Wie würden Sie das Grönemeyer erklären, Herr Polter?

Wie würden Sie das Grönemeyer erklären, Herr Polter?

Sebastian Polter ist zurück in der Bundesliga.

Sein Wechsel zum VfL Bochum kam für viele überraschend. Doch der 30-Jährige hat diese Entscheidung ganz bewusst getroffen.

Nach einem Jahr beim niederländischen Fußballverein Fortuna Sittard will Polter in Deutschland wieder auf sich aufmerksam machen. Das scheint ihm zu gelingen. Gleich im ersten Spiel zu Hause gegen seinen früheren Klub Mainz 05 köpfte er das 2:0.

Vor dem Spiel beim 1. FC Köln am Samstag (Bundesliga: 1. FC Köln - VfL Bochum, 15.30 im LIVETICKER) spricht Polter bei SPORT1 über den VfL, seine Zeit in den Niederlanden und hat einen außergewöhnlichen Vorschlag an Herbert Grönemeyer für dessen Hymne an Bochum. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)

SPORT1: Herr Polter, was war das für ein Gefühl, gleich im ersten Spiel im VfL-Trikot und dazu im ersten Bundesligaspiel in Bochum nach elf Jahren (1. Mai 2020) ein Tor zu köpfen?

Sebastian Polter: Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Ich muss aber sagen, dass das Spiel am Ende einer aufregenden Woche stand. Nach meiner Unterschrift war es nur knapp eine Woche bis zur ersten Partie. Sich die ersten Tage vor dem Mainz-Spiel mit solch einem tollen Traditionsklub wieder auf die Bundesliga vorzubereiten, war etwas ganz Besonderes. Als mir dann der Trainer (Thomas Reis, d. Red.) auch noch signalisiert hat, dass ich von Anfang an spielen könnte, war ich komplett euphorisiert. Ich wollte einfach ein geiles Spiel abliefern und das ist mir und den Jungs zum Glück auch gelungen. Jeder im Stadion hat gebrannt auf diesen Start. Ich bin froh, dass ich gleich ein Tor erzielt habe. Natürlich habe ich den Treffer sehr emotional gefeiert. Ich habe die Freude einfach rausgeschrien. Aber wichtiger war der Sieg mit dem VfL. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)

SPORT1: Als der Wechsel fix war, haben Sie bei Instagram einen Post abgesetzt, der zeigte, wie Sie ein Waschbecken und Teller zerdeppern und dazu sagten “Polterabend an der Castroper Straße”. War das Ihre Idee?

Polter: Nein. Das schmücke ich mich nicht mit fremden Federn. Das hat sich die Marketingabteilung des VfL ausgedacht. In meiner Karriere hat einer der deutschen Vereine, bei denen ich spielte, immer wieder mal probiert, mit mir ein “Poltergeist-” oder “Polterabend”-Video zu drehen. Und jetzt hatte ich Lust auf so eine Aktion. Also habe ich mich hingestellt und habe das Waschbecken und etliche Teller und Tassen zerschlagen. Das war eine coole Nummer, die zu mir und zum Klub passt.

SPORT1: Ihr Wechsel nach Bochum kam schon überraschend. Wie kam es dazu? Sie hatten bei Fortuna Sittard noch einen gültigen Vertrag bis 2022.

Polter: Im Fußball geht es oftmals sehr schnell. Der Verein musste aufgrund der finanziellen Situation schauen, was für diese Saison möglich ist. Da ist man dann auf mich zugekommen. Wenn ich einen Verein finde, könnte ich gehen, hieß es. Dadurch hat sich die Möglichkeit ergeben, noch mal in der Bundesliga Fuß zu fassen. Und ich freue mich sehr, dass es geklappt hat. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)

SPORT1: Hatten Sie auch andere Anfragen?

