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Next Level: Darum ist die Zeit nun reif für Zverev

Und das alles in einem derart turbulenten Jahr, das die Welt am liebsten aus den Geschichtsbüchern streichen würde:

Dass Alexander Zverev ausgerechnet im Pandemie-Zeitalter bei den US Open erstmals im Finale eines Grand-Slam-Turniers steht, hätte vor gut sechs Monaten wohl niemand so wirklich für möglich gehalten. (Spielplan und Ergebnisse der US Open 2020)

Corona-Zwangspause, der damit nun zusammenfallende Zuschauer-Ausschluss in New York, zuvor die fatale Adria Tour mit Verstößen gegen Hygiene-Regeln, dann die Ad-hoc-Verpflichtung des neuen spanischen Trainers David Ferrer - 2020 schlug so seine Kapriolen mit dem deutschen Tennis-Star.

Nun indes winkt doch noch der ganz große Coup - im Finale des Arthur-Ashe-Stadiums ist kein Geringerer als Zverevs Kumpel Dominic Thiem der Gegner. (US Open: Finale Alexander Zverev gegen Dominic Thiem am Sonntag ab 22 Uhr im LIVETICKER)

In den bisherigen Duellen mit dem Österreicher hatte der Hamburger bisher fast ausnahmslos den Kürzeren gezogen. SPORT1 erklärt, was dennoch für Zverev und seinen bisher größten Triumph spricht.

Nervenstärke:

Im Halbfinal-Thriller gegen den Spanier Pablo Carreno Busta lag Zverev schon mit 0:2-Sätzen hinten - um dann eiskalt zurückzuschlagen und das Match noch zu drehen. Ex-Coach Boris Becker adelte den 23-Jährigen danach als "Mentalitätsmonster".

Auch schon im Viertelfinale gegen Borna Coric bewies Zverev Nervenstärke, blieb cool nach einem 1:6 im ersten Satz und trotz des Umstands, dass der Gegner mehrfach den Platz verließ, um das Shirt zu wechseln - und das Match so zwangsläufig unruhig machte.

Auch gegen Thiem sollte Zverev in diesem Wissen seine Comeback-Qualitäten ausspielen können. Beflügeln mögen ihn dabei auch Revanche-Gelüste angesichts der bisherigen 2:7-Bilanz - zuletzt erlebte der Weltranglisten-Siebte gegen den vier Ränge besser gelisteteten Thiem eine knappe Vier-Satz-Niederlage im Halbfinale der Australian Open.

Fokus:

Entgegen allen Widrigkeiten des bisher verkorksten Jahres: Zverev wirkt konzentriert wie nie zuvor. "Er ist reifer geworden, er hat das Ziel vor Augen und weiß auch, wie er dort hinkommt", meinte kürzlich im Interview mit SPORT1 auch Bruder Mischa Zverev.

Das Fiasko bei der Adria Tour - ausgeblendet. Der Shitstorm nach einem Party-Eklat mit zunächst befürchteter Corona-Infektion - abgehakt und entschuldigt. Die augenscheinliche Trennung von Model-Freundin Brenda Patea - überwunden.

Dass Zverev in Big Apple zudem auf eine kuriose Betreuerkonstellation zurückgreift, weil Ferrer nicht vor Ort ist und er deshalb aushilfsweise vom Mikhail Ledovskikh gecoacht wird, der sonst Bruder Mischa trainiert - egal. Konzentrationsvermögen und Leistungskurve liegen mehr denn je auf höchstem Level. "Ich könnte nicht glücklicher sein, aber es ist noch ein weiterer Schritt zu gehen", sagt er und bleibt fokussiert.

Momentum:

Optimismus schöpfen kann Zverev nicht zuletzt daraus, auf so einfachem Weg wie möglicherweise nie wieder in ein Finale gekommen zu sein. Dem wegen seines Linienrichterinnen-Abschusses disqualifizierten Novak Djokovic ging er ebenso aus dem Weg wie den aus dem Giganten-Trio gar nicht erst angetretenen Rafael Nadal und Roger Federer.

Der Druck liegt bei Thiem, der in einem Grand-Slam-Finale erstmals die Favoritenbürde trägt, nachdem er in seinem bisherigen drei Anläufen gegen Nadal (French Open 2018 und 2019) und Djokovic (Australian Open 2020) stets auf verlorenem Posten stand.

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Auch wenn Thiem die Rollenverteilung herunterzuspielen sucht ("Ich glaube, es ist ein großer Druck für uns beide") und es für ihn nach außen hin unerheblich ist, dass sein Kontrahent in seinem ersten Major-Endspiel steht ("Ich würde jetzt nicht sagen, dass es ein großer Vorteil ist"):

Die Zeichen stehen günstig für Zverev, der befreiter aufspielen kann - und vielleicht noch zusätzlich gepusht wird, nach Becker 1989 erstmals wieder einen deutschen US-Open-Triumph zu realisieren.

Fitness:

Die Zahlen sprechen für Thiem - allerdings nur auf den ersten Blick: Während der Österreicher lediglich gegen Marin Cilic einen Satz abgab, verlor Zverev sechs Durchgänge und durchlitt im Duell mit Carreno Busta einen 0:2-Rückstand, der viel Kraft gekostet hat.

Thiem macht sich aber nichts vor: "Er ist topfit, wenn man ihn anschaut. Unglaublich gut trainiert, Wahnsinnsausdauer. Ich weiß von mir selbst, dass in einem Grand-Slam-Finale einfach die Anspannung, die Emotionen so hoch sind, dass man die Müdigkeit nicht spürt", meint er. Und fügt an: "Daher würde ich sagen, dass wir beide hundertprozentig reingehen."

Ob dem wirklich so ist, bleibt trotzdem abzuwarten, denn: Thiem hatte sich zuletzt bei seiner Gala gegen Daniil Medvedev an der Achillessehne behandeln lassen müssen.

Für das Finale gab er inzwischen Entwarnung, je länger das Match aber andauern wird, umso mehr könnte die Physis für Zverev sprechen, der ohnehin mit Jez Green (Athletik- und Fitness-Trainer) und Hugo Gravil (Physiotherapeut) hochkarätige Kräfte in seinem Team weiß.

Spielvermögen:

Zverev muss sich eingestehen: Thiem ist der komplettere Akteur. Über das gesamte Turnier hinweg dominierte der 27-Jährige, agierte aggressiv und auch taktisch sehr variabel. Viel Slice mit der Rückhand, extremer Spin mit der Vorhand, dazu knallharte Returns - Thiem stellt jeden Gegner vor Probleme.

Doch auch Zverevs Repertoire kann sich sehen lassen - neben der im Vergleich aktuell ausgeprägteren Fähigkeit des Hochbegabten, sich aus jeder noch so ausweglos erscheinenden Situation herauszuwinden.

Vorbei vor allem die Zeit der vielen Doppelfehler. "Der wichtigste Schlüssel wird für mich der Return seines Aufschlags sein, weil sein erstes Service ist momentan eines der besten, wenn nicht das Beste da draußen", so Thiem.

Das verschafft Zverev immer wieder freie Punkte, wodurch er wiederum von der Grundlinie immer stärker aufspielt.

Was auch immer er am Ende abzuliefern vermag im Finale: Zverev ist ins nächste Level gesprungen - die Zeit ist reif für den ganz großen Titel.