Vorbehalte gegen Labbadia? "Faire Chance verdient"

An diesem Montag wird Bruno Labbadia als neuer Trainer des VfB Stuttgart vorgestellt. Der 56-Jährige ist zurück an alter Wirkungsstätte, bereits von 2010 bis 2013 war er als Cheftrainer bei den Schwaben tätig.

Labbadia folgt auf Pellegrino Matarazzo, der am 10. Oktober beurlaubt wurde. Danach fungierte Michael Wimmer als Interimstrainer. Doch die Personalrochade ging zuletzt bei den Stuttgartern weiter.

Auch Sportdirektor Sven Mislintat musste gehen. Für ihn kam Fabian Wohlgemuth, der zuvor beim SC Paderborn gearbeitet hat. Einiges los also bei den Schwaben.

„Das sind unruhige Zeiten beim VfB. Und das schon seit längerem. Es ist klar, dass solche Entscheidungen gefällt werden, wenn die Mannschaft erneut gegen den Abstieg spielt“, sagt VfB-Legende Karl-Heinz Förster (1976 bis 1986) im Gespräch mit SPORT1.

„Man hatte vor dieser Saison eigentlich andere Ziele. Da ist es dann nicht ungewöhnlich, dass der Trainer und der Sportdirektor ausgetauscht werden. Die Verantwortlichen mussten reagieren.“

„Spiegelbild der schwachen Hinrunde“

Die aktuelle Situation sei „ein Spiegelbild der schwachen Hinrunde, die wenig überraschend so kam. Mit einem Kader, der besser geredet wurde, als er ist“, erklärt George Moissidis bei SPORT1. Der 59-Jährige arbeitet seit 1990 beim kicker und schreibt seitdem den Großteil der Zeit über den VfB. Er hat schon viele Trainer und Sportdirektoren kommen und gehen sehen.

Im Sommer habe man versucht „vor allem an der Fitness und der Wettkampfhärte zu arbeiten, die Truppe ist in den ersten Spielen auch mehr gelaufen, doch dann das Ganze wieder verpufft und es gab zuweilen einfallsloses Ballgeschiebe“.

Diese „brotlose Kunst der Spielweise“ habe auch Matarazzo nicht rausgekriegt.

Förster: „VfB ein großer Klub“

Förster, der als Berater tätig ist und auch mal Nationalspieler Timo Werner (früher VfB, jetzt RB Leipzig) betreute, macht sich natürlich Gedanken über die Lage bei seinem Herzensverein. „Der VfB ist für mich längst kein Ausbildungsverein mehr, sondern ein großer Klub in der Bundesliga. Man hat mehrere Titel gewonnen und da wird sicher mehr erwartet.“

Nun also die Entscheidung für Labbadia, der bei Twitter längst nicht bei allen VfB-Fans mit offenen Armen empfangen wird - auch weil Matarazzo und Mislintat bei den meisten Anhängern beliebt waren.

„Warum ein Teil der Fans so reagiert, verstehe ich nicht. In den vergangenen beiden Jahren ging es nicht vorwärts, sondern nur rückwärts“, sagt Förster, der Labbadia gut kennt. Jetzt gehe es nur darum nicht noch mehr da unten reinzurutschen und „dafür ist Bruno der richtige Mann. Er kann den VfB vor dem Abstieg retten“.

Alexander Wehrle ist seit dem 21. März dieses Jahres als Nachfolger von Thomas Hitzlsperger Vorstandsboss des VfB. Er hat in kurzer Zeit die Zügel angezogen. „Er musste kritisch sein. Wichtig ist jetzt, dass es mit Bruno besser wird.“ (Fix! VfB Stuttgart holt Bruno Labbadia zurück)

Doch der 64-Jährige ist vorsichtig: „Man kann aber nicht automatisch sagen, dass der VfB im Mai auf Platz zehn stehen wird“, meint Förster. „Ich als VfBler hoffe natürlich, dass das alles funktioniert. Ich habe ein gewisses Verständnis für das, was man jetzt gemacht hat.“

„Teile der Mannschaft haben ein Mentalitätsproblem“

Mislintats Entlassung kam nicht überraschend. Die Risse zwischen ihm und den Bossen wurden seit vergangenem Sommer immer größer, Unter anderem als es um den Posten des Vorstandschefs ging.

„Am Ende wollte man ihm nicht mehr zugestehen in allen sportlichen Fragen das letzte Worte zu haben. Er wäre zu mächtig geblieben“, erklärt Moissidis. „Ich glaube, dass Matarazzo ein guter Trainer ist. Aber Teile der Mannschaft haben ein Mentalitätsproblem.“

Matarazzo wollte schon im vergangenen Winter den einen oder anderen Spieler verleihen, das aber verhinderte Mislintat. „Wenn du Spieler mitschleppst, die sich bei aller Mühe nicht entwickeln“, betont Moissidis, „brauchst du dich nicht wundern, wenn es nicht voran geht“.

