Was macht ein Land glücklich? Ein Glücksexperte gibt Antworten

Jedes Jahr werden zwei globale Glücksstudien veröffentlicht. Die erste ist der World Happiness Report. Dieser von den Vereinten Nationen erstellte Bericht, der bereits zum 10. Mal erscheint, misst, wie verschiedene Bevölkerungsgruppen ihre allgemeine Lebenszufriedenheit in Bezug auf Faktoren wie BIP, Gesundheit und soziale Unterstützung einschätzen.

Die andere wichtige Studie wird von Ipsos, einem globalen Datenunternehmen, erstellt. Der Ipsos Global Happiness Report befragt ebenfalls Menschen aus der ganzen Welt, wie zufrieden sie mit ihren zwischenmenschlichen Beziehungen, ihrer wirtschaftlichen Stabilität und ihrer Gesundheit sind.

Die beiden Umfragen, die von verschiedenen Unternehmen durchgeführt werden, stellen weitgehend ähnliche Fragen. Und doch ergeben sie jedes Jahr eine andere Liste der glücklichsten Länder der Welt. Die Uno hat Finnland zum sechsten Mal in Folge als das glücklichste Land der Welt eingestuft. Nach Finnland folgten Dänemark, Island, Israel und die Niederlande.

Im Gegensatz zu der von den Skandinavier:nnen dominierten UN-Liste hat Ipsos eine völlig andere Top-Fünf-Liste. Die glücklichsten Länder sind laut Ipsos China, Saudi-Arabien, die Niederlande, Indien und Brasilien. Im Vergleich dazu rangiert China in der UN-Studie auf Platz 64 der glücklichsten Länder.

Warum ist das so? Die Unterschiede liegen hauptsächlich in der Art und Weise, wie die verschiedenen Berichte ihre Erhebungen durchführen. Zwar wird in beiden Berichten etwa die gleiche Anzahl von Personen befragt, doch räumt Ipsos ein, dass die ausgewählten Personen in Ländern wie Brasilien, China, Indien und Saudi-Arabien alle "städtischer, gebildeter und/oder wohlhabender als die allgemeine Bevölkerung" seien.

VIDEO: So bleibt die Beziehung lange glücklich

Auch wenn die Ipsos-Umfrage eher fragwürdige Ergebnisse liefert, "ist es immer interessant, wenn dieselbe Frage über einen längeren Zeitraum hinweg wiederholt gestellt wird", sagt Marc Schulz, Professor für Psychologie am Bryn Mawr College.

Schulz und Professor Robert Waldinger sind der stellvertretende Direktor und der Direktor der Harvard Study of Adult Development, der längsten Studie zum menschlichen Glück in der Geschichte der Wissenschaft.

Seit 1938 hat ein Team eine Gruppe von Menschen über ihr ganzes Leben und das ihrer Nachkommen hinweg verfolgt, um herauszufinden, was ihr Glück beeinflusst hat. Schulz und Waldinger, die derzeitigen Leiter der Studie, haben ein Buch über die Ergebnisse der acht Jahrzehnte dauernden Untersuchung veröffentlicht, das den Titel "The Good Life: Lessons from the World's Longest Scientific Study of Happiness" trägt.

Das Geheimnis des finnischen und chinesischen Glücks

Es genügt zu sagen, dass Schulz eine Menge über Glück weiß. Wenn er darüber nachdenkt, warum Finnland die UN-Studie sechs Jahre in Folge angeführt hat, bemerkt Schulz, dass in den skandinavischen Ländern soziale Unterstützung oft im Vordergrund steht. "Ihre Daten zeigen, dass soziale Verbindungen wichtig sind. Einer der besten Vorhersagen für Glück in den Weltglücksberichten ist also, ob man jemanden hat, auf den man sich verlassen kann, wenn man Hilfe braucht."

Warum also ist die stereotype Vorstellung von Skandinavien - veranschaulicht durch das Skandi-Drama - die eines ernsten Volkes inmitten trostloser, kalter Landschaften? Schulz weist darauf hin, dass die beiden Organisationen, obwohl sie den Namen "World Happiness Report" tragen, sich in ihrer Befragung eigentlich mehr mit der Lebenszufriedenheit beschäftigen. Hier zeichnen sich Finnland und die skandinavischen Länder durch ein hohes Maß an sozialer Unterstützung, Vorhersehbarkeit und Fairness in der Gesellschaft sowie durch weniger Einkommensungleichheit aus.

Canva
Finnische Sauna – Canva

Das erklärt also, warum Finnland in der UN-Hitparade ganz oben steht. Aber was ist mit der Behauptung von Ipsos, dass China und Saudi-Arabien die glücklichsten Länder seien? Auch wenn die Zuverlässigkeit der Daten, die diese Länder Ipsos zur Verfügung gestellt haben, in Frage gestellt werden muss, gibt es doch einige Gründe, die darauf hindeuten, dass diese Länder ein offenbar angemessenes Maß an Zufriedenheit aufweisen.

