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Lucien Favre beim BVB: Der ewig Unverstandene

Nach der Niederlage gegen die Bayern mehrt sich wieder die Kritik an Lucien Favre. Beim BVB-Trainer gab es in der Vergangenheit ein wiederkehrendes Muster.

Lucien Favre vom BVB hat ein Kommunikationsproblem. (Bild: Getty Images)
Lucien Favre vom BVB hat ein Kommunikationsproblem. (Bild: Getty Images)

"Bonjour". "Merci". "Au Revoir". Lucien Favre ist, egal in welcher Situation er sich gerade befindet, stets um Höflichkeit bemüht. Gefühls- oder gar Wutausbrüche gibt es beim frankophonen Schweizer nur selten.

Nach der 0:1-Pleite gegen die Bayern gab es für Favres Verhältnisse dann aber fast schon einen solchen. Als "unglaublich und für mich auch nicht akzeptabel" bezeichnete Favre in Bild die Aussagen von Sky-Experte Lothar Matthäus, der dessen Aufstellung im Klassiker kritisiert hatte. Er könne nicht alles wissen, was beim BVB intern abläuft. "Er macht seinen Job, ich mache meinen." Basta.

Favre stand nach der bitteren Heimniederlage gegen die Münchner in der Kritik. Mal wieder. Einmal mehr wurden die Rufe der Kritiker laut, die den Rauswurf des 62-jährigen Fußballlehrers fordern.

"Ich hätte gerne, dass die, die ihn als Trainer holen wollen, sich erkundigen, bevor sie ihn als Trainer holen", sagte SPORT1-Experte Marcel Reif im CHECK24 Doppelpass. "In Dortmund haben sie ihn als Trainer geholt, sicherlich nicht als Nummer Eins. Dann hörst du dich um und hörst, er ist ein super Ausbilder, aber er ist eigenwillig. Er arbeitet akribisch, hat sich bewegt in dieser Saison."

Favre war es allerdings selbst, der mit seinen teils kryptischen Aussagen nach der Pleite gegen die Bayern für Wirbel sorgte. "Wir werden in ein paar Wochen darüber sprechen", hatte er auf die Frage geantwortet, ob er eine Debatte befürchte, dass er mit den Dortmundern einfach keine Titel gewinnen könne. Und schon ging das Rätselraten los. Verkündet er etwa seinen Rücktritt?

Favre, der ewig Unverstandene

Favre stellte einen Tag später klar: Alles nur ein Missverständnis. "Mir fehlt das Verständnis für diese Interpretation meiner Aussage", fand er. Was aus diesem Satz entstanden ist, sei völlig verrückt.

Lucien Favre ist so etwas wie der ewig Unverstandene.

"Seine Abgänge in der Vergangenheit waren plötzlich", erinnert sich Mike Hanke im CHECK24 Doppelpass an seine frühere Gladbach-Zeit unter Favre. "Von einem auf den anderen Tag hat er gesagt, ich mache nicht mehr weiter. Das finde ich schon auf eine Art egoistisch. Von heute auf morgen lässt er den Verein und die Mannschaft im Stich."

Der Schweizer entfacht aufgrund seiner teils nebulösen Aussagen immer wieder selbst die Gerüchte um seine Person. Wohl auch ein sprachliches Problem. Spricht Favre Französisch, blüht er regelrecht auf. Dann ist er, sagen viele Weggefährten, plötzlich ein anderer Mensch. Bei den Pressekonferenzen vor den Champions-League-Spielen gegen Paris funkelten seine Augen, als er endlich mal wieder Fragen in seiner Sprache beantworten konnte.

Während seiner Anfangszeit in Deutschland, 2007 bei Hertha BSC, lernte Favre fleißig Deutsch. Er las Bücher, Zeitungen, schaute die Tagesschau. Richtig anfreunden konnte er sich mit der schweren Sprache aber nie.

Einer, der ihn in Berlin damals schon begleitet hat, ist Michael Jahn. Der 68-Jährige arbeitete 25 Jahre lang als Reporter für die Berliner Zeitung und schrieb die Favre-Biografie "Der Bessermacher".

Zu SPORT1 sagt der Berliner: "Lucien Favre ist immer höflich und zuvorkommend. Er ist ein interessanter Gesprächspartner und ein großartiger Fußballlehrer, der sich aber manchmal leider selbst im Weg steht." Eigen sei er, sagt Jahn. "Er ist eben ein detailverliebter Zauderer, der vielleicht manchmal das große Ganze nicht im Blick hat."

