Kommentar: Steht die Zigeunersauce fürs Abendland?

Soll bald nicht mehr so heißen: die "Zigeunersauce" (Bild: REUTERS/Michael Dalder)
Soll bald nicht mehr so heißen: die "Zigeunersauce" (Bild: REUTERS/Michael Dalder)

Ein Hersteller will die Zigeunersauce umbenennen – weil der Name rassistische Züge hat. Sogleich brandet Entrüstung auf, wegen Traditionen und Freiheit und so. Alles eine ziemliche Sauce.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Das Abendland ist mal wieder in Gefahr. Jüngst eingekreist wurde das Schnitzel, wenn es in einer Paprikatunke versenkt werden will – Zigeunersauce soll das nicht mehr heißen. Zumindest will der Hersteller Knorr sein Würzmittel umbenennen, und zwar in “Paprikasauce Ungarische Art”.

Ich persönlich finde die neue Bezeichnung zwar treffender, weil all diese “Zigeunersaucen” mehr nach Paprika schmecken als nach der angeblichen Schärfe, die sie vorgeben zu haben, aber um mich geht es ja nicht.

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Ich verstehe auch nicht, wie man nun zum Boykott aufrufen kann, wie es gerade geschieht, oder es auf Twitter trenden lässt, dass sich die Balken biegen. “Ich kaufe nichts mehr bei euch. Fühle mich langsam wie in der DDR. Unfassbar, schämt euch”, heißt es in den sozialen Medien.

Nun, keine Ahnung, ob es in der DDR “Zigeunersauce” gab oder nicht. Jedenfalls zeichnete sich das Regime durch einen Mangel an Freiheiten aus, der weitaus tiefer ging als die Umbenennung eines Produkts durch einen Hersteller, während dieses Produkt auf dem Markt bleibt. Schon interessant, wie schnell man sich eingeschränkt sehen kann, wenn es um ein Würzmittel geht.

Was wirklich wichtig ist

Aber so ist das mit dem Abendland. In den letzten Jahren muss es herhalten als Wurfbude. Angeblich ist es unter Beschuss – nur dass die Dosen in seinen Regalen leer sind. Genauso hohl ist auch die Kritik an der aktuellen Umbenenung.

Denn der Schritt von Knorr ist gut. “Zigeuner” ist ein so genannter Fremdbegriff. Leute, die “Zigeuner” genannt werden, nennen sich selbst anders: Sinti oder Roma. “Zigeuner” ist darüber hinaus ein Name, der negative Züge trägt: Weil Sinti und Roma seit Jahrhunderten diskriminiert werden; man benutzt sie als Sündenböcke für jeden Quatsch und als Zerrbilder unserer Phantasie – mal für “Freiheit”, mal für “Unangepasstheit” und “Romantik”, mal für gewisse Musikstile und mal für “Diebstahl”, “Betrug” oder “Dreck”. Der ganze Rassismus halt in seiner breiten Palette. Nicht umsonst glaubt der Volksmund fälschlicherweise, der Begriff “Zigeuner” komme von “herumziehender Gauner”.

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Knorr schreibt übrigens selbst, dass der Begriff “Zigeunersauce” negativ interpretiert werden könne. Dem ist nichts hinzuzufügen. Negativ drauf sein, wer will das schon? Knorr geht einen positiven Schritt nach vorn, dem andere Hersteller gern folgen dürfen.

Mal genauer hinschauen

Auch hat diese Würzsauce nichts mit Sinti und Roma und ihrer Küche zu tun. Auch dies ist ein Hirngespinst. Nur um es zu verdeutlichen: Ostfriesen trinken viel Tee, sie haben auch eigene Mischungen, die nennt man “Ostfriesen-Tee”. Die Ostfriesen sind stolz auf diesen Tee, sie nennen ihn auch so. Aber stellen wir uns nun vor, Ostfriesen würden überhaupt keinen Tee trinken. Und darüber hinaus würde in Deutschland für Ostfriesen ein negativer Fremdbegriff benutzt, wie zum Beispiel “Deichdeppen”.

Was würden Ostfriesen davon halten, wenn in Deutschland “Deichdeppen-Tee” angeboten würde, den sie selbst nicht einmal trinken? Würden sich ein paar Ostfriesen zusammentun und fordern, dass dieser Tee unbenannt wird – man würde schon ein wenig Verständnis für sie aufbringen, oder?

Schließlich hat der Zentralrat der Sinti und Roma nie gefordert, dass die “Zigeunersauce” einen neuen Namen erhält. Für die Organisation gibt es größere und wichtigere Baustellen. “Es ist gut, dass Knorr hier auf die Beschwerden offenbar vieler Menschen reagiert”, sagt nun der Vorsitzende Romani Rose. Ihm selbst bereite allerdings der wachsende Antiziganismus in Deutschland und Europa größere Sorgen. “Für den Zentralrat sind vor diesem Hintergrund Zigeunerschnitzel und Zigeunersauce nicht von oberster Dringlichkeit.” Viel wichtiger sei es, Begriffe wie “Zigeuner” kontextabhängig zu bewerten, “wenn etwa in Fußballstadien 'Zigeuner' oder 'Jude' mit offen beleidigender Absicht skandiert wird”.

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Dass nämlich mancher Deutsche für die Beibehaltung eines Begriffs streitet, der von den so bezeichneten Leuten abgelehnt wird und deren Familien übrigens vor wenigen Jahrzehnten einem umfassenden Massenmord unter der Naziherrschaft zum Opfer fielen wie Juden, lässt einem das Zigeunerschnitzel im Halse stecken. Darauf einen Schluck Ostfriesen-Tee.