlagen würde. In Unterhaching hat er die Möglichkeit, die ersten Schritte zu gehen.

Schuster: „Würde mir HSV oder Schalke zutrauen“

SPORT1: Würden Sie gerne den HSV oder Schalke trainieren?

Schuster: Ich werde mich hier nicht bewerben, und ich wünsche keinem Kollegen, dass er den Job verliert. Aber natürlich traue ich mir beide Klubs zu. Beide Vereine sind tolle Traditionsvereine und es wäre eine große Herausforderung, sie zu trainieren.

SPORT1: Hätten Sie es ähnlich gemacht wie Grammozis und wären schon in der alten Saison gekommen? Stichwort Abnutzungsgefahr.

Schuster: Ja, unter der Bedingung, dass man im Vorfeld bereits einen Konsens findet, wie man den Kader für die 2. Liga zusammenstellt. Wenn das alles gut geklärt ist, dann wäre ich wie Grammzozis auch schon in der alten Runde gekommen. Schalke ist auch in der 2. Liga ein Highlight.

Schuster: „Es gibt keine echte Fan-Nähe mehr“

SPORT1: Was nervt Sie am Fußballgeschäft?

Schuster: Mich nervt, dass es keine echte Fan-Nähe mehr gibt. Viele Stadien sind steril geworden, die Teams schotten sich ab. So kann richtiger Fan-Kontakt seitens der Spieler gar nicht mehr entstehen. Zum Training fahren die Spieler durch einen Tunnel in die Katakomben - und kein Fan sieht auch nur einen seiner Lieblinge. Vielleicht mal ein Autogramm am Zaun, das war es dann auch schon. Der wirkliche persönliche Kontakt ist leider abhandengekommen, das ist extrem schade. Und was mich nervt, ist der Video-Assistent. Gewisse Entscheidungen machen den Fußball kaputt. Auch die Hand-Regel ist zu undurchsichtig. Der Fußball muss wieder ehrlicher, einfacher und volksnaher werden!

SPORT1: Trotzdem scharren Sie sicher schon wieder mit den Hufen. Gibt es bereits konkrete Anfragen?

Schuster: Ich kann konkret sagen, dass es noch keine konkrete Anfrage von einem Verein gibt, der mich gereizt hat. (lacht) Die Saison ist noch jung und die Klubs tun gut daran, unserer Zunft mehr Zeit zu geben. Wenn man als neuer Trainer irgendwohin kommt, dann sollte man auch etwas entwickeln können. Du kannst nicht in drei Monaten deinen eigenen Stil komplett durchbringen. Neue Spieler und sich selber zu integrieren braucht Zeit. Man darf nicht gleich beim ersten Gegenwind umfallen.

Schuster: Aue-Rückkehr kein Thema

SPORT1: Dennoch öffnen sich durch Entlassungen sicher Türen für Sie…

Schuster: Ich möchte kein Jahr Pause machen und nur am Strand liegen. Ich bin definitiv bereit für eine neue Herausforderung.

SPORT1: Der Posten bei Aue ist wieder frei…

Schuster: Ich würde generell nicht mehr zu einem Klub gehen, bei dem ich schon war. Weil man immer mit der ersten Amtszeit verglichen wird. Und es wird nie eine Kopie des alten Erfolgs geben. Felix Magath sagte mal im Doppelpass, dass es brutal schwierig ist, an seine alte Wirkungsstätte zurückzukehren und bei Null anzufangen. Er hatte mir auch geraten, nicht nach Darmstadt zurückzukehren, was ich im Nachhinein verstehen kann. Es gibt aber auch genug andere interessante Klubs im In- und Ausland. (grinst)