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Boateng vermisst Hierarchie - und Dank für Özil

Jerome Boateng kritisiert das Schweigen vieler DFB-Kollegen zu Mesut Özil

Er ist irritiert über die Bosse des FC Bayern München, seine Kritiker - und über den Umgang seiner DFB-Kollegen mit Mesut Özil.

Nationalverteidiger Jerome Boateng wirbelt mit einem großen Interview kurz vor dem Champions-League-Auftakt der Münchner viel Staub auf.

(Champions League: Benfica Lissabon - FC Bayern München ab 21 Uhr im LIVETICKER, alles dazu ab 18.45 Uhr auch im Fantalk im TV auf SPORT1).

Die heikelsten Punkte: Der 30-Jährige will ein klärendes Gespräch mit Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, weil er sich mehr Rückendeckung gegen seine Kritiker wünscht. Und er vermisst einen öffentlichen Dank der meisten Nationalspieler für den zurückgetretenen Mesut Özil.

Boateng: Özil "muss man danke sagen"

"Wo waren die Mitspieler, die sich bei Mesut bedankt haben? Anscheinend haben sich viele nicht zu äußern getraut, weil sie gedacht haben, dass das bei den deutschen Fans nicht so gut ankommt", bemängelt er in der Süddeutschen Zeitung das Verhalten der DFB-Kollegen.

Nach Özils Rücktritt hatten nur Boateng, Antonio Rüdiger und Julian Draxler einen öffentlichen Dank ausgesprochen. Alle anderen hielten sich nach "Erdogan-Gate" und seinen Rassismus-Vorwürfen gegen die DFB-Führung zurück.

Aus Boatengs Sicht sei es an dieser Stelle aber "nicht um die Aktion mit dem Foto" gegangen: "Da geht es um einen tollen Spieler, der mit uns Weltmeister geworden ist, der den deutschen Fußball auch ein Stück weit verändert hat. Eine Nummer 10 mit Migrationshintergrund! Dem muss man Danke sagen", findet der Münchner. "Sich dann zu enthalten, finde ich schade."

Trotz dieser Kritik hat Boateng eine Spaltung der Nationalelf in eine Pro- und Contra-Özil-Fraktion während der WM "so konkret nicht wahrgenommen". Die Meinungen seien auseinander gegangen, "ich habe aber von keinem gehört: 'Mesut und Ilkay brauchen wird nicht, das ist zu viel Belastung.' Ich glaube eher, dass die Meinungen waren: 'Natürlich brauchen wir die!' Aber es hätte eben auch anders erklärt und ausgesprochen werden sollen."

Fehlende Hierarchie bei WM-Debakel

Als Hauptgrund für den fehlenden Teamspirit während der WM macht Boateng einen anderen Grund als das Foto von Özil und Ilkay Gündogan mit dem umstrittenen türkischen Präsidenten Erdogan aus.

"2014, bei der WM in Brasilien, gab es noch zwölf, 13 Spieler, die immer gespielt haben, und die anderen waren nicht in der Position zu sagen: Moment, eigentlich gehöre ich ins Team. Da waren die Hierarchien klar", erinnerte er sich:

"Diesmal war das anders: Wenn einer mal nicht die Leistung gebracht hat, dann war sofort ein anderer da, der sich vielleicht gefragt hat: Und warum bekomme ich keine Chance? Warum wird nur auf anderen Positionen gewechselt? So was wird natürlich nicht ausgesprochen, aber genau das ist das Problem. Man spürt es in der Mannschaft."

Rückendeckung vom FC Bayern vermisst

Auch beim FC Bayern legt Boateng den Finger in die Wunde - in Bezug auf seine persönliche Situation nach dem geplatzten Wechsel zu Paris Saint-Germain.

Dass Bayerns Vorstandschef Rummenigge Boateng vorher offensiv zum Verkauf anbot, hätte Boateng "mit gemischten Gefühlen" aufgenommen: "Auf der einen Seite war ich ja selber offen für einen Wechsel. Auf der anderen Seite wünscht man sich natürlich Wertschätzung, das ist normal, glaube ich. Aber wichtig ist für mich, dass mein Standing in der Mannschaft und bei den Führungsspielern ziemlich gut ist."

Die Klubführung zählt er an dieser Stelle nicht auf, er klagt im Gegenteil über fehlende Unterstützung des Vereins in der Öffentlichkeit: "Ich finde es nicht so schön, wenn man sie nicht bekommt, wenn überall Sachen über mich behauptet werden."

Unter anderem deshalb möchte er ein klärendes Gespräch mit Hoeneß und Rummenigge: "Ich finde schon, dass wir demnächst noch mal reden sollten. Das haben wir uns auch vorgenommen. Mir ist es wichtig, noch mal klarzustellen, dass ich voll auf den FC Bayern fokussiert bin."

Schwieriges Verhältnis zu Rummenigge

Besonders das Verhältnis von Boateng und Rummenigge gilt seit längerem als schwierig. Der Vorstandschef hatte ihn bereits 2016 dazu aufgefordert, "Back to earth" zu kommen, sich weniger mit Roten Teppichen und seinen Social-Media-Kanälen zu beschäftigen.

"Vielleicht habe ich mich zu wenig dagegen gewehrt. Aber ich bin nicht der Typ, der öffentlich auf so etwas eingeht. Solche Vorwürfe sind lächerlich. Ich dränge mich nicht auf, renne nicht vor Kameras, muss nicht superpräsent sein, bin kein Showmaster", erklärt Boateng.

"Dass ich anders rüberkomme, durch meine Tattoos, dass ich mich anders anziehe, das ist die eine Sache. Das sind Interessen von mir. Das heißt aber doch nicht, dass ich mich nicht auf den Fußball fokussiere."

"Wahnsinnig gestört" habe Boateng auch, dass ihm nach der verkorksten Weltmeisterschaft unterstellt wurde, er sei "nicht voll fokussiert, weil ich beim Südkorea-Spiel auf der Tribüne Ohrringe und Sonnenbrille trage, wenn die Sonne scheint. 2014 habe ich auch eine Sonnenbrille und Ohrringe getragen, aber da habe ich nichts darüber gelesen. Das ist für mich unbegreiflich."

Ebenso wundert ihn die Kritik daran, dass er bei der WM für Team und Teamstab einen Friseur organisiert habe. Das hätte es auch schon bei der WM 2014 gegeben und sei da nie ein Thema gewesen.

Boateng singt die Hymne schon lange

Es sei leicht, derartige Vorwürfe zu erheben, "wenn man gar nicht weiß, wie mein Tag abläuft. Ich habe jedes Mal vor einer Bayern-Vorbereitung noch eine private Vorbereitung gemacht. Ich glaube, ich kann von mir behaupten, dass ich top-professionell lebe."

Auch gegen die Behauptungen, er würde die deutsche Nationalhymne erst neuerdings mitsingen, wehrt sich der Defensiv-Spezialist.

"Irgendjemand hat bei der WM geschrieben: Boateng singt auf einmal sogar die Hymne mit! Dabei singe ich die schon lange. Vor der WM habe ich damit angefangen - vor der WM 2014 wohlgemerkt", erinnert er sich.