Kommentar: Wir sind Özil

Mesut Özil sieht sich viel Kritik von angeblich patriotischen Fans ausgesetzt (Bild: Reuters)
Mesut Özil sieht sich viel Kritik von angeblich patriotischen Fans ausgesetzt (Bild: Reuters)

Altkluge Kommentare von fiesen Typen, Häme auf den Rängen – unser Umgang mit der deutschen Nationalmannschaft sagt viel über den Stand unserer Kultur.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eine recht komische Tradition unter besonders vaterlandliebenden Sportfans war der Spruch „Steht auf, wenn Ihr Deutsche seid…“, der dann zu einem lustigen Kindergartenententanz auf den Rängen führte. Heute ist davon nicht mehr viel zu sehen, es scheint sich ausgeentelt zu haben – obwohl endlich die richtige Zeit für diese Art von Tribünenareobic gekommen ist.

Bei der Fußball-WM schwächelte die deutsche Mannschaft zum Auftakt überraschend stark. Kein Wumms, kein Drive, kein Erfolg. Doch was bei den Fans anderer Nationalmannschaften wie Italien oder Iran zu Schmerzensbekundung, Tränen und Anfeuerung führte, erwirkt bei uns deutschen Fans nur seltsame Distanzierung bis hin zu Häme. Ich verstehe diesen komischen Nationalismus nicht. Kaum läuft es nicht rund, verdrückt er sich in die Büsche und sucht, dies verstehe ich dann umso mehr, den Schuldigen in von ihm definierten „Fremdkörpern“.

Die Kritik an den Spielern Mesut Özil und İlkay Gündoğan reißt nicht ab, wird immer unfairer und sportferner. Die beiden halten als Sündenböcke her, es ist der übliche Sühnediskurs wie bei allen monotheistischen Religionen – was übrigens Christentum und Islam herzlich miteinander vereint, da braucht es auch immer Entsühnung durch ein Opfer.

Altherrengeschwafel

Tragisch an diesem Fall wird, dass ausgerechnet ehemalige Profifußballer sich an diesem Bashing beteiligen. Mario Basler mokierte sich über Özil wie über einen „toten Frosch“ und Lothar Matthäus unterstellte ihm, sich „im DFB-Trikot nicht wohlzufühlen“. Und Stefan Effenberg, der Mann mit dem Stinkefinger, forderte von Özil: „Wenn er so zu seinem Land, Deutschland, steht, dann muss er auch die Hymne mitsingen.”

Einzig beruhigend ist, dass diese Fußballerkritiken von Typen kommen, die für ihr sympathisches Auftreten nicht gerade bekannt sind; es handelt sich allesamt um Kerle, mit denen man damals sicherlich ungern im Sandkasten saß, weil sie womöglich immer einen Grund fanden, einem den Turm kaputt zu hauen, die Schaufel über den Kopf zu ziehen oder wenigstens lauthals die Ohren zuzutexten. Wenn Basler also meint, Özil sehe aus wie ein toter Frosch, dann wirkt er wie ein wandelnder Glimmstängel. Menschenkenner Matthäus fühlt derart mit Özil, dass er weiß, wie der sich fühlt und, klar, ein Türke in einem deutschen Trikot, das muss Juckreiz auslösen.

Interessant ist dabei, dass ausgerechnet Matthäus die beiden Spieler wegen ihres gemeinsamen Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kritisiert. Als Trainer der ungarischen Nationalmannschaft trat er einmal gemeinsam mit Viktor Orbán vor der Jugendorganisation seiner Partei Fidesz auf, auf der Orbán orakelte: „Ich spüre den Geruch von Schießpulver, ich spüre, dass etwas in der Luft liegt. Glaubt mir, große Dinge bahnen sich an.“ Abgesehen davon, dass sich Ungarns Ministerpräsident schon damals als großer Spürer outete, schien Matthäus kein Problem mit einer Nähe zu dieser populistischen und autokratischen Schießpulvernase zu haben, 2014 sichtete man ihn wiederum Seit’ an Seit’ mit Orbán in seinem Stadion.

Lothar Matthäus hat keine Berührungsängste mit Ungarns autokratischem Premier Viktor Orbán (Bild: Reuters)
Lothar Matthäus hat keine Berührungsängste mit Ungarns autokratischem Premier Viktor Orbán (Bild: Reuters)

Und schließlich „Effe“ mit seinem Shantychoraufruf. Alle drei legen ein anderes Maß an Özil an. Haben sie ein Problem damit, dass er Deutschtürke ist?

Für die Geschichtsbücher sei kurz vermerkt, dass Özil beim schwachen Spiel der deutschen Mannschaft gegen Mexiko zu den Besseren gehörte. Er gewann die Hälfte aller Zweikämpfe, und das als offensiver Mittelfeldspieler. Die Quote seiner erfolgreich gespielten Pässe war ungemein hoch und er verteidigte nach hinten; ein toter Frosch hätte eine andere Figur gemacht, Mario Basler übrigens auch.

Die Türken müssen strampeln

Die Kritik an Özil ist nur zu verstehen, wenn man dieses andere Maßnehmen durchschaut. Bei ihm wird eine Bringschuld unterstellt, als müsse er sich das Deutschsein verdienen – dabei ist man einfach Deutscher oder ist es nicht. Wenn Thomas Müller mal keine lustigen Witze erzählt, wird auch nicht gleich angenommen, er fühle sich nicht wohl im DFB-Trikot. Solange der Erfolg kommt, der Mohr also seine Schuldigkeit getan hat, stört er nicht. Aber nun: Juckreiz.

Dieses Bashing ist erbärmlich. Jetzt sollte die ganze Nationalmannschaft Unterstützung von den Fans erfahren. Stattdessen fallen gerade jene, die sich etwas auf ihr Deutschsein einbilden, als hätten sie damit eine Leistung vollbracht, ihr in den Rücken. Ein Beispiel aus der Politik: AfD-Vorturner Björn Höcke beklagt an der Nationalmannschaft eine politische Instrumentalisierung, weil diese sich gegen Rassismus und Nazis ausspricht, also, diese bösen Buben!

Höcke sieht eine „Entnationalisierung“ des Teams und meint wohl dies durch nicht reinblütige Teutonen wie Boateng, Khedira, Özil und Gündoğan. Folglich sieht Höcke durch die „Entnationalisierung“ eine „Entsolidarisierung“. Es gibt tatsächlich rechte Deutsche, die der deutschen Nationalmannschaft wünschen, dass sie jedes Spiel verliert – und verkaufen dies noch als patriotischen Akt. Mit einem Wort: Erbärmlich.

Der Nationalmannschaft werde ich am Samstag wie immer zujubeln, warum sollte es anders sein? Da trennt sich dann Spreu vom Weizen.