Olympia-Silber zu wenig: Chinesische Athleten für "Versagen" attackiert

Die meisten Athleten brechen vor Freude in Tränen über eine Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Tokio aus. Nicht so das chinesische Doppel im Tischtennis. Das musste sich sogar dafür entschuldigen, dass es "nur" für den zweiten Platz im Wettbewerb reichte.

Tokyo 2020 Olympics - Table Tennis - Mixed Doubles - Medal Ceremony - Tokyo Metropolitan Gymnasium - Tokyo, Japan - July 26, 2021.  Silver medalists Xu Xin of China and Liu Shiwen of China during medal ceremony REUTERS/Thomas Peter
Bedrückte Gesichter bei Xu Xin und Liu Shiwen – und das trotz Silbermedaille (Bild: REUTERS/Thomas Peter)

Wer Silber gewinnt, hat sein Land nicht stolz gemacht, sondern es "im Stich gelassen". Das musste sich das chinesische Tischtennis-Doppel nach seiner Niederlage gegen Japan anhören. Denn das Duo war nicht nur dafür verantwortlich, dass die Goldserie Chinas nach unglaublichen 13 Jahren riss, sondern auch dafür, dass China gegen seinen Erzfeind Japan verlor. Im Finale der Olympia-Premiere des gemischten Doppels bezwangen die Japaner Jun Mizutani und Mima Ito die Weltmeister Xu Xin und Liu Shiwen mit 4:3. Grund genug für chinesische Nationalisten, sein Athleten-Duo im Netz fertigzumachen.

"Ich fühle mich, als hätte ich mein Team im Stich gelassen. Es tut mir leid", sagte Liu Shiwen nach der Niederlage und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Ihr Partner Xu Xin fügte hinzu: "Das ganze Land hat sich auf dieses Finale gefreut. Ich denke, das komplette chinesische Team kann dieses Ergebnis nicht akzeptieren." Obwohl sich das chinesische Doppel im Tischtennis trotz Silbermedaille reumütig zeigte und öffentlich dafür entschuldigte, schossen Nationalisten auf Weibo – dem chinesischen Pendant zu Twitter – verbal gegen Japan – und gegen ihre eigenen Athleten!

Mizutani Jun 1st L/Ito Mima 2nd L of Japan greet Xu Xin 2nd R/Liu Shiwen of China after winning the table tennis mixed doubles gold medal match at the Tokyo 2020 Olympic Games in Tokyo, Japan, July 26, 2021. (Photo by Zheng Huansong/Xinhua via Getty Images)
Xu Xin und Liu Shiwen mussten ihre Niederlage gegen Jun Mizutani und Mima Ito aus Japan hinnehmen (Bild: Zheng Huansong/Xinhua via Getty Images)

Sie hätten "die Nation enttäuscht", ihr "Versagen" sei "unpatriotisch". Ja, sogar von "Betrug" am eigenen Land wurde gesprochen. Laut "Daily Beast" war der Auslöser der Hasswelle gegen das chinesische Doppel das eher rechte japanische Magazin "Yukan Fuji", das nach der Niederlage mit der Überschrift "Chinas nationale Erniedrigung“ titelte. In Deutschland undenkbar. Hier hätte die Schlagzeile nach einer Silbermedaille vermutlich "Tischtennis-Doppel macht Deutschland stolz" gelauten.

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In China ist das allerdings kein Einzelfall. Ähnlich erging es Li Junhui und Liu Yuchen, dem chinesischen Doppel in Badminton, das kürzlich gegen Taiwan im Finale verlor. "Seid ihr überhaupt wach? Ihr habt euch gar nicht angestrengt. Was für ein Mist", lautete nur einer der vielen wütenden Kommentare im Netz nach der Niederlage.

Tokyo 2020 Olympics - Badminton - Men's Doubles - Medal Ceremony - MFS - Musashino Forest Sport Plaza, Tokyo, Japan – July 31, 2021. Silver medallists Li Junhui of China and Liu Yuchen of China pose with their medals. REUTERS/Leonhard Foeger
Li Junhui und Liu Yuchen hatten es mit ihrer Silbermedaille im Badminton ebenfalls nicht leicht (BIld: REUTERS/Leonhard Foeger)

Glücklicherweise gibt es aber auch in den chinesischen sozialen Medien Menschen, die Menschen sind, und die den Athleten ihre Unterstützung zusprechen. An Xu Xin und Liu Shiwen gerichtet hieß es dort beispielsweise: "Der Wettbewerb war brilliant. Beide Seite waren stark und sehr bescheiden und respektvoll miteinander. Könnt ihr nicht etwas Respekt für Tischtennis und Sport zeigen?" Und ein weiterer User meinte: "Warum fühlt es sich so an, als wären wir keine Chinesen mehr, wenn wir die Japaner nicht beschimpfen?"

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"Für solche Menschen sind olympische Medaillen Real-Time-Tracker von nationaler Tapferkeit und auch von nationaler Würde", erklärte Dr. Florian Schneider vom Leiden Asia Centre in den Niederlanden gegenüber "BBC". "In diesem Zusammenhang hat jemand, der bei einem Wettbewerb gegen Ausländer versagt hat, seine eigene Nation im Stich gelassen oder sogar betrogen." Für chinesische Nationalisten ginge es hier außerdem nicht nur um ein Sportereignis, wie Dr. Schneider erklärt: "Es ist ein politischer Krieg zwischen China und Japan."

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