Kommentar: Gündoğan und Özil sind unsere beiden Hampelmänner

Für das Treffen mit dem türkischen Präsidenten ernten Özil und Gündoğan viel Kritik (Bild: Kayhan Ozer/Presidential Palace/Handout via Reuters)
Für das Treffen mit dem türkischen Präsidenten ernten Özil und Gündoğan viel Kritik (Bild: Kayhan Ozer/Presidential Palace/Handout via Reuters)

Die deutschen Fußballnationalspieler posieren auf einem Foto mit dem türkischen Präsidenten. Das sollten sie nicht tun. Sie sollen doch für uns hampeln.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Plötzlich sind wir wieder ein Volk von Tugendwächtern. Auf ein Foto mit einem Autokraten, also das geht wirklich nicht – vor allem, weil eine Verweigerung hübsch günstig zu ergattern ist, ohne großen Aufwand.

Die Kritik an İlkay Gündoğan und Mesut Özil ist scheinheilig. Sie dokumentiert, wie wir mit zweierlei Maß messen, wenn es um Deutschtürken geht.

Die beiden Fußball-Nationalspieler posierten auf einem Foto mit Recep Tayyip Erdoğan. Sie trafen in London aufeinander, wo die beiden spielen, bei einer Stiftungsveranstaltung. Gündoğan hatte dem türkischen Präsidenten ein Trikot überreicht, drauf geschrieben „Für unseren Präsidenten“ – der Shitstorm war perfekt. Selbst DFB-Präsident Reinhard Grindel, der sich im Fressen von Kreide echte Perfektion auferlegt hat, twitterte empört: „Der Fußball und der DFB stehen für Werte, die von Herrn Erdoğan nicht hinreichend beachtet werden.”

Aha. Nicht hinreichend. Welche Werte der DFB vertritt, wäre mal ein Gespräch wert. Meint Grindel die Zahlung von Bestechungsgeldern, um ein Turnier ausrichten zu dürfen? Als vor kurzem bekannt wurde, dass der deutsche Journalist Hajo Seppelt kein Einreisevisum zur Fußball-WM in Russland bekommen hat, kamen von Grindel keine starken Worte, er schob die Verantwortung blank an die Politik weiter; Seppelt ist bei der russischen Regierung womöglich nicht hinreichend beliebt, weil er das massive Sportlerdoping mit aufgedeckt hat. Grindel verlangt also politische Statur, die ihm fremd ist. Oder wird er aus dem Stadion rennen, wenn sich Wladimir Putin mit ihm ablichten lassen will?

Die Moschee bleibt im Dorf

Der russische und der türkische Präsident sind beides Autokraten, die sich um Freiheit, Mitbestimmung, eben Demokratie kaum scheren. Ihnen geht es um sich selbst, um ihren Machtausbau; für ihre Länder ist ihre Herrschaft fatal.

Was aber Gündoğan und Özil vorgeworfen wird, ist… ein Foto. Dass Erdoğan „ihr Präsident“ ist, stimmt zumindest für Gündoğan, denn der besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft, während Özil nur den deutschen Pass hat. Wir können die Moschee im Dorf lassen: Erdoğan ist ein gewählter Politiker, es ist nicht strafbar, seine Politik so lala, halbwegs okay oder supidupi zu finden. Oder sollte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ein gemeinsames Foto mit dem Präsidenten verweigern, wenn sie in Ankara zum Staatsbesuch weilt? Und was täte Deniz Yücel, der ein Jahr lang in einem türkischen Gefängnis schmorte, nur weil er seinen Job als Journalist verrichtete und damit Erdoğan auf die Nerven ging? Ich kann mir vorstellen, dass er sich sofort mit dem Typen fotografieren lassen würde und gleich die Gelegenheit nutzte, um ihm die eine oder andere Frage zu stellen.

Die beiden Spieler sind unsere Hampelmänner. Sie müssen superdeutsch auftreten, wollen wir ihnen die Gnade des deutschen Passes gönnen, schließlich gibt es angeblich diese Bäckereiwarteschlangenblicke. Wollen Gündoğan und Özil dazugehören, müssen sie dem Döner abschwören, womöglich sind dies die Werte, die DFB-Grindel meint.

Kritik als Waffe

Eine einfache Frage hebelt die Empörung, welche die beiden gerade trifft, aus: Würde einen Thomas Müller ein Shitstorm treffen, würde auf einem Foto mit Erdoğan zu sehen sein? Ach, der Müller, würden wir schmunzeln. Aber bei Deutschtürken messen wir mit zweierlei Maß.

Es ist so, wie unbewusst und daher unfreiwillig Jens Spahn von der CDU am vergangenen Wochenende beim Katholikentag sagte: „Heimat ist für mich erstmal das, wo ich mich nicht erklären muss“, definierte der selbst ernannte Konservative der Christdemokraten. Stimmt. Und von den Deutschtürken verlangen wir andauernd, dass sie sich erklären.