Kann sich die Formel 1 diese Strecke noch leisten?

Wenn sich der Formel-1-Zirkus am kommenden Wochenende im belgischen Spa (das komplette Rennwochenende im SPORT1-Liveticker) einfindet, bekommen die Zuschauer Tradition pur geboten. Bereits 55-mal wurde der Große Preis von Belgien auf dem Circuit de Spa-Francorchamps ausgetragen. Für Michael Schumacher war der Rundkurs in den Ardennen ein Grundpfeiler seiner Legendenbildung. Mit sechs Erfolgen wird er als Rekordsieger geführt, weswegen er die Strecke auch gerne als sein Wohnzimmer bezeichnete.

Und dennoch stellt sich nicht zum ersten Mal die Frage: Ist Spa noch zeitgemäß oder sollte die Formel 1 auf diese ikonische Strecke - trotz aller Tradition und Verbundenheit mit der Königsklasse des Motorsports - verzichten?

Spätestens seit dem tödlichen Unfall des Niederländers Dilano van t‘Hoff beim zweiten Rennen der Formula Regional European Championship by Alpine am 1. Juli ist diese Diskussion aktueller denn je. Die Formel 1, obwohl an diesem Tag in Österreich, wurde in eine Schockstarre versetzt. Einmal mehr zeigte der Motorsport sein hässliches Gesicht und Spa-Franchorchamps wurde zum Sinnbild dieser brutalen Realität.

49 Todesopfer in Spa! „Man muss was ändern“

Insgesamt haben auf dieser Strecke nun schon 49 Fahrer in verschiedenen Rennserien ihr Leben verloren. Das erste Opfer war Bill Hollowell im August 1925. Im Jahr 1960 kamen mit Chris Bristow und Alan Stacey gleich zwei Fahrer innerhalb von wenigen Minuten ums Leben, 1985 starb der deutsche Sportwagen-Weltmeister Stefan Bellof, der als zukünftiger Formel-1-Weltmeister gehandelt wurde.

Und immer wieder im Fokus der Diskussion: die Kurvenkombination Eau Rouge mit der anschließenden Kemmel-Geraden. Ausgerechnet der Streckenabschnitt, der den Mythos Spa begründet, könnte nun für dessen Ende verantwortlich sein. Neben van t‘Hoff wurde auch Antoine Hubert vier Jahre zuvor diese Passage zum Verhängnis. „Es ist wirklich niederschmetternd, dass wir in so kurzer Zeit zwei junge Fahrer verloren haben“, zeigte sich Lewis Hamilton direkt nach dem Tod van t‘Hoffs erschüttert.

Noch deutlicher wurde Lance Stroll. „Diese Kurve muss geändert werden, sie ist zu gefährlich!“ Unterstützung bekam er dabei von Toto Wolff. Zwar betonte er den Reiz der Eau Rouge. „Das macht es (die Strecke, Anm. d. Red.) auch aus.“ Dennoch könne man nach diesem erneuten Drama um den jungen Niederländer nicht einfach weitermachen. „Man muss was ändern“, forderte er unmissverständlich.

Sein Fahrer George Russell geht sogar noch einen Schritt weiter. Der Mercedes-Pilot sieht das Hauptproblem im ständig drohenden Regen in den Ardennen und würde im Zweifelsfall auch eine Absage befürworten.

„Natürlich ist es für niemanden perfekt, wenn ein Rennen abgesagt wird. Aber wir wollen nicht noch so einen großen Zwischenfall erleben, wie wir ihn gerade gesehen haben“, betonte Russell mit Blick auf den tödlichen Unfall von van t‘Hoff.

Spa-Unfallopfer verteidigt den Rundkurs

Ralf Schumacher hatte sich nach der Tragödie bei SPORT1 für eine Entschärfung der Eau Rouge durch den Einbau einer Schikane ausgesprochen - wie sie auch als Reaktion auf die Doppel-Tragödie um Roland Ratzenberger und Ayrton Senna 1994 in Monza zwischenzeitlich installiert war.

