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Der Ostfriese, der Kahn bis aufs Blut reizte

Als am späten Abend des 24. Januar in der Allianz Arena der Ball nach einem Distanzschuss von Joshua Kimmich doch noch im Netz des 1. FC Köln zappelte und der FC Bayern ein 1:1 rettete, spielte sich auf der Ehrentribüne eine Szene ab, der man damals noch keine große Bedeutung beimaß.

Da saßen Jan-Christian Dreesen und Oliver Kahn nebeneinander, getrennt nur durch einen leeren Sitz. Während Herbert Hainer vor den beiden freudig aufstand und mit seinem Sitznachbarn abklatschte, reckte Dreesen seine Hand zu Kahn rüber, der sie geflissentlich ignorierte.

Kahn starrte nach vorne, ohne eine Miene zu verziehen, während Dreesen seine Hand wieder einzog und verwundert auf seinen damaligen Chef blickte.

Will man die Ereignisse der letzten Tage in einem einzigen Bildausschnitt zusammenfassen, dann wäre es dieser ausgeschlagene Handshake.

Kahn, der Eigenbrötler mit Scheuklappen, der wohl nicht nur lauf SPORT1-Experte Stefan Effenberg „in seiner eigenen Welt lebt“. Und Dreesen, der Teamplayer, darauf bedacht, den Zusammenhalt zu stärken.

Kahn stinksauer auf Dreesen

Gute vier Monate später ist der CEO Kahn beim FC Bayern Geschichte und Dreesen, der damalige Finanzvorstand, der neue starke Mann an der Säbener Straße.

Laut Hoeneß habe Kahn unter anderem durch seine Berater für eine „katastrophal schlechte Stimmung“ gesorgt, weswegen man einen Schlussstrich ziehen musste. Als Kahn diese Entscheidung mitgeteilt wurde, nahm er sie alles andere als gefasst auf - und schoss sich - so Hoeneß - verbal auf Dreesen ein.

Kahn glaubte offenbar, seine Absetzung habe ausgerechnet Intimfeind Dreesen initiiert. Aus Furcht vor dem unberechenbaren „Titanen“ habe man ihm schließlich untersagt, mit zum Saisonfinale nach Köln zu fliegen. Selbst Handgreiflichkeiten in Richtung Dreesen hatten die Bayern-Bosse nicht mehr ausgeschlossen

Doch wer ist Kahns Gegenspieler, der den früheren Weltklassetorhüter bis aufs Blut reizte?

Paradigmenwechsel beim FC Bayern

Dass der neue FCB-Boss Ostfriese ist, verwundert weniger als die Tatsache, dass er kein Kind der Bundesliga ist. Dreesens Vorgänger Karl-Heinz Rummenigge (Westfale) und Kahn (Badener) sind ebenfalls keine gebürtigen Bayern, sehr wohl aber frühere Helden beim deutschen Serienmeister.

Nach mehr als 20 Jahren haben die Münchner damit zum ersten Mal einen Mann an der Spitze, der in jungen Jahren nichts mit dem Fußballsport am Hut hatte - ein echter Paradigmenwechsel.

Dabei wurde der Name des eigentlich zum Saisonende scheidenden Finanzchefs nach SPORT1-Informationen intern schon vor einem Jahr für den CEO-Posten vorgeschlagen, doch der Aufsichtsrat um Präsident Herbert Hainer und Ehrenpräsident Uli Hoeneß wollte Kahn nicht schon nach einer einzigen Spielzeit absägen.

„Wenn etwas das Herz berührt, kann man seine Pläne ändern“

Weil sich, wie Hainer und Hoeneß dieser Tage erklärten, an Kahns Verhalten nichts änderte, beorderte man schließlich den Mann an die Spitze, der den Klub eigentlich verlassen wollte.

„Wenn etwas das Herz berührt, kann man seine Pläne ändern“, erklärte Dreesen am Sonntag seinen Sinnenswandel, der aber womöglich weniger mit dem Herzen als mit Kahns Demission zu tun hatte.

Dass der 55-Jährige die Münchner nun doch nicht verlässt und sogar die letzte Stufe zum Bayern-Chef hochklettert, ist nicht zuletzt Hoeneß zu verdanken.

Der langjährige Patron des FC Bayern gilt als großer Fürsprecher Dreesens - und als es hart auf hart kam, stellte sich Hoeneß nun klar auf dessen Seite.

Der Mann der Zahlen

Dreesen, der nach einer Bankenkarriere 2013 den Weg zum FCB fand und den damaligen Finanzvorstand Karl Hopfner beerbte, hat sich in der Branche längst den Ruf des Bilanzmeisters erarbeitet.

Abseits des grellen Scheinwerferlichts sorgte er Jahr für Jahr für traumhaft schwarze Zahlen an der Säbener Straße, und auch wenn diese in der Coronazeit merklich schrumpften - rot wurden sie nie.

Im vergangenen November bekam Dreesen auf der Hauptversammlung von den Fans sogar stehende Ovationen, als er ihnen einen Gewinn von 12,7 Millionen Euro präsentierte. Doch der frühere Bankier ist mitnichten nur ein Zahlenmensch, er ist empathisch, kann die Leute begeistern und sorgt für ein Wir-Gefühl. Etwas, worauf man bei Kahn nicht mehr hoffen konnte.

Dreesens Schicksalsschläge: Jagdunfall und Herzinfarkt

Ein einziges Mal stand Dreesen unfreiwillig in den Schlagzeilen, das war im September 2017, als er sich bei einem Jagdunfall versehentlich in die Hand schoss und den linken Zeigefinger verlor.

Davon erholte sich Dreesen, ebenso wie von einem Herzinfarkt, der ihn ein Jahr später nach einem Champions-League-Spiel der Bayern bei Real Madrid kollabieren ließ.

Bei bester Gesundheit wird sich Jan-Christian Dreesen nun aufmachen, den Scherbenhaufen, den sein Vorgänger hinterlassen hat, zusammenzukehren.