Kommentar: Oliver Bierhoff will in Qatar keinen Stress

Der DFB-Direktor gibt sich kritisch wegen der mangelnden Menschenrechte in Qatar. Doch in Wirklichkeit will er bei der Fußball-WM im Gastgeberland vor allem nicht gestört werden von solchem Gedöns.

Tja, wo ist sie, die Kritik? DFB-Direktor Oliver Bierhoff bei einem Spiel Ende 2021 (Bild: REUTERS/Fabian Bimmer)
Tja, wo ist sie, die Kritik? DFB-Direktor Oliver Bierhoff bei einem Spiel Ende 2021. (Bild: REUTERS/Fabian Bimmer)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Oliver Bierhoff hat einen neuen Anzug. Er besteht aus lauter Feigenblättern. Bald fährt er mit der Fußballnationalmannschaft in ein Land, das sich die WM gekauft hat. Das machen Staaten wie Qatar, denn Autokratien benutzen den Glanz des Sports, um sich selbst international aufzuhübschen; nötig haben sie es ja.

Das Dilemma des DFB-Direktors

Bierhoff mag vor einem Dilemma gestanden haben. Einerseits findet er die Menschenrechtsverletzungen im Emirat bestimmt nicht toll. Aber andererseits ist dieses Turnier der für ihn wichtigste Arbeitsauftrag alle vier Jahre. Zum einen würde er am liebsten wegdekretieren, dass in Qatar eine Diktatur herrscht, die von Öl und Gas lebt und dafür andere ausbeuten lässt; zu miesen Arbeitsbedingungen von den Entrechteten dieser Welt, die zu hunderten auch für die Bauten der Fußballstadien starben. Bierhoff mag sicherlich die Diskriminierung von Frauen nicht. Auch nicht die von Transsexuellen oder Menschen, die sexuell anders orientiert sind, als der Emir offiziell vorlebt (wer weiß?).

Aber zum anderen will er dieses Turnier. Das lässt er sich nicht vermiesen. Und daher versucht er das, was er vielleicht einen Mittelweg nennen würde. In Wirklichkeit aber ist es jämmerlich.

Taschenspielertricks beim DFB

Seine Strategie: Erstmal zeigt sich Bierhoff kritisch. "Wir müssen eine Haltung haben, Position beziehen", sagte er in einem "Spiegel"-Interview. Es solle über "mit der europäischen Fußballfamilie" koordinierte Aktionen nachgedacht werden.

Haltung, Position – das klingt kernig. Aber es sollte auch Folgen haben, sonst bleiben solche Worte Körner im Wind.

Dann zündet Bierhoff Stufe 2 seines Nebelkerzenprogramms. Es gehe ihm nicht darum, mögliche individuelle Aktionen der Spieler einzuschränken, sagte Bierhoff. Dann folgte das berühmte ABER: "Aber es sollte nicht zu einem Wettrennen der guten Aktionen kommen. Dann bleibt die Wirkung aus. Besser wäre eine große, konzertierte Aktion, die zeigt: Wir alle haben uns mit den kritischen Themen auseinandergesetzt und zeigen jetzt Flagge."

Der Direktor will keinen Stress

Ich wusste bisher nicht, dass Bierhoff, der immerhin nicht nur Fußballprofi, sondern auch Diplomkaufmann ist, auch über Erfahrungen im politischen Aktivismus verfügt. Warum sollte ein Wettrennen der guten Aktionen die Gesamtwirkung schmälern? Wie begründet er diese überraschende Erkenntnis? Und nichts spricht gegen viele kleine Aktionen, die eine große, konzertierte begleiten.

Klopft man Bierhoffs Worte auf ihren wahren Gehalt hin ab, bleibt folgendes Motiv: Der Direktor will keinen Stress. Er weiß, irgendwas muss deklariert werden, am besten Symbolisches. Das tut nicht weh. Deswegen palavert er vom Zeigen irgendwelcher Flaggen. Sollte Mannschaftskapitän Manuel Neuer mit einer Regenbogenbinde auflaufen, wäre das eine gute Aktion. Aber es reichte nicht. Bierhoff will keine Unruhe im Turnier, daher die Warnung vor einem "Wettrennen". Er will Westentaschenkritik, fein portioniert und rasch wieder verstaubar, denn: The show must go on.

Das kann ja heiter werden

Dabei sind die Toten von den Baustellen tot. Die um ihre Löhne Geprellten warten noch immer auf ihr Geld. Politische Freiheit gilt nur für qatarische, wohlhabende Männer, wenn sie nicht zufällig was mit Männern haben wollen. Für alle anderen ist dieses Regime ein ziemlich blödes.

Bierhoff kann nichts dafür, dass eine korrupte FIFA das Turnier an Qatar vergab. Aber das Äußern von Unmut, von Kritik, sieht anders aus als das, was er bisher ankündigt. Da kommt ein ungutes Gefühl auf. Diese WM wird, unabhängig vom Sport, ziemlich mies.

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