Polter: Ja. Aus der 2. Liga und aus Polen, Ungarn, Belgien und Frankreich. Ich hatte auch ein Angebot, in der Conference League zu spielen. Aber ich habe bei jedem Vereinswechsel gesagt, dass ich mich mit dem jeweiligen Klub identifizieren muss. Und das kann ich beim VfL. An dem Tag, als ich wusste, dass das konkreter wird, habe ich absolut für diese Aufgabe gebrannt. Mit dem VfL nach elf Jahren Bundesliga-Abstinenz den Klassenerhalt zu schaffen, ist eine wahnsinnig reizvolle Geschichte. Und dafür wollen wir malochen.

SPORT1: Was war der Hauptgrund für Sie, “Ja” zum VfL zu sagen?

Polter: Es lagen viele Gründe vor, bei denen ich dachte: ‘Das passt einfach’. Angefangen bei mir, weil ich mir vorstellen konnte, für den VfL zu spielen. Ich habe mich in dem Verein wiedererkannt. Der Verein ist ein Arbeiterverein, dem in der Vergangenheit nichts in den Schoß gefallen ist. Darin sehe ich mich wieder, denn auch ich habe mir in meiner Karriere alles hart erarbeiten müssen. Zudem habe ich mit Sebastian (VfL-Geschäftsführer Sebastian Schindzielorz, d. Red.) noch beim VfL Wolfsburg in der U23 unter Lorenz-Günther Köstner und in der ersten Mannschaft unter Felix Magath zusammengespielt. Ich schätze Sebastian und seine Arbeit ungemein.

SPORT1: Welche Erinnerungen haben Sie an den VfL, wenn Sie gegen diesen Klub gespielt haben?

Polter: Der VfL Bochum war für mich immer ein Verein, der einerseits sehr sympathisch rüberkam und andererseits ein Gegner, der eklig war und sehr schwer zu bespielen war. Der Klub zeigte oft eine starke Mentalität auf dem Platz. Das sind Argumente, die mir gesagt haben, dass ich absolut Bock habe auf diesen Klub. Jetzt habe ich für zwei Jahre unterschrieben und bin stolz, dass es geklappt hat.

SPORT1: Sie sind von den Fans begeistert, heißt es. Doch es fehlten noch die Ultras. Können Sie sich ausmalen, wie die Stimmung dann wird?

Polter: Wenn man bedenkt, dass gegen Mainz nur rund 13.000 Fans im Stadion waren und diese Anzahl aber hoffentlich bald noch mal dazukommt, dann will ich nicht wissen, wie das Stadion bebt. Ich freue mich riesig darauf und habe jetzt schon Gänsehaut. Die Fans gehören zum Fußball dazu und gerade bei den Heimspielen des VfL können sie ein Faktor sein, um Spiele zu gewinnen.

SPORT1: Sind Sie ein Typ, der gleich eine Leader-Rolle einnehmen möchte?

Polter: Schon. Doch das liegt nicht allein an mir, auch Trainer und Teamkollegen spielen dabei natürlich eine Rolle. Aber jeder, der meine Spielweise kennt, weiß, dass ich immer vorangehen will. Ich bin jemand, der auf dem Platz sehr lautstark ist und seine Mitspieler dirigiert. Ich bin schon ein Leadertyp, bin mit 30 Jahren erfahren genug und habe einige Profispiele auf dem Buckel. Ich will vorangehen und zeige das gerne auch in jedem Training durch harte Arbeit. Ich sehe mich da auch in der Pflicht, will meine Rolle aber nicht über die der Jungs stellen, die schon länger beim VfL sind, wie zum Beispiel Toto (Anthony Losilla, d. Red.), Simon Zoller oder Manuel Riemann. Wir müssen als Gruppe funktionieren.

SPORT1: Wie blicken Sie auf Ihre Zeit in den Niederlanden zurück? Sie haben bei der Fortuna 34 von 36 Spielen absolviert.

