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Ikone Fischer: Die irre Story vom Fehlkauf zum Jahrhunderttor

Der 9. Oktober 1976 war der entscheidende Wendepunkt zum Guten in der Karriere des Klaus Fischer – und was für ein spektakulärer. Doch dazu später mehr.

Denn erst einmal fing es auf Schalke für den gerade einmal 20 Jahre jungen Mann aus Zwiesel überhaupt nicht gut an. Trainer Rudi Gutendorf kannte nach einem 3:3 in Braunschweig zum Start der Saison 1970/71 kein Erbarmen mit Fischer. Vor versammelter Presse stellte er den Torjäger nach seinem ersten Bundesligaspiel für die Königsblauen bloß: "Wir wissen alle, was der Fischer gekostet hat. Gemessen an dem, was er bringt, ist er ein absoluter Fehleinkauf."

Eine heftige Klatsche, die der spätere Schütze zum "Tor des Jahrhunderts" nie vergaß.

Schließlich war er in diesen Tagen zum ersten Mal in seinem Leben überhaupt viele Kilometer von der Heimat und seinem Elternhaus entfernt: "Über Schalke wusste ich damals noch nicht viel. Ich kannte den legendären Stan Libuda und wusste, dass Klaus Fichtel in der Nationalmannschaft spielte. Aber über das Ruhrgebiet an sich habe ich mir keine allzu großen Gedanken gemacht, obwohl meine Mutter mir gesagt hatte: 'Wenn du da hochgehst, kannst du kein weißes Hemd mehr anziehen'."

Doch das Tragen von weißen Hemden war in diesen schwierigen ersten Tagen auf Schalke Fischers kleinste Sorge.

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Der Tadel von Gutendorf tat ihm auch deshalb so weh, weil Fischer zuerst gar nicht nach Gelsenkirchen wollte. Doch das Werben des S04 blieb über Wochen so hartnäckig, dass er schließlich - auch weil sein Vater ihn immer wieder ausdauernd ermunterte, diesen Schritt zu gehen - nachgab.

Zuvor hatte er zwei Spielzeiten beim TSV 1860 München, der ihn bei seinen Ausflügen in die nähere Umgebung beim SC Zwiesel entdeckt hatte, absolviert und erstaunliche 28 Bundesliga-Tore geschossen. Der 1860-Trainer und ehemalige Klassestürmer Bimbo Binder hatte Fischer dabei das nötige Rüstzeug mit auf den Weg gegeben, ihn stets ermuntert und ihm eine große Zukunft prophezeit: "Du musst dir nur einen besser kontrollierten Schuss antrainieren, dann bist du nicht aufzuhalten."

Und so kam es schließlich auch auf Schalke. Klaus Fischer wurde zum Leistungsträger einer spannenden, talentierten und hoch ambitionierten königsblauen Mannschaft, die 1972 mit dem DFB-Pokalsieg noch lange nicht am Ende ihrer Leistungsstärke angekommen war, wie damals alle dachten.

Doch der "größte Fehler" seines Lebens warf nicht nur Klaus Fischer aus der Bahn. Weil er und seine Teamkollegen für 2300 Mark pro Mann Ende der Spielzeit 1970/71 eine Partie gegen Arminia Bielefeld absichtlich verloren hatten, musste der aufstrebende Torjäger anschließend mit einer einjährigen Sperre leben. Es war eine schlimme Zeit außerhalb des Rampenlichts für den jungen Spieler.

Sobierays verräterische Lackschuhe

Fischer und die anderen gesperrten Kollegen trainierten im Schatten der Öffentlichkeit für den Tag, an dem sie wieder vor Zuschauern auftreten durften. Und genau deshalb entwickelte die Presse eine wilde Story. Angeblich sollten Klaus Fischer und sein Mannschaftskamerad Jürgen Sobieray während ihrer Sperre von einem Bauunternehmer beschäftigt worden sein. Eine irre Geschichte, die sich die Zeitung mit den vier Buchstaben da ausgedacht hatte.

Doch Fischer und Sobieray machten mit. Und sogleich wurde ein Fotograf losgeschickt, der auf die Schnelle großformatige Bilder von den beiden Schalkern auf dem Bau schoss. Wunderschöne Fotos waren das, mit zwei glücklich lächelnden Fußballprofis in blauen Arbeiteroveralls, mit Schutzhelmen auf dem Kopf, einer Schaufel in der Hand und der obligatorischen Schubkarre vor den Füßen.

Richtig knallhart zupackende Bauarbeiter standen da vor der Linse des Fotografen. Alles schien perfekt – bis auf die in der Sonne glänzenden Lackschuhe von Sobieray. Die Reaktionen am nächsten Tag waren heftig. Ein Leser der Zeitung beschwerte sich frei heraus: "Ihr könnt uns nicht verarschen. Das sind doch nur Lau-Malocher!" Wo er Recht hatte, hatte er Recht.

