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Rückentwicklung: Hat Kerber ein viel größeres Problem?

Vielleicht darf man in manche Wortwahl auch nicht gleich zu viel hineininterpretieren - und dennoch: Es klang wenig ermutigend, was Angelique Kerber sagte.

"Ganz ehrlich, ich weiß noch nicht, wie es für mich weitergeht", sagte die deutsche Nummer eins nach ihrer krachenden Erstrundenniederlage bei den French Open. Logischerweise hatte das blamable 3:6 und 3:6 gegen die erst 19 Jahre alte Slowenin Kaja Juvan Spuren hintergelassen. (Die French Open im LIVETICKER)

Doch Kerber, bei der Pressekonferenz nach der Pleite mit glasigem Blick, wirkte mehr als nur enttäuscht, vielmehr lethargisch wie bereits in ihrem Match kurz zuvor. "Ob noch Turniere dazukommen, wie jetzt die nächsten Wochen bei mir aussehen, kann ich momentan nicht beantworten", ergänzte die 32-Jährige noch knapp.

So wenig Plan Kerber augenscheinlich für ihren weiteren Saisonverlauf hat, so wenig Gefühl und Rhythmus bewies sie im Duell mit Teenager Juvan. (Spielplan und Ergebnisse der French Open 2020)

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Mehr noch: Die Kielerin agierte derart irritierend paralysiert, dass sich Fans und Tennis-Experten vorsichtig die Frage stellten: Hat Kerber möglicherweise ein viel tiefergehendes Problem, um noch einmal zu alter Stärke zurückzufinden?

Rittner über Kerber-Aus "schockiert"

"Ich bin ein bisschen schockiert", hatte Barbara Rittner bereits unmittelbar nach der Pleite bei Eurosport erklärt. "Sie hat überhaupt kein Konzept, wie sie zum Punktgewinn kommen soll."

Am Dienstagvormittag legte der Head of Women's Tennis beim Deutschen Tennis Bund an gleicher Stelle nach, suchte vergebens nach Erklärungen wie dem nasskalten Wetter in Roland Garros, der langen Wartezeit bis zum Spielbeginn, weil auf den Court zuvor der Franzose Corentin Moutet und Lorenzo Giustino sich mehr als sechs Stunden lang duellierten: "Und wenn du Sand eh schon nicht magst...."

Der Verweis auf all die äußeren Umstände nebst Belag greift allerdings zu kurz, selbst wenn Kerber mit Paris auch in der Vergangenheit nie wirklich warm geworden war.

Nur zweimal stand die dreimalige Majorsiegerin und mit bestverdienende Sportlerin der Welt hier im Viertelfinale, scheiterte wie eben jetzt allerdings auch schon sieben Mal in Runde eins - bei 13 Starts seit 2007.

Es stimmt, dass "Kerber und die rote Asche von Paris nicht mehr beste Freunde werden", wie auch Tennis-Ikone Boris Becker bei Eurosport sagte. Was nachhallt, ist indes der Eindruck: Kerbers Entwicklung stagniert nicht nur, sie hat insgesamt den Rückwärtsgang eingelegt, anstatt dank immer größerer Erfahrung voranzuschreiten.

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Kerber ohne Turniersieg seit Wimbledon

Nach den Australian Open und US Open 2016 sowie dem Wimbledon-Triumph von 2018 bot die frühere Weltranglisten-Erste, mittlerweile nur noch auf Position 32, nicht nur bei den Grand Slams mehr ratlos machende denn erhellende Auftritte - insbesondere in diesem Jahr: Achtelfinal-Aus in Australien gegen die Russin Anastassija Pavlyuchenkova, gleiches Abschneiden dann in New York nach einer Niederlage gegen Jennifer Brady (USA).

Und erst Mitte September beim Turnier in Rom hatte sich Kerber, die zuletzt bei ihrem Wimbledonsieg die Runde der letzten Acht bei einem Grand Slam erreichte und seither kein einziges WTA-Turnier mehr gewann, gegen die ungesetzte Tschechin in Rom blamiert.

Wie all das - ungeachtet der globalen Corona-Situation, mit der schließlich auch die Konkurrenz klarkommen muss - einer Spitzenspielerin passieren kann? Kerber muss sich das selbst beantworten.

Was ist los mit Kerber?

"Dieses Jahr ist eh verrückt und anders. Damit muss man umgehen. Mir geht's okay", sagte sie nun, räumte zugleich ein, "Probleme mit der Bewegung" gehabt zu haben.

Etwa wie ein Jongleur, dem plötzlich alle Bälle zu Boden purzeln? Und das gegen die Nummer 103 der Welt?

Die Ausführung von Kerber, Ende Juli für einen Neustart extra erneut zu ihrem alten Trainer Torben Beltz zurückgekehrt, bleibt rätselhaft - und ihre erhoffte Angriffslust zurück an die Weltspitze weiter aus.

Schüttler: Kerber mit zu vielen Gedanken

"Als ehemalige Nummer eins der Welt ist der Erwartungsdruck und der Standard extrem hoch", hatte sich Ex-Coach Rainer Schüttler Anfang des Jahres hierzu bei Spox geäußert. Die Zusammenarbeit mit dem Fed-Cup-Teamchef war ebenso rasch wieder zu Ende gegangen wie die von Kerber mit Dirk Dier (beide 2019) und dem Belgier Wim Fissette (2018).

Zuletzt hatte Dieter Kindlmann (November 2019 bis Ende Juli 2020) Kerbers Coaching übernommen.

"Männer haben drei Gedanken im Kopf, Frauen tausende. Das kann hilfreich sein, aber manchmal auch kontraproduktiv, weil Gedanken dabei sind, die dich in der Situation einfach nicht weiterbringen", meinte Schüttler. "Ich habe auch das Gefühl, dass man bei Frauen vorsichtiger sein muss mit der Wortwahl, weil sie emotionaler sind als wir Männer."

Kerbers Wortwahl nach dem jetzigen Aus am Bois de Boulogne sollte man denn vielleicht doch mit Vorsicht genießen...