Kommentar: Merz tauscht Kanzleramt gegen Schwulenwitz

Männer mit Ambitionen und Altherrenwitzen: christian Lidner (FDP) und Friedrich Merz, CDU (Bild: Getty Images)
Männer mit Ambitionen und Altherrenwitzen: christian Lidner (FDP) und Friedrich Merz, CDU (Bild: Getty Images)

Der CDU-Möchtegernchef stolpert über seinen eigenen Humor. Und der FDP-Chef bleibt deswegen auf seinem Stuhl kleben. An beiden rast die Zeit vorbei.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Dumm gelaufen für die Beiden. Friedrich Merz wird sich fragen, warum die Welt auf einmal böse zu ihm geworden ist. Und Christian Lindner wird ungläubig in seinem Manual für Parteitagswitze blättern und sich fragen, warum ihm dieser Bumerang zurückgeflogen ist.

Beide wollten doch nur cool sein. Stattdessen sind sie out. Und alles wegen einer Zote.

Friedrich Merz schaffte es in einem Interview, auf eine bescheuerte Frage eine noch üblere Antwort zu finden. Ob er sich einen schwulen Bundeskanzler vorstellen könnte, sollte er sagen und befand, dass er da keine Vorbehalte hätte, "solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft", sei "die Frage der sexuellen Orientierung kein Thema für die öffentliche Diskussion". Aha. Bei Liebe zwischen Männern denkt Merz an Gesetze und Pädophilie. Und spricht es aus.

Laschet: Sexuelle Orientierung spielt im Jahr 2020 keine Rolle mehr

Gerade rudert der Anwärter auf den CDU-Parteivorsitz kräftig herum und will uns weismachen, dass die beiden Nebensätze nichts miteinander zu tun hätten – für das Einhalten von Gesetzen und gegen den Missbrauch von Kindern ist ja jeder. Doch klarer als Kloßbrühe erscheint sein Bemühen, Männersex als eine Frage des Gesetzes und des Kinderschutzes zu sehen – würde er ähnlich formulieren, ginge es um einen heterosexuellen Kanzler?

Wahre Stärke sieht anders aus

Merz redete schon früher abfällig über Homosexualität. Das scheint ihm ein Anliegen zu sein, zumindest meint er damit zu punkten, als eine Art kerniger Kerl, alte Schule, was weiß ich. Womöglich denkt er bloß einer Minderheit aus dem Mainstream heraus einen mitgeben zu können. Das ist jedenfalls wenig kernig, sondern eher feige.

Wer CDU-Vorsitzender wird, zieht ins Kanzleramt ein. Merz verbaut sich seine Chancen darauf mit einem einzigen Witz. Das ist der wahre Witz.

Ihm ergeht es wie Christian Lindner. Der hatte als FDP-Parteivorsitzender auf dem Parteitag die heikle Mission, sich von seiner Generalsekretärin zu verabschieden; er wollte den Posten neu besetzen. Auch Lindner wollte witzig sein. Er habe mit Teuteberg rund 300 Mal "den Tag zusammen begonnen", und als ihm Lacher aus dem Saal entgegenschallten, schob er hinterher: aber "nicht, was Ihr jetzt denkt!", sondern telefonierend. Später meinte Lindner, er habe in seinem Erstaunen über die Saalreaktion derart formuliert. Dumm nur, dass er dieselbe Choreographie mit Claudia Roth durchgezogen hatte. Nebenbei verrät er uns, wie unwiderstehlich er sich hält, schließlich wollen eine Menge Frauen neben ihm aufwachen. Das ist so gockelhaft wie die Idee im Bundestagswahlkampf inhaltsleere Plakate nur mit seinem Konterfei samt Dreitagebart zu kleben.

Kommentar: Was Lindners Witz über die FDP verrät

Lindner stolpert nur deswegen über diese Zote nicht, weil zum einen sein Job recht unbedeutend geworden ist und zum anderen es kaum geeignete Kandidaten für seine Nachfolge gibt. Er bleibt also bis zum nächsten Witz kleben.

War was?

Beide leben wie im vergangenen Jahrhundert. Damals war es noch ok, Häme über Frauen und schwule Männer (eh quasi Frauen, in diesem Weltbild) auszuschütten – eine systemstabilisierende Maßnahme von Männerherrschaft. Und wir herrschen immer noch. Aber die Throne wackeln. Und die Selbstverständlichkeit, das Beiläufige der Diskriminierung schwindet.

Merz und Lindner haben das getan, was sie schon immer taten. Nur ändern sich die Zeiten, immerhin gab es „Me too“ und manch andere Erkenntnis beziehungsweise Eingeständnisse.

Also entwickeln sich ihre Zoten zu Bumerangs für sie selbst. Dumm gelaufen für sie. Und gut für das Land.

Video: 75 Jahre UNO - Merkel hält Plädoyer für Multilateralismus