Und obwohl Klaus Fischer nach seiner Sperre Treffer um Treffer erzielte und die Spielzeit 1975/76 als Bundesliga-Torschützenkönig beendete, hatte er bei Bundestrainer Helmut Schön wegen seines früheren Vergehens keine Chance auf eine Nominierung in die Nationalmannschaft.

Auch das enthusiastische Lob einer anderen großen Fußball-Legende half da dem Mann, den sie auf Schalke in "Walter" - nach dem damals berühmten Ski-Langläufer Walter Demel, der wie Fischer aus dem bayerischen Zwiesel stammte - umgetauft hatten, weil sich auf dem Platz der Königsblauen bereits zu viele Akteure mit dem offensichtlich sehr beliebten Vornamen "Klaus" tummelten, weiter.

Großes Lob aus berufenem Munde

Alfredo di Stefano war jedenfalls hin und weg vom Schalker Torjäger: "Ich habe ja auch viele, viele Tore in meiner Laufbahn geschossen, aber dieser Fischer ist ein Mittelstürmer von besonderer Güte, ein Mittelstürmer der Extraklasse!" Nichts schien zu helfen, doch dann kam der besagte 9. Oktober 1976. Er wurde zum Wendepunkt zum Guten in der Karriere des Klaus Fischer. Und das kam so.

An diesem Tage schlug der FC Schalke 04 den FC Bayern, der kurz zuvor zum dritten Mal hintereinander den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatte, auswärts im Münchener Olympiastadion mit sage und schreibe 7:0. Klaus Fischer schoss in dieser legendären Partie das erste und das letzte Tor und steuerte dazwischen auch noch zwei weitere Treffer zum Debakel der Bayern bei. Ein Triumph für die Königsblauen und ein rabenschwarzer Tag für die Münchener.

Ein Tag, der schon komisch begonnen hatte, als Schiedsrichter Linn anpfiff, obwohl nur zehn Bayern-Spieler auf dem Platz standen: Uli Hoeneß wechselte draußen gerade noch seine Schuhe. Und noch etwas trug dazu bei, dass dieses Spiel so einmalig kurios wurde. Denn der große Gewinner des Tages war neben den Königsblauen ein Fernsehteam des ZDF.

Just bei dieser Partie drehte es eine Reportage über Sepp Maier und hatte dafür extra eine zweite Kamera auf den Bayern-Keeper gerichtet. Und es wird noch lustiger. Denn vorher hatte man doch tatsächlich noch verabredet, falls es zu langweilig würde und die Übermacht von Maiers Mannschaft zu groß wäre, sollte der Sepp doch einfach ein paar Späße machen. Doch dazu kam es dann bekanntlich nicht: Der Weltmeister im Tor der Bayern hatte dazu weder die Zeit noch die Lust – zu oft fischte er die Kugel hinter sich aus dem Netz.

Fischer erzielt "Tor des Jahrhunderts"

Und Fischer? An dem führte nach dieser Partie kein Weg mehr vorbei. Direkt nach dem Spiel setzten sich noch auf dem Platz Franz Beckenbauer und Gerd Müller für eine baldige Nominierung des Schalker Torjägers in die Nationalmannschaft ein. Der Rest ist Geschichte.

Im Trikot der DFB-Elf erzielte Klaus Fischer am 16. November 1977 – nur sieben Monate nach seinem Debüt in der Nationalelf - im Länderspiel gegen die Schweiz das "Tor des Jahres", das später auch das "Tor des Jahrzehnts" und "Tor des Jahrhunderts" wurde. Ein Fallrückzieher der besonderen Art, bei dem einfach alles passte.

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Und weil es so schön und unvergesslich war, musste sich Fischer zum Amüsement der Leute immer wieder bei verschiedenen Anlässen rücklings auf einen Tisch legen und erwartungsfroh schauen. Dann wurde ihm ein Ball zugeworfen und er imitierte seinen legendären Treffer von vor über vierzig Jahren, so gut es eben ging. Das ließ sich der beliebte Mann, der noch immer im Ruhrgebiet lebt und gerne weiße Hemden trägt, nicht nehmen.

Im Hinterkopf hat Klaus Fischer an solchen Tagen sicherlich stets die irre Story des kleinen Jungen aus dem bayrischen Zwiesel, der als Kind als einziges Spielzeug einen Ball besaß, auf Schalke schon als Fehleinkauf galt und schließlich unsterblich wurde, als er im Trikot der Nationalelf das Tor des Jahrhunderts mit einem spektakulären wie wunderschönen Fallrückzieher erzielte.

Ben Redelings wurde 1975 im Flutlichtschatten des Bochumer Ruhrstadions geboren und ist Experte für die unterhaltsamen Momente des Fußballs. Sein aktuelles Werk "Das neue Buch der Fußballsprüche" verkauft sich sprichwörtlich wie das gut gekühlte Stadionbier. Als SPORT1-Kolumnist schreibt Ben regelmäßig über die "Legenden des Fußballs".