In beiden Ländern gibt es autoritäre Staaten und Menschenrechtsverletzungen, aber für die nicht direkt betroffene Bevölkerung ist die politische Zusammensetzung des Landes ein weit weniger bedeutender Faktor für die Lebenszufriedenheit des Durchschnittsbürgers. Aus dem UN-Bericht geht hervor, dass Korruption und Ungerechtigkeit die Zufriedenheit der Menschen zwar beeinflussen, aber weniger wichtig sind als soziale Unterstützung. Länder wie China haben eine kollektivistische Kultur, was bedeutet, dass sich soziale Kreise und Gemeinschaften eher umeinander kümmern.

Wenn ein Land in den Studien von UN oder Ipsos gut abschneidet, scheint das wichtigste Barometer die soziale Unterstützung zu sein, die die Menschen genießen. Das ist der Kernpunkt von Schulz' Forschung mit der Harvard Study of Adult Development. Sie haben herausgefunden, dass gute Beziehungen die Menschen im Großen und Ganzen gesünder halten und ihnen ein längeres und glücklicheres Leben bescheren.

Beziehungen sind der Schlüssel

In beiden globalen Umfragen ist ein Trend zu erkennen, dass die Welt glücklicher wird, doch ein flüchtiger Blick auf die sozialen Medien oder die Nachrichten würde den Eindruck erwecken, dass das Leben heute einen Tiefpunkt der Unzufriedenheit erreicht hat. Die westlichen Volkswirtschaften brechen scheinbar zusammen, die demokratischen Institutionen versagen und das Klima steuert auf eine Katastrophe zu. Schulz weist jedoch darauf hin, dass es zwar schwierig ist, Vergleiche über einen längeren Zeitraum anzustellen, dass aber die Situation der Menschen, die zu Beginn der Harvard-Studie befragt wurden, alles andere als rosig war.

"Sie waren zu dem Zeitpunkt auf dem College, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, und 91 Prozent von ihnen dienten im Militär. Fast alle von ihnen beschreiben dies als die schrecklichste und schlimmste Erfahrung ihres Lebens", sagt Schulz. Man vergisst leicht, dass für diese Generation unmittelbar danach die USA durch den Kampf um Bürgerrechte und den Kalten Krieg gespalten waren.

Es gibt jedoch einen Unterschied, den Schulz bei unserer heutigen Generation feststellt - die Technologie. "Das Internet hat uns in einer Weise verbunden, die hilfreich ist, aber auch in einer Weise, die zu unserer Erfahrung von Einsamkeit beigetragen hat", sagt er.

Für Freunde und Familienangehörige, die aus der Nachbarschaft wegziehen, ist die Technologie von unschätzbarem Wert, um engere Verbindungen als je zuvor aufrechtzuerhalten. Die Kehrseite der Medaille ist, dass wir heute Menschen mit einem ganz anderen sozioökonomischen Status wahrnehmen als je zuvor. "Früher konnte man in seinem Viertel nachsehen, wie die anderen Häuser aussahen und was die Leute in ihren Gärten hatten, um herauszufinden, ob man so viel besitzt wie die anderen. Heute geht man ins Internet und kann sich ansehen, was jeder auf der ganzen Welt hat.

Die Art und Weise, in der Social Media Informationen auswählt, die für uns auf der Grundlage unseres bisherigen Verhaltens interessant sind, verschärft auch unser Gefühl der Differenz. Indem politische Informationen in die Newsfeeds verschiedener Gruppen von Menschen kuratiert werden, wird eine größere soziale Spaltung gesät.

Was Schulz jedoch am meisten beunruhigt, geht auf die wichtigste Erkenntnis seiner Studie zurück: die Bedeutung sozialer Beziehungen. Die über Bildschirme vermittelte Kommunikation ist kein perfektes Abbild der echten persönlichen Kommunikation. Schulz ist besonders besorgt über die Abschwächung der menschlichen Interaktion durch technologische Medien.

"Wir alle müssen uns persönlich und in Echtzeit mit Meinungsverschiedenheiten auseinandersetzen. Und wir müssen herausfinden, wie wir das tun können. Die Technologie hat den Menschen die Möglichkeit gegeben, einen großen Teil dieser Arbeit nicht in Echtzeit zu erledigen. Ich denke, dass wir dadurch mit der Zeit weniger in der Lage sein werden, einige dieser Herausforderungen zu meistern", sagt er.

Die Botschaft ist klar, und sie ist das treibende Prinzip seines und Waldingers Buches und der Daten der Studie: "Beziehungen halten uns über die gesamte Lebensspanne hinweg glücklicher und gesünder", sagt er.

"Die Menschen wollen in ihrem Leben einfach nur verstanden, gehört und unterstützt werden. Wenn wir von Beziehungen sprechen, meinen wir diese Art von Beziehungen, bei denen wir das Gefühl haben, dass uns jemand kennt und uns im Leben den Rücken stärkt", sagt Schulz. Verbundenheit ist gut für das emotionale Wohlbefinden, "und was vielleicht noch überraschender ist, sie hat auch körperliche Vorteile für uns".

VIDEO: Sternschnuppen von Menschenhand