Kubica kämpft um seinen Ruf

Ungeschriebene Gesetze gibt es einige im Sport. Weisheiten, die sich immer wieder bestätigen.

"They never come back" – "sie kommen niemals zurück" heißt zum Beispiel eine Erkenntnis aus dem Boxen. Soll heißen: Es gibt keine zweite Chance.

Doch natürlich gibt es sie, die berühmten Ausnahmen von der Regel. Robert Kubica zum Beispiel, er hat bewiesen, dass es geht: Dass man wieder aufstehen, sich gegen alle Widerstände durchsetzen, auf sein Schicksal pfeifen und Unglaubliches schaffen kann. Sich wieder zurückkämpfen kann.

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Denn der Pole hat ebenfalls ein Comeback hingelegt, mit dem niemand gerechnet hat. Er hat sich nach seinem schweren Rallyeunfall im Februar 2011 trotz schwerster Armverletzungen Jahre später zurück in einen Formel-1-Boliden gekämpft. Der Unfall hatte ihn jäh aus allen Königsklassen-Träumen gerissen, damals soll er bereits einen Vorvertrag bei Ferrari unterschrieben haben.

Von all den Widrigkeiten, von dem Schicksalsschlag, der alles änderte, ließ er sich jedoch nie beirren. Ein Formel-1-Comeback? Schien unmöglich. Doch jede Regel hat ja die berühmte Ausnahme.

Vorfreude und Euphorie

Rund um die Formel 1 herrschte Vorfreude und Euphorie, als sich Kubicas Rückkehr abzeichnete. Erst 2017 durch erste Testfahrten, dann als Ersatzpilot und schließlich 2019 als Stammfahrer für Williams.

Für Kubica ging am 17. März 2019 eine scheinbar endlose Wartezeit zu Ende: Seinen davor letzten Formel-1-WM-Lauf bestritt der Pole am 14. November 2010 in Abu Dhabi, damals als Renault-Werksfahrer (er wurde Fünfter). Einschließlich des 17. März 2019 musste der WM-Vierte von 2008 damit unfassbare 3046 Tage oder 8 Jahre, 4 Monate und 3 Tage auf seine Rückkehr warten!

Die Tatsache, dass der Kanada-GP-Sieger 2008 überhaupt wieder am Lenkrad eines modernen Formel-1-Renners sitzen kann, "ist die Verwirklichung eines fast unmöglichen Traums", wie es Kubica einmal bezeichnet hat.

Sportliche Dellen

Doch die Geschichte erhielt ein paar Dellen, denn große Comeback-Storys sind zwar schön und gut, doch wenn der Protagonist dann plötzlich doch nur hinterherfährt, erlischt das Interesse leider recht schnell. Die Leute lechzen nach einer Fortsetzung, nach einem Plot-Twist. Das wird der ganzen Geschichte zwar nicht gerecht, ist aber auch der heutigen Schnelllebigkeit geschuldet.

Keine Frage: Kubicas Ruf hat im vergangenen Jahr gelitten.

Dass er 2019 in einem völlig desolaten Williams saß, der Sekunden hinter der Konkurrenz her dümpelte, wurde dann irgendwann schon gar nicht mehr erwähnt. Das interne Duell mit George Russell verlor Kubica schließlich auch sehr deutlich.

Der Respekt vor seinem Comeback? Immer noch riesig. Doch die Geschichte war dann irgendwann auserzählt, es tat sich kein neuer Spannungsbogen auf.

Ersatzfahrer in der Formel 1

Anfang des Jahres wurde er dank seines Sponsors PKN Orlen Ersatzfahrer bei Alfa Romeo. Eine nette Rentenankündigung, könnte man meinen. Zurück in die zweite Reihe, um die Karriere ausklingen zu lassen.

Doch Kubica will es nochmal wissen, mit 35 sucht er in der DTM eine ganz neue Herausforderung. Auch auf die Gefahr hin, dass es noch ein paar Dellen mehr an seiner Legenden-Geschichte gibt.

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"Ich freue mich riesig auf den Start dieses neuen Abschnitts meiner Motorsport-Karriere. Für mich ist die DTM eine der stärksten und besten Rennserien der Welt. Ich habe mich beim Test auf Anhieb im BMW M4 DTM wohlgefühlt", so Kubica, der im Dezember erstmals im DTM-Renner saß.

Keine leichte Herausforderung

DTM-Chef Gerhard Berger "warnt" den Polen. "Wie seine Grand-Prix-Vorgänger jeweils festgestellt haben, herrscht in der DTM ein unglaublich enger Wettbewerb. Das ist keine leichte Herausforderung", sagte der Österreicher, in Zeiten des Aston-Martin-Ausstiegs freut sich der 60-Jährige natürlich über den großen Namen.

"Dennoch bin ich mir absolut sicher, dass Robert sich in der DTM sehr schnell bewähren wird und dass er ein wertvoller Teil des spannenden BMW-Fahreraufgebotes für 2020 sein wird. Wir freuen uns alle darauf, ihn in Aktion zu sehen."

Klar ist: Die Erwartungshaltung an einen ehemaligen Formel-1-Fahrer ist in der DTM eine ganz andere, auch wenn die Vergangenheit gezeigt hat, wie schwierig es ehemalige Formel-1-Recken wie Ralf Schumacher oder David Coulthard hatten, denn die Umstellung von einem Formel- auf einen Tourenwagen hat es in sich. Auch das ist eine Regel: Ehemalige Formel-1-Stars tun sich schwer im Tourenwagen.

Auch Kubicas früherer Formel-1-Kollege Timo Glock kann ein Lied davon singen, er hat mehrere Saisons gebraucht, um konstant vorne mitzufahren. Die Gefahr, mit den üblichen Anpassungsproblemen sportlich in die Bedeutungslosigkeit durchgereicht zu werden, ist nicht von der Hand zu weisen. In der DTM kann das schnell passieren.

Heißt: Es geht in der DTM auch um seinen Ruf.

Nicht ganz einfach ist zudem die Konstellation mit dem Kundenteam ART Grand Prix. Ein erfahrenes Team, trotzdem etwas anderes als eine gestandene Werksmannschaft.

Wie stark ist der BMW?

Kubica weiß das, viel hängt natürlich davon ab, wie stark der BMW im Vergleich zum Audi ist.

"ART Grand Prix gehört seit Jahren zu den großen Namen im internationalen Rennsport. Ich bin sicher, dass wir in der DTM gemeinsam viel erreichen können. Natürlich müssen wir im Vergleich zu den renommierten DTM-Teams noch Erfahrung sammeln, doch wir werden hart arbeiten, um uns kontinuierlich zu steigern", so Kubica.

Um dann am Ende wieder die Ausnahme der Regel zu sein.