So viel Schuld trägt die Formel 1 am Massencrash

War der Formel 1 bis vor wenigen Tagen noch das Spektakel-Niveau einer Schlaftablette nachgesagt worden, lieferte sie bei den Grands Prix in Italien Action pur.

Erst der völlig verrückte Rennverlauf in Monza vor gut einer Woche samt Premieren-Sieg für Pierre Gasly, jetzt die wilde Fahrt auf der Strecke in Mugello, auf der die Formel 1 zuvor noch nie ein Rennen ausgetragen hatte.

Doch schon werden Stimmen laut, wonach es die Königsklasse des Motorsports mit dem Level des Spektakels nicht auf die Spitze treiben sollte.

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Anlass war die Massenkarambolage nach der ersten Safety-Car-Phase in der siebten Runde, die jede Menge Emotionen, Vorwürfe und Rechtfertigungen zur Folge hatte.

Was war passiert? Nachdem das Safety Car die Strecke verlassen hatte, die Fahrer an der Spitze aber noch nicht beschleunigt hatten, kam es zu einer Kettenreaktion.

Antonio Giovinazzi drückte aufs Gaspedal und konnte dem vor ihm fahrenden Kevin Magnussen nicht mehr ausweichen. Auch Nicholas Latifi und Carlos Sainz waren Leidtragende des Massencrashs.

Grosjean tobt per Funk

Romain Grosjean konnte den Trümmerteilen zwar gerade noch ausweichen, fluchte aber noch am Funk: "Wer auch immer das da vorne war, das war das Dümmste, was ich je gesehen habe. Wollen die uns umbringen, oder was?!"

Diese Tirade zielte auf Valtteri Bottas, der zu diesem Zeitpunkt das Feld anführte, aber trotz der Freigabe weiter trödelte.

Auch Sebastian Vettel nahm den finnischen Mercedes-Lenker ins Visier. "Es ist einfach unnötig. Als Spitzenreiter muss man sich über solche Dinge im Klaren sein", sagte der Ferrari-Pilot: "Wenn man warten will, sollte man lange warten und dann Gas geben, aber kein Stop-and-Go machen." (Die Stimmen zum Toskana-GP)

Der Beschuldigte reagierte prompt und wies jegliche Verantwortung von sich. "Ich hatte ein gleichbleibendes Tempo, bis ich es dann erhöht habe. Wenn man in Führung liegt, möchte man seine Chancen maximal ausreizen. Ich bin auf keinen Fall schuld daran", betonte Bottas auf der virtuellen Pressekonferenz nach dem Rennen.

Hamilton pflichtet Bottas bei

Unterstützung erhielt er von seinem Teamkollegen. "Es ist absolut nicht Valtteris Schuld", machte Lewis Hamilton seine Meinung deutlich. Bottas habe nur das getan, was jeder andere Fahrer in seiner Situation auch gemacht hätte.

Dass die Lage so eskaliert sei, habe vielmehr mit einer neuen Regelung der Formel 1 zu tun, kritisierte der sechsmalige Weltmeister.

"Sie versuchen, es spannender zu machen. Aber heute hat man gesehen, dass sie damit Menschen gefährden. Also sollten sie das vielleicht einmal überdenken", forderte der Brite.

Bei einem teaminternen Meeting vor dem Rennen soll diese Regel sogar noch thematisiert worden sein. "Sie haben auch gesagt, dass sie (die FIA, Anm. d. Red.) daran festhalten wird, weil es besser für die Show ist. Soweit ich mich erinnere war das die Antwort", ergänzte Bottas.

Aber was steckt hinter diesem Vorwurf von Hamilton? Zuletzt gingen vor den Re-Starts die Lichter des Safety-Cars immer später aus. "Aber wir kämpfen da draußen um Positionen", beschwert sich Hamilton. Je länger die Lichter an sind, desto nervöser werden die Fahrer.

Oder, wie es die Süddeutsche Zeitung ausdrückt: "Weiter hinten im Feld antizipierten viele Piloten die Rennfreigabe - wie Sprinter im Startblock, die sich vorschnell auf die Tartanbahn plumpsen lassen. Die Piloten gaben Gas und mussten dann heftig bremsen - weil Fahrer vor ihnen noch im Startblock waren."

Für Bottas war Kontrolllinie entscheidend

Allerdings müssen die Fahrer beim Re-Start neben den Lichtern des Safety Cars noch zwei weitere Signale beachten: Die Grüne Ampel, die den Start wieder frei gibt, und die Kontrolllinie, bis zu der der Führende das Tempo bestimmen und nicht überholt werden kann.

Während also für Bottas die Grüne Ampel noch keine allzu große Bedeutung hatte, nahmen einige Fahrer im Mittelfeld das Leuchtsignal zum Anlass, das Tempo sofort zu erhöhen, um nicht noch weiter zurück zu fallen.

Rein regeltechnisch ist es Bottas also nicht anzulasten, dass er nicht sofort aufs Gaspedal stieg. Ihm war es wichtiger, die Rivalen in Schach zu halten und den für ihn besten Moment abzupassen, um davon zu ziehen - und dafür hat er eben bis zur Kontrolllinie Zeit.

"Ja, ich habe erst spät angezogen. Aber wir starten von der Kontrolllinie und nicht davor", verteidigte sich Bottas.

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Situation in Mugello begünstigte Crash

Was der Situation in Mugello zusätzliche Brisanz verlieh, war die Tatsache, dass die Kontrolllinie sehr weit vorn auf der Start-Ziel-Geraden gezogen wurde. Wäre sie weiter hinten gezogen worden, hätte Bottas viel schneller Gas geben müssen, das Feld wäre weiter auseinander gezogen worden.

Dieser komplizierten Gemengelage trugen auch die Rennkommissare in Mugello Rechnung - und beließen es bei einer Verwarnung gegen zwölf Fahrer, gegen die wegen des Unfalls zunächst eine Untersuchung eingeleitet worden war.

Ein einziger Fahrer könne dafür nicht verantwortlich gemacht werden.

Das Eingeständnis einer Mitschuld der Formel-1-Bosse an dem Chaos war aus dieser Entscheidung nicht herauszulesen gewesen.