Kommentar: Gute Sprache, schlechte Sprache

Mehrsprachigkeit wird bei Kindern immer noch stigmatisiert statt gefördert (Symbolbild: Getty Images)
Mehrsprachigkeit wird bei Kindern immer noch stigmatisiert statt gefördert (Symbolbild: Getty Images)

Laut einer Studie spricht in Deutschland jedes fünfte Kind zuhause nicht Deutsch. Anstatt sich auf die Mehrsprachigkeit und Förderung dieser zu konzentrieren und sie zu begrüßen, werden die Kinder und ihre Eltern marginalisiert. Wohin führt die Dämonisierung von anderen Sprachen?

Ein Kommentar von Nour Khelifi

Jedes fünfte Kita-Kind spricht laut einem Bericht des Bundesfamilienministeriums zuhause eine andere Sprache als Deutsch. Das berichtet die Funke Mediengruppe, welche sich auf eine Anfrage der FDP stützt. Bei den über drei Millionen Kindern in Kindertagesstätten liege die Zahl bei 675.000 Kindern, die zuhause mit ihren Familien in erster Linie nicht Deutsch reden. Bei der Darstellung von solchen Zahlen verbunden mit dem Thema Deutsch lernen und sprechen, ist es selbstredend, dass Kinder aus migrantischen Haushalten marginalisiert werden und “gute Integration” am Ausmaß der Deutschkenntnisse gemessen wird. Heute wie damals. Mehrsprachige Eltern berichten, dass ihre Kinder aus der Kita nachhause kommen und erzählen, dass sie nicht hier und da auf ihrer Muttersprache mit anderen Kindern kommunizieren können. Schülerinnen und Schüler werden für ihre Zweit- und Drittsprache bloßgestellt von den Lehrer*innen. Kindern wird damit früh eingetrichtert, dass man es in dieser Gesellschaft nur schaffen kann, wenn man einwandfreies Deutsch beherrscht.

Deutsch als Schlüssel zur Integration?

Auch wenn keine explizite Deutschpflicht vorliegt, wird immer von dieser “freiwilligen Selbstverpflichtung” geredet. Ein unterschwelliges Synonym für Zwang. Den eigenen Antrieb zu haben, jede Sprache aus jedem Raum zu verbannen, um Deutsch zu lernen, zu perfektionieren, zu inhalieren. Nur um dann Jahre später auf dem Arbeitsmarkt zu erleben, dass die Kenntnis der deutschen Sprache allein nicht reicht. Rassismus und Diskriminierung machen eben keinen Halt vor der perfekten Rechtschreibung und Grammatik. Name, Herkunft, Hautfarbe, Religion, Aussehen sowie Bildungsstand und soziale Schicht bestimmen den Platz in der Gesellschaft. Sprache kann hier und da Schlüssel sein, aber nicht immer. Wieviele migrantische Personen gibt es, die systemrelevante aber unterbezahlte Berufe ausüben, obwohl sie einwandfrei Deutsch können? Man kann sich hochlernen, hocharbeiten, hochstudieren - es wird nie reichen. Das Mantra “Deutsch als Schlüssel zu Integration” hätte noch vor drei Jahrzehnten funktioniert. Heute aber nicht mehr.

Verdeutschtes Arabisch

Aufgewachsen in Österreich mit Arabisch und Französisch als Erstsprache, war es für meine Lehrer-Eltern immens wichtig, dass wir als österreichische Kinder perfekt Deutsch lernen und reden. Das ging so weit, dass wir letzten Endes heute eher Deutsch als Muttersprache angeben, als Arabisch oder Französisch - weil wir nunmal Sprachdefizite aufweisen im arabischen und französischen Bereich. Was ich von zuhause aus ohne jegliche Mühe hätte lernen können, musste ich im Teenageralter als Zusatzfächer in der Schule nehmen und mich händeringend abmühen, insbesondere bei Arabisch, weil semitische Sprachen im Alter immens schwierig zu erlernen sind. Meine Geschwister haben früh aufgegeben und sind somit Analphabeten, was das Lesen und Schreiben von Arabisch anbelangt. Ich habe noch irgendwie die Kurve kratzen können, Arabisch sprechen und schreiben wird aber bis heute von Stottern und Schreibfehlern begleitet. Zuhause sprechen wir bis heute einen Mix aus Arabisch, Französisch und Deutsch-Wienerisch. Deutsch ist aber immer noch die dominierende Sprache. Unser Arabisch klingt verwaschen, verdeutscht, eigentlich verloren.

In unserer Gesellschaft sind manche Fremdsprachen besser angesehen, als andere (Symbolbild: Getty Images)
In unserer Gesellschaft sind manche Fremdsprachen besser angesehen, als andere (Symbolbild: Getty Images)

Unsere Entwicklung des Erstspracherwerbs wurde eingestampft von den Vorgaben der Mehrheitsgesellschaft, die bestimmt, welche Sprachen erwerbsfähig sind und welche nicht, welche Sprachen akzeptiert werden und welche nicht. Hätten meine Eltern so sehr darauf gepocht, wenn unsere Muttersprache Finnisch oder Englisch gewesen wäre? Nein. Denn in der österreichisch-deutschen Gesellschaft gibt es sprachliche Vorlieben, aber auch sprachliche No-Gos. Spanisch, Französisch, Italienisch - alles Sprachen, die hoch angesehen werden und einem einen kultivierten Touch verleihen, wenn man sie lernt. Slawische Sprachen wie Polnisch, Russisch aber auch semitische Sprachen wie Arabisch oder Farsi gelten als zu “ausländisch”, nicht angepasst, integrationsunwillig. Jedoch nicht, wenn Weiße diese Sprache erlernen. Wenn ich Arabisch gesprochen habe, war ich gefährlich. Wenn Dieter Arabisch gesprochen hat, war er weltoffen, kultiviert, intellektuell.

Mehrsprachigkeit sollte gefördert werden

Diese konstante Marginalisierung auf den verschiedensten Ebenen, selbst auf der sprachlichen, zeugt von der Ignoranz der Stimmen aus Politik und dem Netz. Der österreichische Logopäde Ali Dönmez ist der Meinung, dass wir bei Themen wie Deutsch, Sprache, Zweitspracherwerb oder Entwicklung der Kinder nicht auf jene hören sollten, die am lautesten schreien, sondern auf die, die sich sprachwissenschaftlich und pädagogisch mit diesem Thema auseinandersetzen. Und genau darum geht es. Wieviele Studien belegen mittlerweile, dass es wichtig ist, zuerst die Muttersprache perfekt zu erlernen, um sich dann jegliche weiteren Sprachen aneignen zu können?

Was in meiner Kindheit und Jugend direkt aber auch unterschwellig kritisiert wurde, zählt heute zu meinen wichtigen Skills im Beruf als Journalistin. Mehrsprachigkeit sollte in den Kindergärten gefördert und nicht gestoppt werden. Ja, man kann für Deutsch in Bildungsstätten sein. Aber man sollte auch für andere Sprachen an solchen Orten sein und diese dementsprechend mit öffentlichen Geldern finanzieren.

Eine Gesellschaft, die sich pluralistisch nennt, muss es nicht nur aushalten, dass ein Kind in der Kita neben Deutsch auch Türkisch, Vietnamesisch oder Swahili spricht, sondern auch begrüßen.