Polter: Stimmt. Wegen einer roten Karte im Spiel gegen Ajax Amsterdam wurde ich zwei Spiele gesperrt, habe zehn Tore erzielt und sechs vorbereitet. Das war schon ganz ordentlich. Es war eine tolle Zeit, weil ich eine neue Liga und neue Mitspieler kennenlernen durfte. Ich war sehr gerne in Sittard, habe da viel mitgenommen und bin nicht im Groll gegangen. Es war auch nicht zwingend notwendig, den Klub zu verlassen. Aber es hat, wie gesagt, gepasst. Wir haben uns als Familie wohl gefühlt und sportlich war es eine erfolgreiche Zeit. Und am Ende konnte ich durch meinen Abgang dem Verein noch helfen.

SPORT1: Was war anders als bei Ihrem Engagement in England?

Polter: Die englische Liga ist in puncto Physis noch mal ein anderes Brett. Du spielst da 50 bis 55 Spiele pro Saison und regenerierst fast nur in jedem Training. Die niederländische Liga ist individuell eine sehr starke Liga, in der man aber taktisch im Vergleich zur Bundesliga noch einen Tick zulegen muss. Aber das Spiel in den Niederlanden ist defensiv wie offensiv sehr schnell. Und das war für mich als Stürmer natürlich positiv.

SPORT1: Am letzten Spieltag kommt es zum Wiedersehen mit Union? Das ist etwas besonderes, oder?

Polter: Auf jeden Fall. Wir spielen zuerst in Bochum und am 34. Spieltag dann in der Alten Försterei. Darauf freue ich mich natürlich. Das wird man mir dann auch anmerken, weil ich bei Union eine sehr besondere Zeit hatte und diese auch nicht missen möchte.

SPORT1: 2020 wurden Sie “wegen unsolidarischen Verhaltens” vom Spielbetrieb suspendiert, weil Sie in der Corona-Pandemie beim Gehaltsverzicht des Teams als einziger Spieler nicht richtig mitgezogen haben sollen. Es kam zu einer wahren Schlammschlacht zwischen Ihnen und Union. Gab es seitdem mal eine Aussprache mit den Verantwortlichen?

Polter: Die gab es nicht, weil es sie auch nicht mehr geben musste. Ich bin natürlich mit Urs Fischer (Unions Trainer, d. Red.), seinem Trainerteam und einigen Spielern immer noch in Kontakt. Es musste weitergehen. Das Thema war schon vor einem Jahr erledigt und alles andere ist ein Stück weit vergessen.

SPORT1: Warum kann der VfL ein Überraschungsteam der Liga werden?

Polter: Wir können für eine Überraschung sorgen, wenn wir unsere PS auf den Platz bringen und dafür hart arbeiten. Wir haben genug Erfahrung in der Truppe - nicht unbedingt Erstliga-Erfahrung, aber was die Einsätze in Profi-Spielen angeht. Toto, unser Kapitän, hat über 400 Spiele als Profi absolviert. Er wird den Fußball jetzt nicht neu erfinden, aber er wird sein Spiel der Bundesliga anpassen. Wir haben eine sehr homogene Mannschaft, die genau weiß, wie man sich im Spiel verhalten muss. So war es gegen Mainz, als wir nach dem 2:0 nicht auf das dritte Tor gegangen sind, sondern das Ding konzentriert zu Ende gespielt haben. In der Bundesliga werden Fehler schnell bestraft. Wenn wir das verinnerlichen, dann können wir für zum Überraschungsteam werden.

SPORT1: “Da, wo das Herz noch zählt, nicht das große Geld, wer wohnt schon in Düsseldorf?”, singt Herbert Grönemeyer in seiner Hymne an Bochum. Sie wohnen jetzt in Düsseldorf. Wie würden Sie Grönemeyer das erklären?

Polter: (lacht) Ich kenne den Text natürlich auswendig, weil ich Grönemeyer-Fan bin. Unfassbar, wie er noch die großen Bühnen rockt. Warum wohne ich in Düsseldorf? Jeder, der NRW kennt, der weiß, wie schwierig der Immobilienmarkt ist. Da muss man mit mir bei der Ortswahl etwas nachsichtig sein. Was würde ich Grönemeyer sagen? Vielleicht könnte er seinen Songtext nochmal umschreiben und die bekannte Strophe etwas abändern.

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