Löw bleibt: Weltmeister auf Probezeit

Macht weiter: Bundestrainer Joachim Löw (AP Photo/Lee Jin-man)
Macht weiter: Bundestrainer Joachim Löw (AP Photo/Lee Jin-man)

Jogi Löw hat sich entschieden, als Bundestrainer weiterzumachen. Verdient hat er das. Aber ist es auch gut für den deutschen Fußball? Von Moritz Piehler

Er hatte sich Bedenkzeit erbeten. Ein paar Tage runterkommen, abschalten, das Geschehene verarbeiten. Jetzt steht fest: Joachim Löw wird auch nach dem überraschenden WM-Aus weiter Trainer der Deutschen Nationalmannschaft bleiben. Gerade erst im Mai hatte der 58-jährige seinen Vertrag mit dem DFB verlängert, bis 2022 ist er noch vertraglich an den größten Fußballverband der Welt gebunden. Es schien wie eine sehr einfache Entscheidung. Bei den letzten sechs Turnieren erreichte die Nationalmannschaft immer mindestens das Halbfinale, eine beispiellose Serie. Und Löw fuhr als amtierender Weltmeistertrainer nach Russland. Die Mannschaft war eingespielt und weitestgehend ohne Verletzungssorgen. Auch wenn eine Titelverteidigung nie fest geplant werden kann, war zumindest ein Platz unter den besten Vier der Welt schon so gut wie eingerechnet. Es kam bekannterweise anders. Und das zeigte sich bereits in den Vorbereitungsspielen im Vorfeld des Turniers. Denn da war plötzlich vom Esprit der vergangenen Jahre nicht mehr viel zu sehen. Die Reaktion von Spielern und Löw? Ruhe bewahren, sich auf den Mythos der Turniermannschaft berufen und weitermachen wie bisher. Das war der falsche Weg und den hat auch Löw mit zu verantworten.

Wie es gehen kann, wenn der kühl kalkulierende Löw über seinen Schatten springt, zeigte der Confed-Cup. Da durfte die zweite Reihe aus ungestümen Nachwuchstalenten antreten. Es hagelte Kritik, es wirkte arrogant und unclever, doch die Jungspunde erfüllten Löws Plan mehr als über. Das Team spielte attraktiven, schnellen und smarten Fußball. Es war nicht so leicht auszurechnen wie die Weltmeister und holte gegen die starke Konkurrenz überraschend den Cup. Löw durfte sich über einen gelungenen Coup freuen und war dann nicht mutig genug, in Russland weiter in diese Richtung zu gehen.

Auf einmal schien nichts mehr zu greifen

Seit 2006 führt Löw die Nationalmannschaft, doch schon beim überfälligen Umbau mit seinem Vorgänger Jürgen Klinsmann hatte er auf dem Platz und im taktischen Bereich deutlich seine Finger im Spiel. Das Resultat waren zwölf Jahre Nationalmannschaftsfußball auf „högschdem“ Niveau. Die Weltspitze orientierte sich spätestens seit der WM 2010 in Südafrika an der DFB-Elf. Der Fußball war nicht nur erfolgreich, sondern – gegen sehr viel und sehr laute Kritik aus dem eigenen Land übrigens – auch sehr modern und auf Ballbesitz und schnelles Umschaltspiel ausgelegt. Das passte vielen nicht, denen es an „klassisch deutschen Tugenden“ mangelte (und die vielleicht vornehm verdrängten, wie unschön das Spiel der 90er Weltmeister und erst recht in den zehn Jahren danach war.) Doch mit dem Erfolg verstummte die Kritik, spätestens mit der Demontage Brasiliens und der Titelnacht von Rio. Das war natürlich nicht allein Löws Verdienst, aber er war es, der dem deutschen Fußball seinen Stempel aufdrückte. Bis zum Anpfiff der WM in Russland.

Auf einmal schien nichts mehr zu greifen, das Team machte einen sehr heterogenen Eindruck, es kam weder der gewohnte Spielfluss noch die Kreativität der talentierten Spielmacher Kroos,Özil und Co zum Tragen. Das fing vor dem Turnier an und trat eben auch sehr im Umfeld der Mannschaft hervor. In der Vermeidungsstrategie des DFB, sich in der Özil/Gündogan Debatte klar zu positionieren, auch innerhalb des Teams zum Beispiel. In dem Gejammere über das Quartier. Den Zwischentönen um Sandro Wagner und vor allem Leroy Sané. Jetzt kann natürlich jeder Couch-Coach sagen: Mit Sané wäre Deutschland noch im Rennen. Rein spekulativ natürlich und trotzdem: Warum tut sich Löw so schwer, mit als schwierig geltenden Spielertypen umzugehen? Eine Mannschaft, die keinen eigenen Kopf hat, die nicht selbst mitdenken und reden will, wird keinen großen Erfolg mehr feiern. Das hat diese WM klar gezeigt.

Kredit ist aufgebraucht

Im Trainergeschäft neigen die Verantwortlichen gerne zu hastigen Überreaktionen. Es ist dem DFB anzurechnen, dass die Löw nicht beim ersten großen Rückschlag vor die Tür setzen und seine Verdienste anerkennen. Aber die Frage ist trotzdem: Kann es so weitergehen? War also das Aus in Russland nur ein einmaliger Ausrutscher, der aus vielen unglücklichen Komponenten heraus zustande kam? Wäre also alles gut, wenn Hummels in der 86. den Kopfball gegen Südkorea versenkt und „die Mannschaft“ glücklich ins Achtelfinale einzieht? Oder gib es doch tiefere Probleme, die eher systematisch und auch mit der Person Jogi Löw verknüpft sind?

Löw mutet sich die Aufgabe weiter zu, er ist, bei aller Stoik eben auch ein wirklich erfolgshungriger Typ. Dass er nicht mit dieser Schmach abtreten will, ist nachvollziehbar. Doch jetzt ist der Kredit aufgebraucht, den er und sein Team sich vorher verdient hatten. Löw steht selbst auf dem Prüfstand und wird zeigen müssen, dass eben nicht ein Klopp oder Streich oder gar Zidane mehr aus diesem Riesenpool an Talenten herausholen kann, den der DFB zur Verfügung hat. Dazu wird auch gehören, die eigene Haltung kritisch zu überdenken. Auch die immer schwierige Aufgabe, verdiente Spieler auszusortieren, neuen eine echte Chance in verantwortungsvollen Rollen zu geben ist essentiell für eine Rehabilitierung des Nationalmannschaft. Es liegt jetzt an Löw, zu beweisen, dass er diese eigene persönliche und sportliche Entwicklung vollziehen kann. Wenn nicht, warten auf den DFB vier eher magere Jahre. Und Jogi Löw hätte seinen eigenen Legendenstatus demontiert.