Manuel Neuer: ein Gesicht der Krise

Auf Normalmaß gesegelt: Der einstige Welttorhüter ist nur noch ausnahmsweise ein Ausnahmetorwart.

Aus Paris berichtet Patrick Strasser

Manuel Neuer ist ein Gesicht der Krise des DFB. Bild: Getty Images
Manuel Neuer ist ein Gesicht der Krise des DFB. Bild: Getty Images

Wenn ein Spieler um seine Form weiß, sich seiner Sache und seiner Souveränität bewusst ist, dann lässt er Fragen nach der Selbsteinschätzung an sich abprallen. Und um Torhütersprache zu benutzen: Er fängt die Zweifel des Fragestellers wie einen Flankenball, hebt den Kopf, blickt sich um und wirft den Ball zurück ins weite Feld. Macht, was ihr wollt. Ich weiß, was ich kann.

Manuel Neuer (32), der Torhüter der deutschen Nationalelf, wurde am Montagnachmittag während der Pressekonferenz im „Stade de France“ von Paris St. Denis auf die Kritiken an seinem Torwartspiel der letzten Wochen angesprochen, explizit auf den Patzer vor dem 0:1 vergangenen Samstag beim 0:3 gegen die Niederlande. Lothar Matthäus, der Rekordnationalspieler des DFB, hatte den einstigen Welttorhüter in seiner Sky-Kolumne scharf angegriffen, in dem er Neuer die Form und Sicherheit absprach, „die er vor seiner schweren Verletzung gehabt hat“. Die Nummer zwei im DFB-Tor, Marc-Andre ter Stegen (26), spiele „seit Jahren Weltklasse in Barcelona. Ich finde, er hätte langsam die Chance verdient, ein wichtiges Spiel von Anfang an zu bestreiten.“ Eben nicht nur Freundschaftsspiele wie beim 2:1 gegen Peru im September.

„Ich bin in guter Form, auf einem guten Level”

Neuer reagierte auf die Konfrontation mit den Matthäus-Aussagen eben nicht, wie ein in sich ruhender, selbstbewusster Sportler reagieren würde. Nein, Neuer setzte vor dem Nations-League-Spiel am Dienstag gegen Weltmeister Frankreich zu einer Verteidigungsrede seiner selbst an. „Ich kann sagen, dass ich topfit bin. Ich habe keine Probleme, auch was meinen Fuß betrifft, da ist alles in Ordnung. Auch während der WM habe ich gute Leistungen gezeigt.“ Nach dem Turnier in Russland, vor dem Neuer nach mehrmaligen Mittelfußbrüchen erst in der Vorbereitung sein Comeback feiern konnte, war gar nicht gefragt worden. Neuer beteuerte als müsse er seine Gegenüber von seiner Schaffenskraft dringend überzeugen: „Ich bin in guter Form, auf einem guten Level, auch beim FC Bayern, hatte aber auch nicht die Situationen mich auszuzeichnen.“ Fehlte nur noch, dass er eine Leinwand aufgestellt und seine besten Paraden der vergangenen Jahre in einem Videoeinspieler präsentiert hätte, ein best of Neuer.

DFB-Team im Herbst 2018: Kopflos, planlos, mutlos

Aktuell sind einem die Gegentore beim 0:3 gegen Mönchengladbach, beim 0:2 bei Hertha BSC und vor allem der Patzer beim 1:1 gegen den FC Augsburg in Erinnerung. Als Neuer in der Schlussphase einen Eckball durch die Finger gleiten ließ, nahm die Bayern-Krise vor drei Wochen ihren Anfang. Und dann der Fehler in Amsterdam. Durch sein zögerliches Rauslaufen nach einem Eckball fiel der Gegentreffer. Mats Hummels und Jonas Hector behinderten sich beim Kopfball von Ryan Babel gegenseitig, den Lattenabraller konnte dann Virgil van Dijk unbedrängt einköpfen. Dass Neuer, der im Strafraum umherirrte, sich dabei leidglich eine Teilschuld gab, wird in der Mannschaft nicht gut angekommen sein. Auch am Montag verteidigte er sich:Es war eine richtige Schussflanke. Wenn wir die Kopfball-Duelle gewinnen, sieht es ganz anders aus.“ Wenigstens räumte er ein, er habe „unglücklich“ ausgesehen, es fehle ihm aber auch „das notwendige Spielglück“. Ansichtssache.


Die Krise des DFB-Teams anno 2018 ist auch eine Krise der alten Helden

Vor allem aber fehlt ihm die richtige Mischung aus Selbsteinschätzung und Realismus. Was sinnbildlich für die gesamte Mannschaft im Herbst dieses WM-Jahres steht. Siehe die Aussagen von Hummels („Es ist eine Frage der fehlenden Chancenverwertung – eindeutig. Wir verlieren ein Spiel 0:3, das wir eigentlich gewinnen müssen. Mal ist es Pech, mal Unvermögen.“) nach dem 0:3 in Holland. Die Krise des DFB-Teams anno 2018 ist auch eine Krise der alten Helden, die um jeden Preis noch gut aussehen wollen und sich in indirekte Schuldzuweisungen intern (Defensive/Offensive) und extern (die bösen Medien!) verrennen. „Auch die Jungs wissen, dass ich in guter Form bin“, sagte Neuer noch. Leider war gerade niemand seiner Mitspieler im Saal, um pflichtschuldig mit dem Kopf zu nicken. Jawohl, Kapitän.

Neuer ist ein Torhüter, der in den letzten Monaten vom einstigen Weltklasse-Niveau auf Normalformat gestutzt wurde. Was sicher auch an seiner Pause von fast einem Jahr lag infolge der Fußbrüche und Reha-Zeiten liegt. Einen unhaltbaren Ball hat er schon lange nicht mehr gehalten, er hat den Bayern oder der Nationalelf zuletzt keine Spiele mehr gewonnen. Der frühere Ausnahmetorhüter hält nur in Ausnahmen noch ausnehmend gut.

Löw gibt Neuer für Paris eine Einsatzgarantie

Doch den von Matthäus geforderten Machtwechsel im Tor wird es in Paris nicht geben. „Manuel wird im Tor stehen“, versicherte Bundestrainer Löw, der selbst stark in Bedrängnis geraten ist nach dem blamablen WM-Aus und der nicht zu erkennenden Steigerung in den Nach-WM-Monaten. Der personelle Umbruch ist ausgeblieben, im Tor wird Löw da erst recht nicht aktiv werden. Im Hinspiel vor wenigen Wochen gab es ein 0:0. Daran klammert sich Neuer, er sagte: „Es wird schwer gegen den Weltmeister. In München waren die Möglichkeiten da und wir versuchen auch in Paris zu gewinnen.“

Womöglich hilft ein zupackender Neuer am Dienstagabend durch eine massive Leistungssteigerung seinem Trainer, den Kopf aus der (Entlassungs-)Schlinge zu ziehen. Mit echten Paraden, keinen Show-Einlagen. „Ich fliege nicht durch den Sechzehner wie andere Torhüter, ich glänze eher durch mein Stellungsspiel.“ Und wieder sind’s die anderen.