Moissidis sieht Mislintats Arbeit kritisch

Mislintats Wirken sieht der Journalist mit gemischten Gefühlen. „Wenn man etwas tiefer reinschaut, dann sieht man, dass sehr viele Spieler verpflichtet wurden. Aber viele davon wurden mittlerweile wieder ausgeliehen (wie Beyaz, Faghir, Klimowicz, Anm. d. R.).

Kalajdzic, der vor der Saison verkauft wurde, und Silas hätten sich zwar gut entwickelt, doch es gebe auch viele Gegenbeispiele, die nicht einmal dann funktionierten, wenn sie an andere Vereine ausgeliehen wurden.

Daher müsse man die Arbeit von Mislintat „etwas differenzierter sehen“. Rein sportlich betrachtet habe sich in den zurückliegenden beiden Jahren „nichts weiterentwickelt.“

Mislintat habe dem VfB zwar ein Gesicht gegeben und zu einer Marke gemacht. Er habe das Konzept mit jungen Spielern vorangetrieben, aber, „wenn man eine Bilanz zieht, dann waren vor allem die vergangenen beiden Jahre eher mau“.

Toptalente wie Tanguy Coulibaly, Roberto Massimo (an den portugiesischen Fußballverein Academico de Viseu FC oder Mateo Klimowicz (an Arminia Bielefeld verliehen) hätten nicht das erfüllt, was man sich von ihnen erwartet hat. „Und das war nicht nur ein Problem von Matarazzo. Manch einer hat es sich beim VfB zu gemütlich gemacht.“ Daran habe auch Mislintat ein gewisses Maß an Mitverantwortung, findet Moissidis.

Kobel und Kalajdzic brachten Geld ein

„Nicolas Gonzalez und Orel Mangala wurden teuer verkauft, sie waren aber schon da. Geholt hat Mislintat Sasa Kalajdzic und Torwart Gregor Kobel (seit Sommer 2021 Nummer 1 bei Borussia Dortmund, Anm. d. Red.), diese Spieler haben Geld gebracht.“

Unterm Strich war da ein Kader von weit über 30 Spielern. Mittlerweile wurden acht von ihnen ausgeliehen und spielen in ihren Klubs fast keine Rolle. Einzige Ausnahme: Alexis Tibidi, der unter Miroslav Klose beim SCR Altach in Österreich spielt.

„Dass Mislintat die Verantwortung zum Beispiel bei Klimowicz und Beyaz auf die Vereine abgeschoben hat, ist nicht richtig.“

Großes Invest, wenig Ertrag

Der VfB habe „einen Etat von über 50 Millionen, aber eine Mannschaft, die Drittletzter ist. Da liegen Invest und Ertrag weit auseinander“, kritisiert Moissidis.

Geht es sehenden Auges in den Abgrund? Das glaubt Förster nicht. „Die VfB-Bosse haben sich bestimmt ihre Gedanken gemacht. Bruno hat einen langen Vertrag bekommen, man erwartet also viel von ihm.“ (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)

Moissidis blickt zurück auf die Hinrunde. „Die Leistungen waren nicht immer gut, aber man kam eigentlich selten unter die Räder. Immer waren es unterschiedliche Fehler, die Punkte gekostet haben, mal individuelle Fehler, frühe Gegentore, eine schlechte Chancenverwertung oder defensive Unachtsamkeiten.“

Rückendeckung für Labbadia

Er stärkt Labbadia den Rücken. „Ich finde, dass die Fans ihm Unrecht tun. Er war der letzte Trainer, der nachweislich in Stuttgart erfolgreich war. Erst gab es unter ihm den Klassenerhalt, dann wurde Platz sechs und die Europa League sowie das Pokalfinale erreicht. Labbadia ist ein fleißiger, gradliniger und konsequenter Trainer. Und er hat Erfahrung im Abstiegskampf.“

Die erste Amtszeit von Labbadia endete 2013 nicht im Guten. Der Knackpunkt war, dass der VfB zu der Zeit finanzielle Probleme hatte und den Etat von über 60 auf rund 40 Millionen Euro drücken musste. Dies ging auf Kosten der Qualität.

Labbadia hatte sich damals dagegen aufgelehnt. Dann entstanden Risse zwischen ihm und dem damaligen VfB-Sportdirektor Fredi Bobic.

„Klar, ein Klopp, Hütter oder Tuchel wären super, aber sie sind leider nicht verfügbar“, weiß Moissidis. Alfred Schreuder (Ajax Amsterdam) und Jess Thorup (bis 20. September dieses Jahres Trainer beim FC Kopenhagen) standen übrigens auch auf der Kandidaten-Liste.

An den Abstieg will Moissidis nicht denken. Er traut Labbadia die Rettung zu. „Jeder hat eine faire Chance verdient. Vorverurteilungen sind weder sinnvoll noch fair. Schließlich wollen alle den Erfolg. Die Situation ist noch nicht bedrohlich, der Turnaround ist zu packen.“

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