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Unschöner Abschied in Berlin

2007 kam Favre als zweifacher Meister-Coach und Schweizer Trainer des Jahres vom FC Zürich zur Hertha. Schon nach seinem ersten Pflichtspiel, das Favre in der 1. DFB-Pokalrunde mit 3:0 in Unterhaching gewann, wollte er die Brocken hinschmeißen.

"Es gab Informationen, dass er damals sogar kurz an einen Rücktritt dachte, was er aber stets dementierte", verrät Jahn. "Er war verunsichert und hatte Angst, dass die Mannschaft nicht bundesligatauglich ist." Manager Dieter Hoeneß soll ihm Mut zugesprochen und von einem Verbleib überzeugt haben.

Kürzlich sagte Hoeneß im CHECK24 Doppelpass: "Ich habe damals einen Tinnitus bekommen, das ist meine Erinnerung an ihn." Die Zeit mit Favre habe an Hoeneß‘ Nerven gezehrt.

Vor allem wenn es um potenzielle Neuzugänge ging, sei der Schweizer Coach ein Zauderer gewesen. "Kaderplanung mit ihm ist nicht einfach", erinnerte sich Hoeneß. "Ein bisschen mehr Lockerheit, offener und empathischer zu sein und weniger Misstrauen, würde ihm guttun."

2009 wurde Favre, der Hertha auf Platz 4 führte, dann fristlos entlassen. Er gab eine private Pressekonferenz im Nobel-Hotel "Adlon" und kritisierte die Transferpolitik des Vereins unter Präsident Werner Gegenbauer.

In Jahns Buch kommt unter anderem auch Ex-Nationalspieler Arne Friedrich zu Wort. Der heutige Performance Manager der Hertha sagt: "Er war unglaublich detailverliebt. Er war perfektionistisch. Diese Details haben uns zu Beginn weitergebracht. Wir wurden mit Informationen überschüttet. Bei ihm war selbst der Einwurf eine große Kunst."

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Eberl: "Wir waren sehr, sehr traurig damals"

In seiner zweiten Station in Deutschland, bei Borussia Mönchengladbach (2011 bis 2015), rettete Favre die Fohlen zunächst vor dem Abstieg, um sie dann zwei Mal in die Champions League zu führen. Aufgrund des schnellen Kombinationsfußballs wurden die Gladbacher auch "Borussia Barcelona" genannt. Nach fünf siegglosen Spielen zum Start in die Saison 2014/2015 schockte Favre den Klub allerdings mit einem Spontan-Rücktritt.

Sportchef Max Eberl blickt in "Der Bessermacher" zurück: "Wir haben in den vier Jahren wirklich alles rausgeholt. Irgendwann kam der Punkt, wo nicht mehr alles so funktionierte. Lucien fühlte sich nicht mehr bereit, das alles hinzubekommen. Wir waren sehr, sehr traurig damals. Wir wollten es mit ihm durchstehen. Er sagte aber, er kriegt es nicht mehr hin. Es war nicht der Abgang, der diese vielen guten Jahre gewürdigt hätte."

Seine Abschiede in Berlin und Mönchengladbach nähren den Verdacht, dass auch in Dortmund vorzeitig Schluss sein konnte. In diesen Tagen muss sich Favre einmal mehr den Vorwurf gefallen lassen, mit dem BVB keine Titel zu holen. In den entscheidenden Momenten fehlt seiner Mannschaft der Biss.

Dennoch: Mit einem Punkteschnitt von 2,15 pro Bundesligaspiel ist Favre der mit Abstand beste BVB-Trainer – noch vor Thomas Tuchel (2,09) und weit vor Jürgen Klopp (1,91), den sie in Dortmund bis heute verehren.

Einfach ist Favre, der eigenwillige Fußballlehrer aus dem Schweizer Kanton Waadt, keineswegs. Zum feurigen Trainer, der seine Mannschaft in der Kabine und auf dem Rasen heiß macht, wird er auch nicht mehr. Und dennoch sind sie in Dortmund von seiner Arbeit weiterhin überzeugt. Sportchef Michael Zorc sagte zu SPORT1: "Wir führen sicher keine Trainerdebatte."

Der Coach selbst will seinen bis 2021 laufenden Vertrag nach jetzigem Stand im Ruhrpott erfüllen. Für seine Verhältnisse fast schon kämpferisch sagt der Tüftler und Taktiker: "Ich werde weitermachen, auch über den Sommer hinaus. Ich habe einen Vertrag und möchte den erfüllen. Es gefällt mir hier in Dortmund. Ich möchte weitermachen und mit dem BVB angreifen."

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