"Was mit Nübel gerade gemacht wird, ist unmenschlich"

Manuel Neuer kann ein Lied davon singen, wie es sich fühlt, wenn man unerwünscht ist.

Als sich der Torwart 2011 im Alter von 25 Jahren aufmachte von Schalke 04 zum FC Bayern zu wechseln, schlug ihm Ablehnung, ja sogar Hass entgegen - und zwar von beiden Seiten.

Da waren einerseits die enttäuschten Anhängern der Knappen, die es Neuer, der als Mitglied einer Ultra-Gruppierung schon in seiner Jugend Hardcore-Schalker war, übel nahmen, ausgerechnet zum Rekordmeister zu wechseln.

Andererseits, und das war das Perfide, wurde Neuer aber auch von Teilen der Bayern-Anhängerschaft verstoßen, deren Slogan "Koan Neuer" zum geflügelten Wort wurde.

Neun Jahre später scheint sich ein Stück weit die Geschichte zu wiederholen - und wieder ist Neuer Teil des Dramas, dieses Mal aber in einer anderen Rolle.

Nübel kriegt es von allen Seiten ab

Der vermeintliche Schurke heißt nun Alexander Nübel - und er kriegt es von allen Seiten ab. Damit, dass die Schalke-Fans keinerlei Verständnis für den Wechsel ihres so talentierten Torhüters aufbringen, musste man rechnen.

Spätestens als der 23-Jährige beim 0:5 in Leipzig mehrmals daneben griff und anschließend auch beim 0:3 gegen Köln eine unglückliche Figur abgab, war die Geduld der Anhänger aufgebraucht. Die "Nübel-raus-Rufe" taten ihr Übriges, dass der 23-Jährige am Ende wie ein Häuflein Elend vom Platz schlich und von den Mitspielen getröstet werden musste.

Schalke-Trainer David Wagner reagierte, stellte Markus Schubert ins Tor und nahm Nübel aus der Schusslinie. Gewonnen war für den Vize-U21-Europameister von 2019 aber damit nicht viel, schließlich musste er sich gleichzeitig schon mit verbalem Störfeuer aus der Ecke seines neuen Arbeitgebers befassen.

Bereits kurz nach der Verkündung von Nübels Wechsel markierte Neuer im Trainingslager von Katar sein Revier. "Ich bin Protagonist und kein Statist", sagte der Nationalkeeper, nachdem er mit der von SPORT1 aufgedeckten "Nübel-Klausel" konfrontiert wurde.

Diese Klausel wird dem Neuzugang 15 Spiele im Bayern-Kasten zusichern - ein Umstand, mit dem Neuer nur schlecht leben kann. Der Weltmeister von 2014 vermied zwar bislang, auch nur ein böses Wort gegenüber seinem künftigen Mannschaftskameraden zu äußern, doch zwischen den Zeilen zeigte er sehr wohl, was er von dem Wechsel hält.

"Es ist keine angenehme Situation für Nübel. Es ist schon schade, dass er es gerade von allen Seiten abbekommt", äußert Jean-Marie Pfaff, von 1982 bis 1988 die Nummer 1 bei den Bayern, Mitgefühl im Gespräch mit SPORT1.

Pfaff rechnet mit Neuer-Verlängerung

Pfaff hat eine klare Meinung zu dem Deal. "Man hat langfristig gedacht und mit Nübel einen guten Keeper verpflichtet. An Nübels Stelle wäre ich aber noch zwei Jahre auf Schalke geblieben. Er hätte auch später zu den Bayern wechseln können", meint der 66-Jährige. "Ich gehe davon aus, dass Neuer seinen Vertrag verlängern wird. Dann wird er weiter die Nummer 1 sein, das weiß Nübel auch."

Perspektivisch verstehe er den Transfer, meinte Neuer unlängst, "wobei wir mit Sven Ulreich ja schon eine bärenstarke Nummer zwei haben. Der würde in vielen anderen Vereinen Stammtorwart sein."

Apropos Ulreich - auch der verlässliche Neuer-Vize machte schon klar, dass er seinen Platz als Nummer 2 keinesfalls kampflos aufgeben wird. "Wenn ich bleibe, werde ich alles dafür tun, um hinter Manuel die Nummer zwei zu bleiben", kündigte Ulreich im Januar bei SPORT1 an.

Der Berater des früheren Stuttgart-Keepers legte unlängst im Kicker nach: "Der FC Bayern ist eine Leistungsgesellschaft, in der sportlich entschieden wird", sagte Jürgen Schwab. "Schauen wir mal, wer am Ende hinter Manuel Neuer auf der Bank sitzt."

Auch medial wird Nübel inzwischen durchaus kritisch gesehen - wie beispielsweise von SPORT1-Experte Stefan Effenberg. "Ich würde auch Sven Ulreich für Nübel nicht opfern. Der ist seit Jahren ein perfekter zweiter Torwart. Hansi Flick stellt sich auch hinter ihn. So einen loyalen Torwart mit dieser Qualität musst du halten."

Pfaff: "Das ist unmenschlich"

Pfaff geht die Parteinahme gegen den künftigen Münchner Schlussmann zu weit. "Nübel hat noch nichts falsch gemacht und wird schon von vielen Personen infrage gestellt. Jetzt müssen die Bosse durchgreifen. Lasst den Jungen doch erstmal ankommen", fordert Pfaff. "Es ist noch nichts passiert. Also muss man Nübel nicht schon im Keller einschließen. Was da gerade mit ihm gemacht wird, ist unmenschlich."

Zu allem Überfluss meldete sich nun auch noch der Manager von Christian Früchtl, Bayerns Nachwuchskeeper aus der 3. Liga, zu Wort - und gab Nübel die volle Breitseite mit. Früchtl habe von Anfang an betont, dass es ihm "vollkommen egal" sei, "ob ein Alexander Nübel kommt. Oder wer auch immer", erklärte nun Christian Rößner in der AZ - Früchtl wolle sich beim FC Bayern durchsetzen.

Sein Schützling habe es "nicht nötig zu flüchten", sagte Rößner. "Ganz im Gegenteil. Wir machen aber sicherlich nicht den Fehler, den ein Nübel oder sein Berater machen, jetzt nach München zu gehen und sich dort auf die Bank zu setzen."

Pfaffs Appell an Nübels Kritiker und Mitstreiter ist deutlich: "Allmählich muss man aufpassen, dass die Torwart-Debatte nicht eskaliert. Man muss ganz offen und ehrlich mit Nübel umgehen und ihm eine faire Chance geben, wenn er nach München kommt."