Doch es gibt auch immer wieder Verteidiger des berühmten Rundkurses. Bereits vor zwei Jahren - bei den 24h von Spa 2021 kam es zu einem schweren Unfall mit mehreren Verletzten - erinnerte der ehemalige Formel-1-Pilot Luciano Burti an die Besonderheit des Rennsports. „Motorsport ist riskant. Dass du mit über 200 km/h fährst und totale Sicherheit hast, das gibt es nicht.“

Dass Spa gefährlich sei, hatte der Brasilianer dabei nicht bestritten. In der Saison 2001 hatte der 48-Jährige selbst einen schweren Unfall in der Blanchimont-Kurve überlebt. „Wäre Senna nicht gestorben, hätte ich nicht überlebt, weil die Formel 1 dadurch viel sicherer geworden ist“, mutmaßte der Mann aus Sao Paulo Jahre später im Autosport Podcast.

Dennoch gehört für ihn Spa - wie auch Monaco und Monza - zur DNA der Formel 1. Daher gibt es für ihn nur zwei Möglichkeiten. „Entweder lässt du Eau Rouge oder du baust einen Tunnel drunter hindurch. Etwas anderes kannst du nicht machen.“ Und auch in der Gegenwart gibt es Stimmen, die die Schuld nicht auf die Strecke schieben wollen. Doppel-Weltmeister Max Verstappen erinnerte, dass die Strecke zwar risikoreich sei, allerdings sei es zu „einfach, die Schuld allein auf die Strecke zu schieben. Wir sollten auch betrachten, wie nass es war und derartige Dinge.“

Grundsätzlich hält er Spa nicht für die gefährlichste Strecke in der Formel 1. „Es gibt auch andere Strecken, auf denen es passieren kann, wenn man einen Unfall hat und zurück auf die Strecke kommt und die Sicht sehr schlecht ist“, betonte er.

Monaco sei seiner Meinung nach „viel gefährlicher“ als Spa: „Aber wir fahren dort, weil es als sicher genug angesehen wird. Unfälle passieren leider“, so der zweimalige Weltmeister.

Nicht die Strecke ist die Gefahr

Ins gleiche Horn stieß Fernando Alonso. Unabhängig von der Strecke sei zu oft Nässe das Problem. „Wir können unser Auto kontrollieren, aber besonders mit dem aufspritzenden Wasser bei Nässe sehen wir nichts.“ Dieses Problem sprach auch Charles Leclerc im Vorfeld des Rennwochenendes an. „Wir sehen wirklich nichts, wenn es regnet. Das ist nicht übertrieben. Das ist ein großes Problem für die Formel 1 und den Motorsport generell. Das verursacht viele Unfälle, einfach, weil wir nicht schnell genug reagieren können.“

Die Formel 1 scheint das Problem wahrgenommen zu haben. Vier Tage nach dem GP England testete die FIA in Silverstone ein neues Konzept, das die Sicht bei Regenrennen verbessern soll. Dafür wurden die Geraden künstlich bewässert. Die Sicherheitsexperten der FIA glauben, dass durch Kotflügel weniger Wasser aufgewirbelt wird, wodurch der Hintermann eine bessere Sicht hat.

Für Spa werden diese Erkenntnisse aber wohl noch keine Veränderungen bringen. Und wer weiß, ob dieser Test für den Belgien-GP überhaupt noch eine Auswirkung hat. Für die kommenden Saison soll Südafrika wieder im Gespräch für ein Rennen sein. Dafür müsste eine Strecke weichen. Bereits im vergangenen Jahr soll dabei Spa ganz oben auf der Liste der Streichkandidaten gestanden haben.

Für die Tradition wäre dies ein herber Rückschlag, aber unter Aspekten der Sicherheit ist es vielleicht die beste Lösung für alle. Die Diskussion um eine etwaige Zukunft von Spa-Franchorchamps wäre damit endgültig beendet - und der Motorsport bräuchte dann zumindest nicht fürchten, ein mögliches 50. Todesopfer in Spa betrauern zu müssen.