Philipp Lahm exklusiv: “Der Jugend fehlt die Demut”

Herr Lahm, Pep Guardiola geht. Was bleibt von ihm außer Titeln?

Jeder Trainer gibt der Mannschaft eine Idee mit, wenn sie auf das Spielfeld geht. Guardiolas Handschrift war in den letzten drei Jahren klar zu sehen und jeder Spieler hat ein größeres Verständnis für taktische Aufgaben bekommen.

Welche Erwartungen haben Sie jetzt an Carlo Ancelotti?

Es ist schön, dass wir wieder einen internationalen Top-Trainer bekommen. Ich hatte schon Top-Trainer aus Deutschland und auch international. Jetzt folgt der nächste. Ancelotti hat schon mehrmals die Champions League gewonnen, das ist natürlich etwas Schönes. Aber Erwartungen hat man keine großen, er wird ein super Trainer sein, aber das war klar. Eine Vorfreude hat man dennoch.

Sie haben selber relativ früh festgelegt, dass 2018 Schluss ist. Warum eigentlich?

Es war schon nicht einfach bei der Nationalmannschaft nach zehn Jahren aufzuhören. Aber ich bin jemand, der sich gerne auf Einschnitte im Leben vorbereitet. Das Karriereende ist natürlich ein noch größerer Einschnitt. Da will ich mich vom Kopf her vorbereiten und will das jetzt angehen, was eigentlich nach meiner Karriere passiert. Diese Zeit habe ich mir gegeben und irgendwann ist es auch einmal gut. Ich habe lange auf sehr hohem Niveau Fußball gespielt und da ist es natürlich schön, wenn man über sein Karriereende selbst bestimmen kann und niemand sagt, „wann hört der denn endlich auf“.

Ihre Karriereplanung ist sehr stringent. Sie treten zum Teil heute schon als Unternehmer auf. Kann man daraus gewisse Abnutzungserscheinungen für den Fußballerberuf herauslesen?

Überhaupt nicht. Ich liebe meinen Beruf, ich spiele gerne Fußball und bin gerne innerhalb einer Mannschaft. Mir macht das alles sehr viel Spaß und den Spaß habe ich immer noch. Wir sprechen hier von einem absoluten Top-Niveau. Trotzdem muss man immer mit offenen Augen durchs Leben gehen, sich immer weiterbilden sollte und das mache ich jetzt auf einer anderen Ebene. Da habe ich nicht so viel Erfahrung, die muss ich mir erst erarbeiten. Das wird nie die gleiche wie im Fußball sein, weil ich mit fünfeinhalb Jahren mit dem Fußball begonnen habe, in einer Mannschaft, in einem Verein, das prägt. Man lernt über die Jahre das System immer besser kennen und da habe ich im Fußball einen großen Vorsprung im Vergleich zu wirtschaftlichen Dingen.

Köpfe der Goldenen Generation: Schweinsteiger und Lahm
Köpfe der Goldenen Generation: Schweinsteiger und Lahm

In der Bundesliga gibt es gerade die Diskussion um das Verhältnis Trainer/Schiedsrichter. Es gibt von Ihnen keine Szenen, in denen Sie pöbelnd zu sehen sind. Nicht Ihr Stil?

Ich will mir meine Energien aufsparen. Ich werde die Entscheidung eines Schiedsrichters durch meine Diskussion nicht rückgängig machen. Das ist einfach so. Aber keine Sorgen: Ich rege mich auch manchmal auf, aber ich glaube, es muss immer respektvoll sein. Wenn ich etwas anderes sehe als der Schiedsrichter darf ich ihm das sagen, aber immer noch respektvoll, das erwarte ich von ihm auch. Ich glaube, da spielt auch die Erziehung eine Rolle. Man ist ja auch Vorbild, viele Kinder schauen zu.

Sie haben nach dem WM-Triumph angeprangert, dass der jüngeren Generation der letzte „Punch“ fehle. Wie meinten Sie das?

Ich glaube, die Spieler kommen fußballerisch reifer und technisch beschlagener aus der Ausbildung. Der Konkurrenzkampf ist durch die Leistungszentren da, aber teilweise fehlt vielleicht der letzte Biss. Man darf allerdings nicht vergessen, dass uns diese Generation bei der Weltmeisterschaft weitergeholfen hat. Wenn ich mir aber unsere Jugend anschaue, ist oft selbstverständlich geworden, dass man mit den Profis mittrainert. Zu meiner Zeit war das anders.

Wie war es denn zu Ihrer Zeit?

Es war schwierig, nach oben zu kommen. Die Platzhirsche haben natürlich geschaut, dass ihnen ihr Platz nicht weggenommen wird. Heutzutage ist man sofort integriert in die Gruppe, weil es einfach so viele junge Spieler gibt. Vielleicht fehlt manchmal ein bisschen die Demut.

Gehen wir auf die Insel. Dort führen Leicester und Tottenham die Tabelle an. Wie bewerten Sie den bisherigen Saisonverlauf und: Halten Sie es für möglich, dass Leicester das bis zum Schluss durchhält?

Das ist doch schön, wenn mal eine andere Mannschaft vorne ist. Vor allem in einer Liga, in der immer die gleichen vier Mannschaften sonst vorne sind. Die Überraschungsmannschaft profitiert von den schwächelnden Top-Teams, dadurch kommt so etwas am Ende zu Stande.

Wie schätzen Sie die Chancen von England bei der Euro ein?

Gut. Die Engländer haben sich nach den letzten Turnieren stabilisiert. Sie sind beeindruckend durch die Qualifikation marschiert, das ist nicht selbstverständlich – auch wenn man es oft in Deutschland so sieht. Sie haben sehr gute Spieler, junge Spieler, die hungrig sind. Die Engländer gehören nicht zu den Top-Favoriten, aber man muss sie beachten. Keiner spielt so richtig gerne gegen England.

Bastian Schweinsteiger spielt auch in England. Sie kennen ihn wie kaum ein anderer Fußballer. Wird er die deutsche Nationalmannschaft bei der Euro aufs Feld führen. Manche Kritiker wie  Oliver Kahn sind sich da gerade nicht so sicher.

Jeder, der Bastian und seine Vergangenheit kennt, was er geleistet hat und wie er immer zurückgekommen ist, der kann keine Zweifel haben. Er wird auflaufen und die Mannschaft führen. Es ist wichtig, dass er dabei ist, weil er viel Erfahrung hat und man sich in den entscheidenden Momenten immer auf ihn verlassen konnte. Man braucht als Mannschaft Spieler, an denen man sich immer festhalten und hochziehen kann. Bastian ist so ein Spieler. Ich mache mir keine Sorgen, dass er nicht fit wird, weil er es immer hinbekommen hat. Ich habe keine Bedenken.

Interview: Klaus Bellstedt