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Kommentar: Mesut Özil – ein Deutscher

Einer der besten Fußballer Deutschlands hört auf. Mesut Özils Spiel kannte Bewunderer und Kritiker, doch die Statistik weist ihn als konstant genialen Kicker aus. Damit musste er leben: Dass man ihn mit zweierlei Maß misst. Seine Erfolge wurden gern gefeiert. Und lief etwas schief, haute man umso doller drauf. So ist es, wenn man nicht Phillip, Lothar oder Sandro heißt.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Mesut Özil bei einem Freundschaftsspiel der Nationalmannschaft gegen Italien im Jahr 2016 (Bild: REUTERS/Michael Dalder)
Mesut Özil bei einem Freundschaftsspiel der Nationalmannschaft gegen Italien im Jahr 2016 (Bild: REUTERS/Michael Dalder)

Mesut Özil erfuhr in seinem Leben, was ein Liebesentzug bedeutet. Wer an die blamable Fußball-WM von 2018 denkt, bei der Özil gemeinsam mit vielen anderen deutschen Nationalspielern nicht sein Bestes gezeigt hatte, denkt an ein Foto: Wie er mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zusammensteht, nur ein Trikot dazwischen. Darüber wurde gezetert.

Es gibt aber ein anderes Foto, über das kaum jemand spricht. Nach dem Spiel gegen Südkorea hatte ein Fan ihn rassistisch beleidigt, Özil blaffte zurück. Später titelten Zeitungen: „Özil legt sich mit Fan an“. Als wäre der verbale Angriff des Fans nicht das eigentliche Thema. Aber dies wurde schnell zu den Akten gelegt. Zu unangenehm. Und es störte die Sündenbocksuada, die man sich für den Gelsenkirchener Jung bereits ausgedacht hatte.

Bei Özil wurde stets mit zweierlei Maß gemessen. Klar, seine Spielzüge machten atemlos. Die Nummer 10 auf dem Trikot war wie angeschweißt. Özil war über Jahre einer der besten Torvorbereiter der Welt. Als er Real Madrid verließ, schäumte Christiano Ronaldo. Und Özil sammelte Titel wie andere Schuhe. Aber den Triumph gönnte man ihm nicht. Dafür fehlte ihm etwas.

Wenn Özil die Nationalhymne nicht mitsang, wurde ihm eine angeblich nicht genügende deutsche Identität angedichtet – weil er eine türkische Familiengeschichte hat.

Und ewig grüßt der Sultan

Wenn er mal wieder die Schulter etwas unten ließ, eben eine ihm typische, nichts sagende Körperhaltung, unkten deutsche Fußballexperten, er fühle sich im DFB-Trikot nicht wohl.

Und als er sich mit Erdogan ablichten ließ, öffnete er ein Scheunentor für Kritik, von der vieles nur unter der Gürtellinie war.

Ein Foto das für Diskussionen sorgte: Mesut Özil  mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei einem Treffen in London im Mai 2018. (Bild: Getty Images)
Ein Foto das für Diskussionen sorgte: Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei einem Treffen in London im Mai 2018. (Bild: Getty Images)

Klar, von Erdogan ließ sich Özil politisch instrumentalisieren. Er verhalf einem Despoten zu Positivpropaganda, der seinem Land jede Demokratie auszutreiben versucht, sich als Sultan installiert und leise Kritik mit fieser politischer Verfolgung beantwortet. Erdogan ist nicht einfach nur konservativ. Er ist schlimm für die Türkei.

Mit 34: Mesut Özil beendet seine Karriere

Aber das ist meine persönliche Meinung. Andere sehen es anders. Eindeutig indes ist, dass Özils Foto mit Erdogan überbewertet wurde. Da reagierten Deutsche plötzlich höchstnervös mit der Spekulation, dass ein deutscher Nationalspieler vielleicht weniger deutsch sein könnte, wenn er sich mit dem Staatschef jenes Landes zeigt, aus dem seine Eltern kamen. Größeren Mist kann man sich kaum ausdenken.

Was wird eigentlich von Kanzler Olaf Scholz erwartet, wenn Erdogan zum nächsten Staatsbesuch nach Deutschland kommt? Soll er die Beine in die Hand nehmen, wenn dieser nach seiner Hand greift, die ersten Blitzlichter flackern?

Es gibt in Deutschland viele Menschen mit einer türkischen Familiengeschichte, die Erdogan lieben oder hassen. Ihnen das Recht dazu zu nehmen, ist die Verweigerung eines Grundrechts. Bei Özil aber wurde die Debatte, wie man es mit einem Fiesling wie Erdogan eben hält, zu einem Schiedsgericht über sein Recht am Ball hochgejazzt.

Eine Reihe billiger Nummern

Als man Özil rassistisch beleidigte, stand der DFB nicht hinter ihm – und das lag nicht nur am damaligen Präsidenten Reinhard Grindel, dessen Name zum Glück rasch vergessen wurde.

Als er aus der Nationalmannschaft zurücktrat, ätzte einer wie Uli Hoeneß, „für mich ist Mesut Özil seit Jahren ein Alibi-Kicker gewesen“. Der Schritt sei aus sport­li­chen Gründen ​„prima“. Hätte Özil ein, zwei Jahre bei Bayern München gespielt, hätte Hoeneß nicht derart nachgetreten. Aber mit ihm konnte man.

Ständig wurde von Özil verlangt, was man von anderen Spielern nicht forderte. Bei nicht Wenigen blieb eine Art Restzweifel, wie deutsch er denn sei. Dabei ist allein diese Frage eine einzige Beleidigung. Dieser Bekenntniszwang beruht schlicht auf der Lust, etwas Trennendes zu kreieren, Hierarchien bestehen zu lassen.

Die Reaktionen auf seinen Rücktritt vom Berufsfußball fallen nun verhalten aus. Da sind die Mitspieler und Fans, die ihn feiern. Und da sind die Dauernörgler, die gerade schweigen. Was sagt eigentlich der DFB? Was sagt Rudi Völler?

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