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Kommentar: Olaf Scholz ist der Angelo Merkel der SPD

Die Sozialdemokraten küren vorzeitig ihren Spitzenkandidaten. Pessimisten würden sagen: Viel mehr kann nun auch nicht schief gehen. Optimisten dagegen: Mit Olaf Scholz gibt es erstmals eine Chance zum Neuanfang.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Schau mir in die Augen, Kanzleramt: Olaf Scholz wird Spitzenkandidat der SPD (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Schau mir in die Augen, Kanzleramt: Olaf Scholz wird Spitzenkandidat der SPD (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

Die Spatzen zwitscherten es von den Berliner Dächern, und die Wortschwurbeleien aus der SPD-Parteizentrale nahmen in ihren Ausweichmanövern immer skurrilere Töne an – nun endlich herrscht Klarheit: Olaf Scholz wird die SPD als Kanzlerkandidat in die kommende Bundestagswahl im Herbst 2021 führen.

Überraschend ist diese Entscheidung nicht. Scholz ist die beste Person, welche die SPD aufzuweisen hat. Keine andere käme ernsthaft in Frage.

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Dies offenbart zugleich die Personal- und Führungskrise der Sozialdemokraten: Viele, sehr viele Häuptlinge in den mittleren Rängen, und kein echter Star. Inwiefern die in der Regel selbstverliebten Mittlinge nun Scholz machen lassen und ihn unterstützen, wird den Ausgang der Bundestagswahl maßgeblich beeinflussen.

Denn die SPD ist besser als ihr Ruf. Der aber ist katastrophal.

Keine guten Zeiten für Sozialdemokraten

Schon das Wort “Kanzlerkandidat” wirkt mittlerweile komisch, und das bei einer Partei, die einst mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder in Wahlen zog. Die Zeiten sind halt generell für Sozialdemokraten keine guten – sie werden von allen Seiten gebeutelt: In fast allen Ländern Europas müssen sie Federn lassen.

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In Deutschland verausgabt sich die SPD seit vielen Jahren im Maschinenraum der Regierungsverantwortung. Eher still ist sie die prägende Kraft der Bundesregierung – noch vor Angela Merkel, der CDU und natürlich der CSU. Diese Bescheidenheit wird nicht honoriert. Entweder fallen die Sozen nicht auf, oder man wirft ihnen vor auf Stühlen zu kleben; das ist zwar ungerecht, geht aber dennoch leicht von der Zunge. Vielleicht auch deswegen.

Augen zu und durch

Die Mission Olaf Scholz ist also verwegen. Was ihm zugutekommt: Dass der 62-jährige Hamburger wie selbstverständlich vom Kanzleramt spricht, nimmt man ihm trotz der desaströsen Umfragewerte ab. Das Selbstbewusstsein von Scholz entwächst nicht irgendeiner Hybris. Dieses Amt ist ihm zuzutrauen, ganz unabhängig von der politischen Einstellung. Allein so gesehen ist seine Kandidatur ein Segen: Regierungsoberhaupt, das sollte ein Job eher für ruhige und überlegte Zeitgenossen sein, dem Populismus abgeneigt, zäh, akribisch, intelligent, diszipliniert. All dies trifft auf Scholz zu, der als Arbeitsminister, Erster Bürgermeister Hamburgs und Finanzminister gezeigt hat, dass er Verantwortung schultert. Er ist der Angelo Merkel der SPD.

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Realistisch ist, dass Scholz seine Partei am ehesten wieder in eine Juniorpartnerschaft einer Regierung führt, mit wem auch immer. Aber er könnte zumindest der siechenden SPD zu einer gewissen Größe verhelfen.

Denn Scholz ist zwar kein Wahlkampftiger. Er steht auch nicht für unglaublich Neues. Glanz und Gloria verblassen im Schatten seiner hanseatischen Nüchternheit.

Vielleicht gibt es die Gunst der Stunde

Aber es gibt kein Patentrezept, wie der SPD geholfen werden kann. Die Frage des politischen Kurses ist eher bedeutungslos: Seit ihrem Linksschwenk ist die Partei auch nicht in einem Höhenflug.

Es kommt also auf das Momentum an.

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Scholz hat eine Chance. Wenn er Folgendes beherzigt: Gerechtigkeit und Stabilität sind die aktuellen Sehnsuchtswerte. Wenn er echte Solidarität und sozialen Ausgleich in den Mittelpunkt seines Wahlkampfes stellt, kann die SPD die verunsicherte Mitte ins Visier nehmen. Wenn nicht, wird es vielleicht der letzte Wahlkampf von Scholz sein, der dann als eine der nicht wenigen Zwischenepisoden in die Geschichte dieser einst großen Partei eingehen wird.

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