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Nach Kritik am Video-Schiedsrichter: Nicht abschaffen - verbessern!

Gonzalo Jaras Tätigkeit wurde nicht mit Platzverweis geahndet. (AP Photo/Thanassis Stavrakis)
Gonzalo Jaras Tätigkeit wurde nicht mit Platzverweis geahndet. (AP Photo/Thanassis Stavrakis)

Nach Gonzalo Jaras skandalöser Tätlichkeit gegen Timo Werner, die trotz Video-Schiedsrichter nicht mit einem Platzverweis geahndet wurde, wird der Sinn des digitalen Unparteiischen entschieden hinterfragt. Dabei sollte es nicht um den aktuellen Nutzen der Technologie gehen, sondern um die Frage, was man verbessern muss. Denn: Aller Kritik zum Trotz ist der Video-Assistent langfristig die einzige Lösung, Fußballspiele fair zu gestalten.

Ein Kommentar von Johannes Kallenbach

Es war eine Szene, eigentlich prädestiniert für den neuen Video-Schiedsrichter: Auf Linksaußen nimmt Timo Werner Tempo auf, Gegenspieler Gonzalo Jara gehts in Laufduell, stellt seinen Körper rein und klärt den Ball. Nur: Ganz so eindeutig war es nicht. Werner liegt nach der Szene mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden, hält sich das Gesicht. Die Wiederholung zeigt: Statt den Oberkörper in den Zweikampf zu bringen, rammt Jara dem deutschen Stürmer seinen Ellbogen mit voller Wucht (und wohl auch voller Absicht) ins Gesicht.

Klare Sache nach Sichtung des Video-Materials? Keineswegs. Trotz eindeutiger Beweisbilder zeigt Schiedsrichter Milorad Mazic letztlich nur die gelbe Karte, eine eklatante Fehlentscheidung.

Großer Aufschrei – aber um die falsche Sache

Der Aufschrei in sozialen Netzwerken und unter den Kommentatoren des Confed-Cup-Finals ist groß. Auch Yahoo-Sport-Experte Patrick Owomoyela meldet sich via Twitter zu Wort:

Ähnlich äußert sich ZDF-Experte Holger Stanislawski: “Das ist ja lächerlich, da Gelb zu zeigen.” Der Getroffene selbst kann die Entscheidung nach dem Spiel auch nicht fassen: “Mir tut der Kiefer von dem Schlag noch weh, ich kann nicht richtig schlucken”, so Timo Werner. Warum es nur Gelb gab, könne sich der Leipzig-Star beim besten Willen nicht erklären.

Was Experten und Fans auf Twitter bei der Kritik am Video-Schiedsrichter oft eint: Beim Aufschrei geht es um die falsche Sache. Anstatt Ursachen und mögliche Lösungen für solch eklatante Schiedsrichter-Fehler zu ermitteln, wird Grundsatzkritik an einer neuen, noch weitgehend unerprobten Technologie geübt. Der Grundtenor: Wenn der Video-Schiedsrichter so schlecht funktioniert, kann man es auch gleich bleiben lassen.

Probleme beim Video-Schiedsrichter: Es braucht Lösungen, kein Gezeter

Das ist viel zu kurz gedacht. Der Video-Schiedsrichter ist auf Dauer die einzige Technologie, die ein Fußballspiel ohne eklatante Fehlentscheidungen – und damit einen fairen Wettbewerb! – ermöglichen kann. Nicht die Technologie, sondern die bisherige Umsetzung ist das Problem. Es braucht Lösungen und kein Gezeter, um den digitalen Referee als wichtiges Hilfsmittel der Unparteiischen auf dem Feld zu etablieren.

Und Lösungen für die bisherigen Probleme sind an sich relativ leicht zu finden, viele der bisherigen Unstimmigkeiten kann man nämlich in einem Punkt zusammenfassen: Kommunikation. Bisher wirkte der Referee auf dem Platz eher zusätzlich verwirrt, wenn der Video-Schiedsrichter eingriff. So auch schon gesehen zwischen Deutschland und Mexiko im Confed-Cup-Halbfinale.

Der Referee stand mehrmals im Fokus.
Der Referee stand mehrmals im Fokus.

Bessere Kommunikation, größere Bilder, klarere Ansagen

Das muss nicht so sein. Es muss ein klares Bindeglied zwischen den Schiedsrichter-Teams auf dem Rasen und denen an den Bildschirmen geben. Der vierte Schiedsrichter am Spielfeldrand ist dafür eine naheliegende Lösung. Er ist ohnehin da, kann direkt das Gespräch mit dem Schiedsrichter suchen und sollte dauerhaften Zugriff auf die Zeitlupen haben, um noch besser unterstützen zu können.

Auch braucht der Schiedsrichter deutlich bessere Möglichkeiten, sich die fraglichen Szenen noch einmal anzusehen. Ein Tablet am Spielfeldrand? Reicht dafür einfach nicht aus. Große Bildschirme oder sogar die Leinwände im Stadion sollte man dafür nutzen, bei letzteren würde man sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Denn: Die Zuschauer könnten so hautnah mitbekommen, wieso das Spiel unterbrochen ist und wie die Entscheidungsfindung abläuft.

“Challenge”-System für den Video-Schiedsrichter: Ein bisschen Tennis im Fußball

Und letztlich muss klarer formuliert werden, in welchen Situationen der Videoschiedsrichter zum Einsatz kommt und in welchen nicht. Hier stellt sich wiederum die Frage, warum die FIFA nicht einfach auf das im Tennis-Sport etablierte “Hawk Eye”-System setzt. Soll heißen: Jedes Team hat beispielsweise zwei “Challenges” pro Halbzeit, mit denen sie den Einsatz des Video-Schiedsrichters anfordern können. Sollten sie “unrecht” mit ihrer Challenge haben, verfällt sie, ansonsten bekommt man die Challenge zurück.

Auf diese Weise würde dem Schiedsrichter-Gespann der Druck bzgl. des digitalen Referees genommen werden. Die Teams entscheiden selber, welche Situationen sie als untersuchungswürdig erachten und müssen es entsprechend akzeptieren, wenn ihre Challenges abgewiesen werden oder alle Challenges aufgebraucht sind. Das wäre ein faires und trotzdem spannungsgeladenes System ohne großen Hickhack oder Unklarheiten.

Man müsste das Rad nicht neu erfinden

Aller Kritik zum Trotz müsste man das Rad also nicht neu erfinden, um den Video-Schiedsrichter zu einer echten Hilfe für die Unparteiischen auf dem Platz zu machen. Letztlich geht es in erster Linie um den Willen von Fans, Vereinen und Schiedsrichtern, den digitalen Unparteiischen zu einer Erfolgsgeschichte zu machen.

Der Wille dafür ist hoffentlich da. Denn für das menschliche Auge ist der moderne Fußball schon seit Jahren zu rasant, zu unvorhersehbar, zu komplex.